Öffentliches Recht

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Entscheidungen von 2023

Versammlungsrecht: Der Versammlungsort muss möglichst beibehalten werden (OVG NRW, Urt. v. 22.12.2023, Az. 15 A 2417/20)

Versammlungsrecht: Der Versammlungsort muss möglichst beibehalten werden (OVG NRW, Urt. v. 22.12.2023, Az. 15 A 2417/20)

20. Januar 2025

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Polizei P in Stadt C (Land L) nahm am 24.08.2019 mehrere Klimaaktivisten in Gewahrsam und verbrachte sie ins Polizeipräsidium. Daraufhin meldete K für denselben Abend eine Mahnwache als Spontanversammlung mit 24 Teilnehmern unmittelbar vor dem Präsidium an. P untersagte die Durchführung der Mahnwache dort und verlegte sie auf eine andere Straße ohne Sichtachse zum Präsidium.

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Einordnung des Falls

Versammlungsrecht: Der Versammlungsort muss möglichst beibehalten werden (OVG NRW, Urt. v. 22.12.2023, Az. 15 A 2417/20)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 15 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K möchte einige Tage später gegen die Verlegung der Mahnwache klagen. Ist die Anfechtungsklage die statthafte Klageart?

Nein!

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Begehren des Klägers (vgl. § 88 VwGO). Begehrt der Kläger die Aufhebung eines belastenden (wirksamen) Verwaltungsakts, ist die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) statthaft. Ein Verwaltungsakt ist eine (1) hoheitliche Maßnahme einer (2) Behörde zur (3) Regelung eines (4) Einzelfalls auf dem (4) Gebiet des öffentlichen Rechts mit (5) unmittelbarer Rechtswirkung nach außen (§ 35 S. 1 VwVfG). Bei dem Verbot, die Mahnwache vor dem Präsidium durchzuführen, handelt es sich um einen Verwaltungsakt i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG, dieser ist für K auch belastend. Allerdings hat er sich nach dem Abend des 24.08.2019 wegen Zeitablaufs erledigt (§ 43 Abs. 2 VwVfG) und ist daher nicht mehr wirksam. Begehrt der Kläger die Feststellung, dass ein erledigter Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, ist die Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO) statthaft. Beachte: Hier ist die Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO statthaft, da sich der Verwaltungsakt bereits vor Klageerhebung erledigt hat.
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2. Damit die erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig ist, müsste K ein berechtigtes Interesse an der Feststellung haben. Liegt ein solches Interesse hier vor?

Genau, so ist das!

Der Kläger muss ein sog. Fortsetzungsfeststellungsinteresse haben (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO). Nach der Rspr. liegt ein solches vor in folgenden Fallgruppen: (1) Wiederholungsgefahr, (2) Rehabilitationsinteresse, (3) Präjudizinteresse und (4) (Tiefgreifender) Grundrechtseingriff bei typischerweise schnell erledigten Maßnahmen. Der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) umfasst das Recht des Klägers, frei über Ort, Zeit, Art und Inhalt der Versammlung zu bestimmen (RdNr. 22). Die Auswahl des Versammlungsorts vor dem Präsidium hatte hier einen spezifischen Bezug zum Anlass der Mahnwache. Durch die Verlegung wurde der Charakter der Versammlung verändert. Darin liegt ein tiefgreifender Grundrechtseingriff, sodass ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse gegeben ist. Lange war umstritten, unter welchen Voraussetzungen das Fortsetzungsfeststellungsinteresse bei typischerweise schnell erledigten Maßnahmen angenommen werden kann. Das BVerwG hat jüngst geklärt, dass nicht allein die typischerweise schnelle Erledigung ausreicht, sondern zudem ein qualifizierter Grundrechtseingriff vorliegen muss. Siehe dazu diesen Fall .

3. Ks im Übrigen zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage ist begründet, wenn die Verlegung der Mahnwache rechtswidrig gewesen ist und sie K dadurch in ihren Rechten verletzte (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO).

Ja, in der Tat!

Da es sich bei der Fortsetzungsfeststellungsklage in der Anfechtungssituation um eine fortgesetzte Anfechtungsklage handelt, ergibt der Prüfungsmaßstab sich aus § 113 Abs. 1 S. 4 i.V.m. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO. Erforderlich ist für die Begründetheit (1) die Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsakts und (2) eine subjektive Rechtsverletzung des Klägers. Sofern sich der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweist, kannst Du die Rechtsverletzung des Klägers in Deiner Klausur anschließend in einem Satz unter Hinweis auf eine Verletzung jedenfalls der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) feststellen.

4. Die Verlegung der Mahnwache müsste zunächst auf einer tauglichen Ermächtigungsgrundlage beruhen.

Ja!

Die Begründetheit der Fortsetzungsfeststellungsklage setzt zunächst voraus, dass der erledigte Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist. Ein Verwaltungsakt ist rechtmäßig, wenn er (1) auf eine rechtmäßigen Ermächtigungsgrundlage gestützt ist und (2) formell sowie (3) materiell rechtmäßig ist.

5. Der zuständige Polizist bezeichnete die Verlegung der Mahnwache als „Auflage”. Ist daher § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG die zutreffende Ermächtigungsgrundlage?

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 36 VwVfG ermächtigt die Behörde dazu, einen (Haupt-)Verwaltungsakt (§ 35 S. 1 VwVfG) mit einer Nebenbestimmung zu versehen. Erforderlich ist für eine Nebenbestimmung also stets eine Hauptregelung, neben die sie tritt. Hier ist kein begünstigender (Haupt-) Verwaltungsakt ergangen: Versammlungen sind erlaubnisfrei (Art. 8 Abs. 1 GG), sodass insbesondere keine Erlaubnis vorliegt, an welche Nebenbestimmungen geknüpft werden könnten. Eine Auflage i.S.d. § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG liegt also nicht vor. Es handelt sich vielmehr um einen eigenständigen Verwaltungsakt.In Deiner Klausur solltest Du beachten, dass die Bezeichnung einer Maßnahme durch die Behörde allenfalls Indizwirkung hat. Du musst stets also selbst prüfen, ob es sich tatsächlich um die bezeichnete Maßnahme handelt (hier z.B. eine Auflage i.S.d. § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG).

6. Die zutreffende Ermächtigungsgrundlage ergibt sich hier aus dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht des Landes L.

Nein, das trifft nicht zu!

Handelt die Polizei als Versammlungsbehörde zur Abwehr einer versammlungsspezifischen Gefahr, so verdrängt das speziellere VersG das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht, sog. Polizeifestigkeit der Versammlung. Ein Rückgriff auf das PolG ist dann grundsätzlich nicht möglich. Wenn in Deiner Klausur die Polizei handelt, kannst Du (gedanklich) wie folgt vorgehen, um die zutreffende Ermächtigungsgrundlage zu ermitteln: (1) Spezialgesetz einschlägig (z.B. VersG)? Wenn nein: (2) Besondere Ermächtigungsgrundlage im PolG (Standardmaßnahme)? Wenn nein: (3) Polizeirechtliche Generalklausel (z.B. § 8 Abs. 1 PolG NRW).

7. Das Land L hatte zum maßgeblichen Zeitpunkt kein eigenes Versammlungsgesetz. Konnte die Verlegung der Mahnwache auf eine Ermächtigungsgrundlage aus dem VersG gestützt werden?

Ja!

Seit der Förderalismusreform 2006 liegt die Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht bei den Ländern (Art. 70, 30 GG). Zuvor hatte der Bund für diesen Bereich eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz (Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG a.F.). Gemäß Art. 125a Abs. 1 S. 1 GG gelten die auf Grundlage der alten Kompetenzordnung erlassenen Bundesgesetze fort, sie können aber durch Landesrecht ersetzt werden (Art. 125a Abs. 1 S. 2 GG). Wenn und solange in einem Land kein eigenes Versammlungsgesetz erlassen wurde (derzeit noch in acht Ländern), gilt dort also das VersG des Bundes fort.

8. § 15 Abs. 1 VersG ermächtigt die Versammlungsbehörde nicht ausdrücklich dazu, den Ort einer Versammlung zu verlegen.Lässt sich eine Ortsverlegung gleichwohl auf § 15 Abs. 1 VersG stützen?

Genau, so ist das!

Dem Wortlaut nach ermächtigt § 15 Abs. 1 VersG nicht ausdrücklich zu einer Ortsverlegung, sondern zu Verboten und „bestimmten Auflagen”. Wenn die Versammlungsbehörde aber sogar zum Verbot ermächtigt wird, dann erst recht zu allen milderen Maßnahmen (sog. Minus-Maßnahmen). Unter „Auflage“ i.S.d. § 15 Abs. 1 VersG sind daher alle Einschränkungen zu fassen, die milder als ein Versammlungsverbot sind. § 15 Abs. 1 VersG ist damit hier für die Ortsverlegung die richtige Ermächtigungsgrundlage. § 15 Abs. 1 VersG setzt voraus, dass eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel vorliegt, wie sich aus der systematischen Stellung der Vorschrift im Abschnitt 3 „Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel“ ergibt. Eine Versammlung ist öffentlich, wenn jedermann an ihr teilnehmen kann. „Unter freiem Himmel“ meint nicht, dass keine Bedachung vorhanden ist, sondern dass keine seitliche Zutrittsbegrenzung existiert. Beachte in einer Klausur bitte, dass je nach Art der Versammlung (unter freiem Himmel oder in geschlossenen Räumen) unterschiedliche Ermächtigungsgrundlagen greifen. Zum Überblick kannst Du einen Blick in die Inhaltsübersicht des VersG werfen.

9. Weiter setzt der Tatbestand des § 15 Abs. 1 VersG eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit voraus.

Ja, in der Tat!

Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst (1) die Unversehrtheit der Rechtsordnung, (2) den Schutz von Individualrechtsgütern und (3) Bestand des Staates, seiner Einrichtungen und Veranstaltungen (RdNr. 27). Eine unmittelbare Gefahr setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden an den geschützten Rechtsgütern führen wird (RdNr. 28). Darin unterscheidet sich der von § 15 Abs. 1 VersG vorausgesetzte Gefahrbegriff vom Begriff der konkreten Gefahr, der in den polizeil- und ordnungsrechtlichen Generalklauseln der Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder (z.B. § 17 Abs. 1 ASOG, § 8 Abs. 1 PolG NRW) verwendet wird: Die unmittelbare Gefahr i.S.d. § 15 Abs. 1 VersG stellt höhere Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts („mit hoher Wahrscheinlichkeit“).

10. P macht geltend, die frei zugängliche Fläche vor dem Präsidium sei kein Raum, der für Versammlungen in Anspruch genommen werden könne. Begründet die Durchführung der Mahnwache dort eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit?

Nein!

In Betracht kommt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit unter dem Gesichtspunkt der Unversehrtheit der Rechtsordnung, sofern Art. 8 Abs. 1 GG tatsächlich nicht die Durchführung der Versammlung vor dem Präsidium schützt. OVG: Art. 8 Abs. 1 GG schützt gerade auch die Wahl des Ortes der Versammlung und erlaubt die Durchführung von Versammlungen dort, wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist. Dies ist bei öffentlichen Straßen, aber auch bei anderen Orten der allgemeinen Kommunikation der Fall: „Ausschlaggebend ist die tatsächliche Bereitstellung des Orts und ob nach diesen Umständen ein allgemeines öffentliches Forum eröffnet ist“ (RdNr. 31). Die Fläche vor dem Polizeipräsidium ist weder eingefriedet noch sonst zugangsbeschränkt. Sie steht der Nutzung durch die Allgemeinheit grundsätzlich offen und bietet so die Möglichkeit, Forderungen einem allgemeinen Publikum zu Gehör zu bringen. Sie stellt daher einen öffentlichen Kommunikationsraum dar und kann als Versammlungsort fungieren (RdNr. 31ff.). Die Wahl dieses Ortes ist also von Art. 8 GG geschützt und stellt keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Wenn Du Dein Wissen zum Schutzbereich der Versammlungsfreiheit noch einmal auf den neuesten Stand bringen möchtest, schau Dir dazu dieses Kapitel im unserem Grundrechte-Kurs an.

11. P bringt zudem vor, dass die Fläche vor dem Präsidium im Eigentum der T-AG stehe und vom Land nur gemietet sei. Ändert das Privateigentum an der Fläche etwas daran, dass dort die Versammlungsfreiheit gewährleistet ist?

Nein, das ist nicht der Fall!

Trotz des Privateigentums der T-AG an der Fläche ist dort in räumlicher Hinsicht die Versammlungsfreiheit gewährleistet. Die T-AG stellt den Platz frei zugänglich zur Verfügung und eröffnet so nach den genannten Maßstäben ein allgemeines Forum. Dies gilt insbesondere deshalb, da die T-AG die Fläche an das Land L vermietet: Aufgrund des Mietvertrags steht die Nutzungsbefugnis vorrangig dem Land L zu. Dieses ist unmittelbar grundrechtsgebunden (Art. 1 Abs. 3 GG). Die Bestimmungsbefugnis der T-AG über ihr Privateigentum wird daher von der Versammlungsfreiheit überlagert(RdNr. 34). Zu dem Problemkreis der Versammlungsfreiheit bei im Privateigentum stehenden Flächen, auf denen ein öffentlicher Verkehr eröffnet ist, siehe diesen Fall .

12. P trägt ferner vor, dass die Versammlungsteilnehmer bei einer Mahnwache vor dem Präsidium den Ein- und Ausfahrtsbereich des Präsidiums blockieren. Liegt darin eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit?

Ja, in der Tat!

Würde die Mahnwache unmittelbar vor dem Polizeipräsidium durchgeführt, wäre zu befürchten, dass sich die Teilnehmer auf der gesamten Fläche des Vorplatzes, damit auch dem Ein- und Ausfahrtsbereich aufhalten. Dies begründet zum einen eine Gefahr für Leib und Leben der Versammlungsteilnehmern für den Fall des eiligen Ausrückens von Polizeifahrzeugen. Zum anderen könnte die Funktionsfähigkeit der Polizei als öffentliche Einrichtung beeinträchtigt werden. Somit ist die öffentliche Sicherheit betroffen. Die Gefahr ist auch unmittelbar, da bei einem Polizeipräsidium jederzeit Polizeifahrzeuge ausrücken könnten (RdNr. 35). Damit sind die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt. Anschließend musst Du auf Tatbestandsseite noch prüfen, ob K der zutreffende Adressat für die polizeiliche Maßnahme ist. K als Veranstalter und Leiter der Versammlung ist als Handlungsstörer zu qualifizieren und somit der zutreffende Adressat.

13. Der Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage ist somit erfüllt. Eröffnet § 15 Abs. 1 VersG der Behörde auf Rechtsfolgenseite ein Ermessen?

Ja!

Rechtsfolge des § 15 Abs. 1 VersG ist, dass die Behörde die Versammlung verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen „kann“. Die Vorschrift räumt ihr also ein Ermessen ein. Zu unterscheiden sind das Entschließungsermessen („Ob“) und das Auswahlermessen („Wie“). Das Verwaltungsgericht kann die behördliche Ermessensentscheidung nicht vollumfänglich nachprüfen. Vielmehr prüft es nur, ob die Ermessensgrenzen gewahrt wurden, ob also Ermessensfehler vorliegen (§ 114 S. 1 VwGO): Ermessensnichtgebrauch, -fehlgebrauch oder -überschreitung (dort insbesondere Verhältnismäßigkeit der Maßnahme). Sofern, wie hier, eine Gefahrenlage zu bejahen ist, übt die Polizei ihr Entschließungsermessen stets fehlerfrei aus, wenn sie tätig wird (RdNr. 36). Dies kannst Du in der Klausur kurz feststellen. Der Schwerpunkt der Ermessensprüfung liegt auf dem Auswahlermessen.

14. Eine Verlegung der Mahnwache in der Nähe und im Blickfeld des Polizeipräsidiums wäre möglich gewesen. War die Verlegung auf eine andere Straße verhältnismäßig?

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Maßnahme ist verhältnismäßig, wenn sie einem legitimen Zweck dient und zu dessen Erreichung geeignet, erforderlich und angemessen ist. Die Verlegung diente dem legitimen Zweck, die öffentliche Sicherheit zu schützen und war dazu auch geeignet. Sie war aber in dieser Form nicht erforderlich. OVG: Eine Verlegung sei hier in unmittelbarer Nähe zum Präsidiumsvorplatz möglich gewesen. Dies wäre ein milderes Mittel, da es das beabsichtigte Zusammenspiel von Motto und Versammlungsort nicht derart verändert hätte (RdNr. 38). Dort wäre eine ungehinderte Zu- und Abfahrt gewährleistet und Leib und Leben der Versammlungsteilnehmer geschützt, sodass die öffentliche Sicherheit dadurch gleichermaßen effektiv geschützt würde (RdNr. 40). Daher war die Verlegung nicht erforderlich und somit unverhältnismäßig. Schreib in Deiner Klausur bitte auch immer etwas zur Angemessenheit! Vorliegend könntest Du problematisieren, ob die Verlegung der Versammlung an einen Ort außerhalb der Sichtbeziehung zum Polizeipräsidium noch angemessen ist. Zweifel daran drängen sich hier auf mit Blick auf die thematische Verknüpfung der Versammlung zum Polizeipräsidium, welche in besonderer Weise durch das Recht zur Wahl des Versammlungsortes geschützt und hier betroffen ist.

15. Ist Ks Fortsetzungsfeststellungsklage begründet?

Ja, in der Tat!

Wiederholung: Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist begründet, wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist und den Kläger dadurch in seinen Rechten verletzte (§ 113 Abs. 1 S. 1, 4 VwGO). Die Verlegung der Mahnwache war materiell und somit insgesamt rechtswidrig. K als Adressat des Verwaltungsakts ist wurde dadurch in seinen Rechten verletzt (Art. 8 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG). Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist mithin begründet.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Whale

Whale

6.1.2025, 15:32:38

Würden wir bei einer Prüfung des vorrangigen § 15 VersG in der Klausur überhaupt noch zum generell aufgestellten § 36 VwVfG überhaupt noch kommen? Wie sind „Auflagen“ nach § 15 VersG zu verstehen? So wie in § 36 VwVfG? Und wenn ja, dann fehlt mir in der Aufgabe die nochmalige Hervorhebung, dass es hier ja gerade nicht so ist, und wir uns nur auf das „Minus“ des Verbots konzentrieren.

fuchs_

fuchs_

6.1.2025, 18:03:08

Meines Erachtens wurde auf die Auflagen im Sinne des §36 VwVfG hier nur eingegangen, weil das ein typischer Verwechslungsfehler bei Studierenden ist (und man es deshalb auch anfangs kurz klarstellen kann in Klausuren). Die Auflagen im Sinne von

Nebenbestimmung

en haben nichts mit Auflagen im Sinne des Versammlungsrechts zu tun (letztere sind eigenständige VAs). Man benötigt für eine Versammlung gerade keine Genehmigung (es ergeht also kein VA), sondern man hat eine geplante Versammlung lediglich grds nach §14 VersG anzumelden. Wenn die Behörde dann jedoch eine unmittelbare Gefahr sieht, kann sie eine Auflage nach §15 I VersG erlassen und dies ist dann ein eigener VA (keine

Nebenbestimmung

im Sinne des §36 VwVfG, denn es gibt keinen Genehmigungs-VA, an welchen man die Einschränkung der Behörde anknüpfen kann). Jede versammlungsrechtliche Auflage ist daher ein einzelner VA, der idR mit der Anordnung sofortigen Vollzugs ergeht (vgl. §80 II 1 Nr. 2 VwGO) und einzeln anzugreifen ist. Ich hoffe, ich habe es verständlich erklärt :)


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