Öffentliches Recht

Verwaltungsrecht AT

Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten

Rücknahmeverbot bei begünstigendem VA (§ 48 Abs. 2 VwVfG)

Schema: Rücknahmeverbot bei begünstigendem VA (§ 48 Abs. 2 VwVfG)

20. April 2025

10 Kommentare

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Rechtsgrundlage für die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes ist § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG. Rechtswidrige begünstigende Leistungsverwaltungsakte dürfen gemäß § 48 Abs. 2 VwVfG unter bestimmten Voraussetzungen nicht zurückgenommen werden. Wie prüfst Du das Vorliegen dieser Voraussetzungen?

  1. Anwendbarkeit des § 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG

    Zunächst muss man prüfen, ob ein Verwaltungsakt im Sinne des § 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG vorliegt. Dies ist nur der Fall, wenn der Verwaltungsakt (1) eine einmalige Geldleistung gewährt, (2) eine laufende Geldleistung gewährt, oder (3) eine teilbare Sachleistung gewährt oder (4) Voraussetzung hierfür ist (sog. Leistungsbescheide).

  2. Tatsächliches Vertrauen

    Bevor man sich der Frage widmen kann, ob der Begünstigte schutzwürdiges Vertrauen hatte, muss man zunächst feststellen, ob der Begünstigte überhaupt auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat. Im Normalfall - also wenn im Sachverhalt nichts Gegenteiliges angelegt ist - ist davon auszugehen, dass der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat. Etwas anderes gilt z.B., wenn er noch gar keine Kenntnis vom Verwaltungsakt hatte oder erklärt hatte, dass ihm ein Betrag, der eine bestimmte Summe überschreitet, nicht zustehe und er insoweit mit der Rückforderung rechne.

  3. Schutzwürdigkeit des Vertrauens, § 48 Abs. 2 VwVfG

    Hat man festgestellt, dass der Begünstigte tatsächlich auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat, muss man im nächsten Schritt abwägen, ob dieses Vertrauen auch schutzwürdig ist und das öffentlichen Interesse an der Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts überwiegt. Nur wenn und soweit das Vertrauen des Begünstigten nicht schutzwürdig ist, besteht eine Befugnis der Behörde, den Verwaltungsakt zurückzunehmen.

    1. Kein Ausschlusstatbestand, § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1-3 VwVfG

      Zunächst muss man prüfen, ob einer (oder mehrere) der Ausschlussgründe von § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1-3 VwVfG einschlägig ist. Die Vorschrift bestimmt ausnahmslos und ohne Wertungsmöglichkeit, dass sich der Begünstigte in drei Fällen nicht auf Vertrauen berufen kann: Er hat den Verwaltungsakt durch (1) arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung (Nr. 1) oder (2) durch Angaben, die im wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (Nr. 2) erwirkt. Auf Verschulden kommt es hier nicht an. Der Begünstigte kann sich auch nicht auf Vertrauen berufen, wenn er (3) Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts hatte (Nr. 3).

    2. Abwägung Vertrauensschutz gegen öffentliches Interesse, § 48 Abs. 2 S. 1 und 2 VwVfG

      Liegt kein Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1-3 VwVfG vor, so ist nun gemäß § 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG abzuwägen, ob der Vertrauensschutz das öffentliche Interesse an der Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts überwiegt. Nach § 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG ist das Vertrauen des Begünstigten in den Fortbestand des Verwaltungsakts in der Regel schutzwürdig und überwiegt damit, soweit der Begünstigte die gewährten Leistungen verbraucht hat oder Vermögensdispositionen getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (Vermutungsregel). Greift § 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG nicht, so überwiegt regelmäßig das öffentliche Rücknahmeinteresse, weil die Rücknahme den Begünstigten dann nicht unzumutbar belastet.

  4. Rücknahmeermessen, § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG

    Auch wenn das Vertrauen des Begünstigten in den Fortbestand des Verwaltungsakts nicht schutzwürdig ist und damit eine Rücknahmebefugnis besteht, muss die Behörde den Verwaltungsakt nicht zurücknehmen. Rechtsfolge der Rechtsgrundlage (die auch für den begünstigenden Verwaltungsakt § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG ist!) ist eine Ermessensentscheidung über die Rücknahme (§ 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG: "kann"). In den Fällen des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG ist das Ermessen eingeschränkt, der Verwaltungsakt muss in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Aber auch in den anderen Fällen nicht schutzwürdigen Vertrauens sollte die Behörde in der Regel den rechtswidrigen Verwaltungsakt zurücknehmen (intendiertes Ermessen).

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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FJE

Friedrich-Schiller-Universität Jena

16.1.2024, 22:19:39

Hallo, ich habe beigebracht bekommen, den Abs. 2 von hinten nach vorne zu prüfen. Ist beides möglich?

MAG

Magie99Capona

2.5.2024, 17:21:31

Hab ich auch so gelernt, erst Satz 3 dann 2 dann 1

Kai

Kai

17.12.2024, 23:14:55

@[Friedrich-Schiller-Universität Jena](134036) Ich denke, es kommt darauf an, wie man den Abs. 2 S. 3 einordnet. Wenn man ihr als Ausschlusstatbestand sieht, ergibt es durchaus Sinn, das Schema so zu machen. Erst prüft man, ob grds. schutzwürdiges Vertrauen vorliegt, danach, ob dennoch ein Ausschluss greifen muss. Überzeugender finde ich es andersherum, wie du und @[Magie99Capona](247187) es machen. Wenn einer der Gründe in S. 3 eingreift, ist das Vertrauen in keinem Fall schutzwürdig. Greift S. 3 nicht, ist zu prüfen ob auch außerhalb der "Regelbeispiele" in S. 3 Gründe vorliegen, aufgrund derer das Vertrauen nicht schutzwürdig ist.

Tobias Krapp

Tobias Krapp

27.12.2024, 11:14:14

Ein Hallo in die Runde @[Friedrich-Schiller-Universität Jena](134036) @[Magie99Capona](247187) @[Kai](56411)! Es ist vollkommen richtig, dass man im Rahmen der Schutzwürdigkeit des Vertrauens von hinten nach vorne prüft - also zuerst S. 3, wenn der nicht greift, ist eine Abwägung nach S. 1 erforderlich, und im Rahmen dessen gibt es die Indizwirkung des S. 2 (es sollte dennoch S. 1 hier zuvor erwähnt werden, da S. 2 eben nur eine Indizwirkung iRd S. 1 ist, die bei besonderen Umständen zurücktreten kann), wenn S. 2 nicht greift, ist "nur" nach S. 1 abzuwägen. Allerdings sollte man vor der Schutzwürdigkeit des Vertrauens kurz klarstellen, ob der Betroffene auch tatsächlich auf den Bestand des VAs vertraut hat. Denn ansonsten stellt sich die Frage der Schutzwürdigkeit ja gar nicht, da es ohnehin kein Vertrauen gab. Das Zitat des S. 1 in unserem Gliederungspunkt II. war bisher insoweit etwas missverständlich, denn damit war gerade nicht, wie von @[Kai](56411) so verstanden, gemeint, dass man zuerst abwägen soll, ob schutzwürdiges Vertrauen nach S. 1 vorliegt. Vielmehr soll man nur kurz klarstellen, ob überhaupt Vertrauen vorliegt, was, wie im Ausklapptext angesprochen, regelmäßig unproblematisch ist. Das ist also II.; III. ist dann die Schutzwürdigkeit und da prüft man wie oben und von euch gesagt von S. 3 zu S. 1. Ich habe das missverständliche Normzitat gelöscht. Ich hoffe, damit sind alle Fragen geklärt! Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias

AS

astorido

3.5.2024, 12:43:18

Hallo Jura-Fuchs-Team, ich bin mir noch nicht sicher, wo ich das Schema mit einbringen muss. Sollte ich das bei der Begründetheit ansprechen? Vg

GO

gova

15.5.2024, 15:35:00

Dieses Schema muss m.E. nicht Punkt für Punkt in der Prüfung übernommen werden, sondern dient vielmehr als Übersicht für einen strukturierten Aufbau. Ich würde die genannten Punkte in der Reihenfolge in der Materiellen Rechtmäßigkeit der Rücknahme unter dem Punkt „Vereinbarkeit mit § 48 I 2, II, III VwVfG“ prüfen. Vorher prüfst du, ob ein

rechtswidrig

er

begünstigender Verwaltungsakt

vorliegt und ob es sich hierbei um einen Leistungsbescheid handelt oder einen sonstigen VA iSd. § 48 III VwVfG. Handelt es sich um einen sonstigen VA, musst du diese Prüfung nicht vornehmen.


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