Einführungsfall

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

M und S wollen ihren Traum vom Eigenheim verwirklichen. Doch die Behörde lehnt ihre Baugenehmigung ab. M und S meinen, dass dies wohl kaum mit rechten Dingen zugehen könne. Sie wollen klagen. Nur sind sie sich unsicher: Müssen sie ihre Klage vor dem Verwaltungsgericht oder dem ordentlichen Gericht einreichen?

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Einordnung des Falls

Einführungsfall

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Für eine Klage vor dem Verwaltungsgericht muss der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein. Dieser bestimmt sich maßgeblich nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO.

Ja!

Die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweg richtet sich nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Danach ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, wenn (1) keine aufdrängende Sonderzuweisung vorliegt, (2) eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben ist und (3) der Streit nicht durch eine abdrängende Sonderzuweisung einer anderen Gerichtsbarkeit zugewiesen ist. Der Zugang zu deutschen Gerichten ist in fünf getrennte Gerichtsbarkeiten aufgeteilt: Neben der Verwaltungsgerichtsbarkeit gibt es die ordentliche Gerichtsbarkeit – hierhin gelangen üblicherweise zivil- und strafrechtliche Streitigkeiten – , die Arbeitsgerichtsbarkeit, die Sozialgerichtsbarkeit und die Finanzgerichtsbarkeit. Eine Streitigkeit muss derjenigen Gerichtsbarkeit zugeführt werden, die für die Streitigkeit zuständig ist. Deshalb ist es auch Gegenstand von verwaltungsgerichtlichen Klausuren, ob der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Ist er nicht eröffnet, muss das Verfahren vor einer anderen – der zuständigen – Gerichtsbarkeit geführt werden.
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2. Unabhängig von den besonderen Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO kann der Verwaltungsrechtsweg auch aufgrund besonderer Zuweisungsnormen eröffnet sein (sog. aufdrängende Sonderzuweisungen).

Genau, so ist das!

§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO enthält eine Generalklausel, die besondere Voraussetzungen normiert, unter denen der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Unabhängig davon existieren sog. verwaltungsrechtliche Sonderzuweisungen: Dies sind spezielle Regelungen, die bestimmte Streitigkeiten ausdrücklich den Verwaltungsgerichten zuordnen. Sie bestimmen unabhängig von den Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit für diese Streitigkeiten zuständig ist. Sie sind deshalb vorrangig vor den Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO zu prüfen. Wichtige Beispiele für solche aufdrängenden Sonderzuweisungen sind § 126 Abs. 1 BBG, § 54 Abs. 1 BeamtStG, § 82 SoldatenG oder § 54 BaföG. Hast Du also z.B. eine beamtenrechtliche Klausur vor Dir, musst Du die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs begründen unter Hinweis auf die aufdrängende Sonderzuweisung aus § 126 Abs. 1 BBG bzw. § 54 Abs. 1 BeamtStG. Hier wäre es falsch, anschließend noch die besonderen Voraussetzungen von § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO zu prüfen. Mehr dazu im weiteren Verlauf dieses Kurses. Dass der Verwaltungsrechtsweg aufgrund von aufdrängenden Sonderzuweisungen eröffnet sein kann, muss man sich einmal merken. Diese Sonderzuweisungen sind vorrangig vor der Generalklausel des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO zu prüfen; das ergibt sich aus dem lex-specialis-Grundsatz.

3. Liegt eine aufdrängende Sonderzuweisung vor?

Nein, das trifft nicht zu!

Aufdrängende Sonderzuweisungen sind spezielle Regelungen, die gewisse Streitigkeiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit zuordnen. Für Streitigkeiten im Zusammenhang der Erteilung einer Baugenehmigung gibt es keine aufdrängende Sonderzuweisung.

4. Mangels aufdrängender Sonderzuweisung ist die Generalklausel des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO maßgeblich. Setzt § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO voraus, dass die Streitigkeit öffentlich-rechtlich ist?

Ja!

Wie sich unmittelbar aus dem Wortlaut des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO ergibt, ist der Verwaltungsrechtsweg danach nur eröffnet für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten. Nach ganz herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur ist eine Streitigkeit dann öffentlich-rechtlich, wenn die streitentscheidende Norm öffentlich-rechtlich ist. Es kommt darauf an, ob dem Rechtsstreit eine Norm zugrunde liegt, deren Rechte und Pflichten sich allein an einen Träger hoheitlicher Gewalt gerade in seiner Eigenschaft als Hoheitsträger richten. Für die Bestimmung, ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich ist, werden verschiedene Theorien vertreten: die Interessentheorie, die Subordinationstheorie und die ganz herrschende Sonderrechtstheorie (auch modifizierte Subjektstheorie genannt). Die musst Du aber an dieser Stelle noch nicht im Detail kennenlernen. Die Theorien werden wir Dir im weiteren Verlauf dieses Kapitels erläutern.

5. Eine Streitigkeit ist nach h.M. dann öffentlich-rechtlich, wenn die streitentscheidende Norm öffentlich-rechtlich ist. Liegt hier eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor?

Genau, so ist das!

Nach der ganz herrschenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur (sog. Sonderrechtstheorie, auch modifizierte Subjektstheorie genannt) ist eine Streitigkeit dann öffentlich-rechtlich, wenn die streitentscheidende Norm öffentlich-rechtlich ist. Es kommt darauf an, ob dem Rechtsstreit eine Norm zugrunde liegt, deren Rechte und Pflichten sich allein an einen Träger hoheitlicher Gewalt gerade in seiner Eigenschaft als Hoheitsträger richten. M und S möchten ihren Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung geltend machen. Ob ein solcher Anspruch besteht, beurteilt sich nach den Normen des öffentlichen Baurechts. Die Anspruchsgrundlagen zur Erteilung einer Baugenehmigung berechtigen und verpflichten Hoheitsträger einseitig, ein Bauvorhaben zu genehmigen. Mithin liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor. Die Anspruchsgrundlagen für den Erlass einer Baugenehmigung finden sich in den jeweiligen bauordnungsrechtlichen Gesetzen der Länder (z.B. § 71 Abs. 1 BauO Bln oder § 75 Abs. 1 BauO NRW).

6. Daneben setzt § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO voraus, dass die Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art ist. Ist Streitigkeit hier verfassungsrechtlicher Art?

Nein, das trifft nicht zu!

§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO fragt danach, ob die Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art ist, um eine Abgrenzung zur Verfassungsgerichtsbarkeit herbeizuführen. Entscheidend ist danach, ob der Streitgegenstand dem Verfassungsrecht zuzuordnen ist. Eine Streitigkeit ist verfassungsrechtlicher Art, wenn (1) zwei Verfassungsorgane am Streit beteiligt sind und (2) die Verfassungsorgane unmittelbar über spezifisches Verfassungsrecht streiten (sog. doppelte Verfassungsunmittelbarkeit). Weder M und S noch die Behörde sind Verfassungsorgane. Zudem streiten sie nicht über spezifisches Verfassungsrecht. Mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit ist der Streit von M und S mit der Behörde nichtverfassungsrechtlicher Art i.S.d. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO.

7. Die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO sind damit grundsätzlich erfüllt. Könnte trotzdem ein anderer Rechtsweg als der Verwaltungsrechtsweg einschlägig sein?

Ja!

Auch wenn eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegt und damit der Verwaltungsrechtsweg nach den Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO grundsätzlich eröffnet ist, kann die Streitigkeit doch noch einer anderen Gerichtsbarkeit gesetzlich zugewiesen sein (sog. abdrängende Sonderzuweisung). Der Verwaltungsrechtsweg ist somit nur für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art eröffnet, soweit die Streitigkeiten nicht einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO a.E.). Wichtige Beispiele für solche abdrängenden Sonderzuweisungen sind § 49 Abs. 4 VwVfG (bei Entschädigungen beim Widerruf eines begünstigenden Verwaltungsakts mit Vertrauen auf Bestand), § 23 EGGVG (bei Justizverwaltungsakten) oder § 40 Abs. 2 S. 1 VwGO (bei bestimmten Ansprüchen gegen die öffentliche Hand). Maßgeblicher Hintergrund ist, dass bestimmte nicht verfassungsrechtliche Streitigkeiten, die sich als öffentlich-rechtlich qualifizieren lassen, historisch der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugewiesen waren. Damit sie trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO von den ordentlichen Gerichten entschieden werden dürfen, bedarf es einer abdrängenden Sonderzuweisung. Merk Dir das so: Die aufdrängende Sonderzuweisung drängt die Streitigkeit dem Verwaltungsrechtsweg auf, unabhängig von § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Die abdrängende Sonderzuweisung drängt die Streitigkeit vom Verwaltungsrechtsweg weg, obwohl § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO ansonsten erfüllt ist.

8. Liegt hier eine abdrängende Sonderzuweisung vor?

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine abdrängende Sonderzuweisung ist eine gesetzliche Regelung, nach der Streitigkeit einer anderen Gerichtsbarkeit zugewiesen wird, obwohl die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO ansonsten erfüllt sind. Eine abdrängende Sonderzuweisung ist hier nicht einschlägig.

9. Ist der Verwaltungsrechtsweg damit vorliegend eröffnet?

Ja, in der Tat!

Der Verwaltungsrechtsweg ist nach Maßgabe von § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet, wenn (1) keine aufdrängende Sonderzuweisung vorliegt, (2) eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben ist und (3) der Streit nicht durch eine abdrängende Sonderzuweisung einer anderen Gerichtsbarkeit zugewiesen ist. Eine aufdrängende Sonderzuweisung liegt nicht vor. Die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs richtet sich deshalb nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Dessen Voraussetzungen sind erfüllt. Die Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich und nichtverfassungsrechtlicher Art. Eine abdrängende Sonderzuweisung ist nicht gegeben. Der Verwaltungsrechtsweg ist damit eröffnet.
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