Was ist die teleologische Auslegung?

23. Juni 2025

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Lawra arbeitet neben ihrem Studium für ein junges Start-up. Als sie eines morgens ins Berliner Büro kommt, findet gerade eine behördliche Durchsuchung der Räume statt. Einen richterlichen Beschluss i.S.v. Art. 13 Abs. 2 GG gibt es nicht.

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Einordnung des Falls

Was ist die teleologische Auslegung?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Lawra meint, der Richtervorbehalt aus Art. 13 Abs. 2 GG gilt grundsätzlich auch für Geschäftsräume. Ergibt sich das bereits aus dem Wortlaut von Art. 13 GG?

Nein!

Bei der Wortlautauslegung fragt man zunächst danach, welche Bedeutung der (Gesetzes-)Wortlaut ausdrücklich nahelegt oder ausschließt. Art. 13 Abs. 1 GG spricht ausdrücklich nur von der „Wohnung“. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch sind Geschäftsräume hiervon nicht umfasst. Im Duden findet sich z.B. folgende Begriffsbestimmung: „meist aus mehreren Räumen bestehender, nach außen abgeschlossener Bereich in einem Wohnhaus, der einem Einzelnen oder mehreren Personen als ständiger Aufenthalt dient“. Nach dem reinen Wortlaut von Art. 13 GG erstreckt sich der Richtervorbehalt aus Art. 13 Abs. 2 GG damit nicht auf Geschäftsräume.
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2. Neben der Wortlautauslegung kann Lawra auch auf den Sinn und Zweck von Art. 13 Abs. 2 GG abstellen.

Genau, so ist das!

Neben der Wortlaut-Auslegung gibt es weitere Auslegungsmethoden. Eine davon ist die teleologische Auslegung. Diese fragt nach Sinn und Zweck einer Norm (= ratio legis). Grundannahme ist, dass hinter jedem „Sollen“ (= Norm) ein gesetzgeberisches „Wollen“ steht. Dieses „Wollen“ muss man herausarbeiten. Die Bedeutung des Wortlauts kann man nicht nur wortwörtlich verstehen, sondern sie hängt vom Kontext ab. So kann z.B. der Begriff der „Wohnung“ i.R.v. Art. 13 GG etwas anderes umfassen, als etwa im zivilrechtlichen Kontext. Die teleologische Auslegung ermöglicht eine gewisse Anpassung der Rechtsnormen an den „Wandel der Zeit“. Diese „Flexibilität“ kann man durch eine reine Wortlautauslegung in vielen Fällen nicht erreichen.Die teleologische Auslegung ist eng verwoben mit den übrigen Auslegungsmethoden. Den Sinn einer Norm kannst Du unter Umständen aus der Gesetzgeberhistorie entwickeln. Oder aber aus dem Zusammenhang mit anderen Normen.

3. Die Grundrechte sollen unter anderem gewährleisten, dass staatliche Eingriffe auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit des einzelnen begrenzt werden (vgl. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG). Spricht das dafür, dass Art. 13 Abs. 1 GG den Schutz der Privatsphäre gewährleisten soll?

Ja, in der Tat!

Art. 13 GG steht im Grundrechtskatalog und sichert die Unverletzlichkeit der Wohnung. Art. 13 GG schützt einen elementaren Rückzugsbereich des Menschen. Der Schutz von Art. 13 GG geht über das rein „Physische“ hinaus. Es geht nicht um den Schutz der „vier Wände“ als solche, sondern um den Schutz der Privatsphäre als Voraussetzung für freie Persönlichkeitsentfaltung (Art. 2 Abs. 1 GG) und Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG).Hier siehst Du, dass der Zweck einer Norm häufig nicht ohne eine „größere“ systematische Einordnung der Norm funktioniert. Die Wohnung war in autoritären Regimen (insbesondere in der NS-Zeit) ein häufig und willkürlich überwachter Bereich. Die Einführung eines grundrechtlich abgesicherten Richtervorbehalts für Durchsuchungen in Art. 13 Abs. 2 GG war eine bewusste Reaktion auf diesen Machtmissbrauch.

4. Auch in einem Geschäftsbetrieb kann ein wichtiger Teil der räumlichen Privatsphäre sein. Spricht dieser Umstand dagegen, dass auch Geschäftsräume von Art. 13 Abs. 1 GG umfasst sind?

Nein!

Hinter Art. 13 Abs. 1 GG steht der Schutz der Privatspähre in räumlichen Rückzugsorten.Die berufliche Tätigkeit kann man zur freien Entfaltung der Persönlichkeit zählen. Damit können auch Räume, in denen gearbeitet wird, Teil der persönlichen Entfaltung sein und den Schutz der Privatsphäre genießen. Aus diesem Grund können grundsätzlich auch Geschäftsräume und Betriebsstätten unter Art. 13 GG fallen. Damit ist Lawras Büro grundsätzlich auch vom Richtervorbehalt aus Art. 13 Abs. 2 GG geschützt. So die Auslegung durch das BVerfG (BVerfGE 42, 212, RdNr. 219; 83, RdNr. 88). Diese Ansicht ist wohl inzwischen auch herrschende Ansicht in der Lit. Zur Gegenposition siehe z.B. Kingreen/Poscher, Staatsrecht II, RdNr. 1008). Was von Art. 13 GG geschützt ist, lernst Du im Kurs zum Staatsorganisationsrecht. Dennoch: Du solltest die Auslegung selbst vornehmen können und nicht nur die BVerfG-Ansicht wiedergeben. I.d.R. bekommst Du sogar für eine saubere Auslegung mehr Punkte, als für das „richtige“ Ergebnis. Beherrscht Du dieses Handwerkszeug, kann Dir das also auch die „Angst“ nehmen, dass Dir in der Klausur bestimmtes Wissen fehlt.
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