Hallo @[Artimes](3106),
das ist eine sehr breite Frage, die sich mE in Form eines Forumsposts nicht mehr gut abbilden lässt, sondern in den Einzelheiten zB eher ein Thema für einen wissenschaftlichen Aufsatz wäre. Falls Dich konkrete Punkte näher interessieren, können wir darüber aber natürlich gerne nochmal genauer sprechen.
Auch bei der Haftung nach cic bleibt es bei dem Grundsatz des § 280 I 2 BGB, nach dem das Vertretenmüssen des Schuldners vermutet wird. Häufig ist die Abgrenzung zur Frage der
Pflichtverletzung, die grds vom Gläubiger darzulegen und zu beweisen ist, allerdings nicht trennscharf. Der BGH hat sich zu dieser Frage und der von Dir angesprochenen Beweislastverteilung nach Gefahren- und Organisationsbereichen jüngst im Weintrauben-Fall (NJW-RR 2023, 95) noch einmal geäußert. Darauf würde ich Dich zunächst mal verweisen. So heißt es dort (S 96 f):
"Nach § 280 I 1 BGB trägt allerdings der Gläubiger grundsätzlich die Beweislast für die
Pflichtverletzung, während der Schuldner nach § 280 I 2 BGB beweisen muss, dass er die
Pflichtverletzung nicht iSd § 276 BGB zu vertreten, also verschuldet hat. Bestimmt sich der Inhalt der sich aus dem Schuldverhältnis ergebenden (Verhaltens-)Pflicht – wie im Fall der
Verkehrssicherungspflicht – nach der unter Beobachtung der jeweiligen Umstände verkehrserforderlichen Sorgfalt, überschneidet sich die Pflichtwidrigkeit gem. § 280 I 1 BGB jedoch mit dem Vertretenmüssen/Verschulden gem. § 280 I 2 BGB. Zum Verschulden gehört ein äußeres Fehlverhalten, im Fall der Fahrlässigkeit der Verstoß des äußeren Verhaltens gegen
die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (§ 276 II BGB). Infolgedessen verliert die Regelung des § 280 I BGB für diese Fälle ihre Eindeutigkeit. Die Beweislastverteilung wird in diesen Fällen somit durch die Unterscheidung zwischen
Pflichtverletzung und Verschulden nicht definitiv bestimmt (vgl. Staudinger/Schwarze BGB, Neubearb., 2019, § 280 Rn. F 38 f.).
Vor diesem Hintergrund hat der BGH – bereits unter Geltung des alten Rechts – hinsichtlich der Verletzung von
Schutzpflichten eine Beweislastverteilung nach Gefahren- und Organisationsbereichen vorgenommen. Nach gefestigter Rechtsprechung muss der Schuldner darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass ihn keine
Pflichtverletzung trifft, wenn die für den Schaden in Betracht kommenden Ursachen allein in seinem Gefahrenbereich liegen (vgl. BGH NJW 2018 = VersR 2019, 53 Rn. 14; NJW-RR 2017, 635 Rn. 31; NJW 2009, 142 = NZM 2009, 29 Rn. 15 f. mwN; zu §
282 BGB aF vgl. etwa Senat NJW 1962, 31 (32); BGH ZMR 2005, 520 (522) = BeckRS 2005, 3025 Rn. 14; BGHZ 66, BGHZ Band 66, 51 (53) = NJW 1976, 712 Rn. 5).
Nach diesen Grundsätzen hätte vorliegend die Bekl. beweisen müssen, dass von ihr bzw. ihren Organen und besonderen Vertretern, für die sie nach
§ 31 BGB einzustehen hat, die zur Vermeidung von Unfällen der streitgegenständlichen Art erforderlichen Organisations- und Überwachungsmaßnahmen getroffen worden sind und dass auch ihre
Erfüllungsgehilfen alle nach Lage der Sache erforderliche Sorgfalt bei der Ausübung der ihnen übertragenen Pflichten beobachtet haben. Insoweit verbleibende Zweifel gingen zulasten der Bekl. Denn die vom BerGer. als unfallursächliche Gefahrenquelle angenommene Verunreinigung des Fußbodens der Verkaufsfläche ist dem Gefahren- und Organisationsbereich der Bekl. zuzurechnen (vgl. Senat NJW 1962, 31 (32); BGHZ 66, 51 (53) = NJW 1976, 712 Rn. 5).
Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die in Rede stehende Weintraube aus dem Warensortiment der Bekl. stammte. Denn die Zuordnung dieser Gefahrenquelle zum Bereich der Bekl. beruht vorliegend maßgeblich darauf, dass die Bekl. durch die Verkehrseröffnung eine Situation geschaffen hat, in der die Kunden häufig abgelenkt und daher durch eine Glätte des Fußbodens oder durch auf dem Boden liegende Gegenstände in besonderer Weise gefährdet sind (vgl. Senat NJW 1962, 31 (32); NJW 1986, 2757 = VersR 1986, 765 Rn. 13). Die Gefahr, dass Besucher in der Einkaufssituation, etwa aufgrund ihrer Konzentration auf die angebotenen Waren, nicht wie üblich auf Glätte oder Gegenstände auf dem Fußboden achten, besteht aber unabhängig davon, ob eine etwaige Verunreinigung aus dem Warensortiment selbst stammt oder – womit der Betreiber eines Warenhauses rechnen muss – durch von Besuchern mitgebrachte Gegenstände verursacht wurde."
Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team