Grundfall zur Rügobliegenheit

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Supermarktbetreiber K und Großhändler V sind Kaufleute. K kauft von V drei Paletten Nudelsuppe in der Dose. V liefert die Paletten an K. K ist viel beschäftigt und sieht erst eine Woche später, dass 60 Dosen angeschlagen oder aufgebläht sind. Dies teilt er V sofort mit.

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Einordnung des Falls

Grundfall zur Rügobliegenheit

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wenn sich die Beschädigung der Dosen nicht auch auf die Suppe ausgewirkt hat, liegt kein Mangel i.S.d. § 434 BGB vor.

Nein!

Das HGB enthält keinen selbstständigen Mangelbegriff. Auch beim Handelskauf bleibt es also beim allgemeinen kaufrechtlichen Mangelbegriff des BGB (vgl. § 434 BGB). Danach ist eine Sache frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang den subjektiven, den objektiven und den Montageanforderungen entspricht (§ 434 Abs. 1 BGB). Die beschädigten Dosen erfüllen nicht die objektiven Anforderungen i.S.d. § 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 lit) a BGB. Selbst, wenn die Suppe darin mangelfrei ist, gehört auch die einwandfreie Verpackung zu der erwartbaren Beschaffenheit, da sich optisch beschädigte Ware schwerer verkaufen lässt. Der Mangel lag auch schon bei Gefahrenübergang vor.
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2. Liegt bei Gefahrenübergang ein Mangel an der Kaufsache vor, stehen dem Käufer beim Handelskauf stets Gewährleistungsansprüche zu.

Nein, das ist nicht der Fall!

Liegen bei Gefahrübergang Mängel vor, so stehen dem Käufer Gewährleistungsansprüche zu. Dies gilt im Grundsatz auch bei Handelskäufen, auf die das allgemeine Kaufrecht (§§ 433ff. BGB) samt der Gewährleistungsrechte Anwendung findet. Allerdings werden einige Regelungen in den §§ 373ff. HGB modifiziert. Im Hinblick auf die Leichtigkeit und Schnelligkeit des Handelsverkehrs ist der Kaufmann verpflichtet, erhaltene Ware zu untersuchen und Mängel unverzüglich zu rügen. Kommt er dem nicht nach, so gilt die Ware als genehmigt, was zum Verlust seiner Gewährleistungsrechte führt (§ 377 Abs. 2 HGB).In der Klausur sind die folgenden Punkte zu prüfen: (1) Handelskauf im Sinne eines beidseitigen Handelsgeschäfts (§ 343 Abs. 1 BGB), (2) Ablieferung der Ware, (3) Mangelhaftigkeit der Ware (§ 434 f. BGB), (4) Unterlassung der gebotenen Rüge (§ 377 Abs. 1, Abs. 3 HGB), (5) keine Arglist des Verkäufers(§ 377 Abs. 5 HGB)

3. Liegt ein Handelskauf im Sinne eines beidseitigen Handelsgeschäfts (vgl. § 343 Abs. 1 BGB) vor?

Ja, in der Tat!

Der Handelskauf ist ein Handelsgeschäft im Sinne des § 343 Abs. 1 HGB in Form eines Kaufvertrags (§ 433 BGB) über eine Ware, also eine bewegliche Sache. Handelsgeschäfte sind alle Geschäfte eines Kaufmanns, die zum Betriebe seines Handelsgewerbes gehören (§ 343 Abs. 1 HGB). Bei einem beidseitigen Handelsgeschäft sind beide Vertragsparteien Kaufleute. V und K sind beide Kaufleute. Sie haben einen Kaufvertrag über drei Paletten Nudelsuppe in der Dose geschlossen, als über bewegliche Sachen. Dieses Geschäft gehört auch zu Vs und Ks Handelsgewerbe. Es liegt ein Handelskauf im Sinne eines beidseitiges Handelsgeschäft vor.

4. Die Ware wurde abgeliefert.

Ja!

Die Ablieferung ist eine tatsächliche Handlung, durch die der Käufer in die Lage versetzt wird, die Ware an sich zu nehmen und zu prüfen. Laut Sachverhalt wurden die Paletten Nudelsuppe an K geliefert und damit in Ks räumliche Nähe verbracht. Er hatte somit Gelegenheit, diese zu prüfen.Der Begriff der Ablieferung (Pflicht des Verkäufers) ist von dem der „Abnahme“ i.S.d. § 433 Abs. 2 BGB (Pflicht des Käufers) zu unterscheiden. Beide Handlungen werden zeitlich allerdings regelmäßig zusammenfallen.

5. Um Gewährleistungsansprüche geltend machen zu können, müsste K den Mangel ordnungsgemäß gerügt haben i.S.d. § 377 HGB.

Genau, so ist das!

Eine ordnungsgemäße Rüge setzt (1) die Anzeige des Mangels und (2) die Rechtzeitigkeit der Anzeige voraus. Rügt der Käufer nicht ordnungsgemäß, verliert der Käufer seine Rechte aus §§ 434, 437 BGB. Ansprüche wegen unerlaubter Handlung (§§ 823ff. BGB) bleiben erhalten. Bei einer Schlecht- oder Zuwenig-Lieferung behält der Verkäufer seinen Anspruch auf den vollen Kaufpreis.

6. Indem K dem V die zahlreichen Mängel an den Dosen mitgeteilt hat, hat K die Mängel „angezeigt“.

Ja, in der Tat!

Eine Rüge ist eine formlose Anzeige der Mängel durch den Käufer an den Verkäufer. Aus der Anzeige müssen Art und Umfang der Mängel erkennbar sein. Verschiedene Mängel sind einzeln aufzuführen. Nicht erforderlich ist die Benennung der Gewährleistungs- und Nichterfüllungsansprüche, die der Käufer geltend machen will. K hat V über die Art des Mangels sowie die Anzahl der betroffenen Dosen informiert.

7. Erfolgte Ks Anzeige auch rechtzeitig? (§ 377 Abs. 1 HGB i.V.m. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB).

Nein!

Die Rüge muss unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB), erfolgen. Dabei ist zwischen offenen und verdeckten Mängeln zu differenzieren: Offene Mängel sind solche, die im Rahmen der gebotenen Untersuchung erkennbar sind. Die Rüge ist hier ab dem Zeitpunkt geboten, an dem der Käufer zur Untersuchung verpflichtet war (idR sofort bzw. innerhalb weniger Tage). Versteckte Mängel sind solche, die bei der gebotenen Untersuchung nicht erkennbar sind. Sie müssen erst nach Erkennbarkeit gerügt werden (§ 377 Abs. 3 HGB). Die Beschädigung der Dosen war bereits optisch ohne Weiteres erkennbar. K hätte die Ware unverzüglich untersuchen müssen, wobei er auch den Mangel entdeckt hat. Die erst nach einer Woche vorgenommene Untersuchung und Rüge erfolgte insoweit verspätet.

8. Die verspätete Rüge ist unschädlich, wenn V bei der Anlieferung unredlich gewesen wäre (vgl. § 377 Abs. 5 HGB).

Genau, so ist das!

Die Rügeobliegenheit des Käufers entfällt, wenn der Verkäufer den Mangel arglistig verschweigt. Ebenso kommt es zu einem Ausschluss der Rügeobliegenheit, wenn der Verkäufer auf diese und ihre Rechtsfolgen verzichtet. Anhaltspunkte für ein arglistiges Verschweigen des Mangels gibt es nicht, sodass Ks Rügeobliegenheit nicht ausgeschlossen war.

9. Kann K von V noch Nacherfüllung verlangen?

Nein, das trifft nicht zu!

Rügt der Käufer ordnungsgemäß, behält er die aus dem Kaufrecht bekannten Gewährleistungsansprüche. Tut er dies nicht, „gilt die Ware als genehmigt“ (§ 377 Abs. 2 HGB). Der Käufer hat wegen des Mangels, aber auch wegen auf dem Mangel beruhender Schäden, keine Rechte. Ansprüche, die nicht auf dem Mangel beruhen, bleiben unberührt. K hat hier nicht ordnungsgemäß gerügt und somit seine Gewährleistungsrechte aus §§ 434, 437 BGB verloren.Die Regelungen zum Handelskauf sind bei Prüfungsämtern beliebt. Denn allein durch die Wahl von zwei Kaufleuten als beteiligte Akteure, lässt sich eine gewöhnliche Kaufrechtsklausur bereits „andicken“! Mache Dich also mit den nachfolgenden Fallkonstellationen vertraut, dann bist Du für den Ernstfall bestens gewappnet!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ZMOU

ZMou

13.2.2024, 20:12:58

Hey liebes Jurafuchs-Team, es wurde im Klausurhinweis und in einer Frage § 343 I BGB zitiert („Liegt ein

Handelsgeschäft

im Sinne eines beidseitigen

Handelsgeschäft

s i.S.v. § 343 Abs. 1 BGB vor?“), obwohl vermutlich § 343 I HGB gemeint ist. Das müsste korrigiert werden :)

AMA

Amastris

28.2.2024, 22:05:14

Dem schließe ich mich ebenfalls an. Es müsste § 343 HGB heißen .


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