Öffentliches Recht
Examensrelevante Rechtsprechung ÖR
Verwaltungsrecht BT: Versammlungsrecht
Versammlungsrecht: Der Versammlungsort muss möglichst beibehalten werden (OVG NRW, Urt. v. 22.12.2023, Az. 15 A 2417/20)
Versammlungsrecht: Der Versammlungsort muss möglichst beibehalten werden (OVG NRW, Urt. v. 22.12.2023, Az. 15 A 2417/20)
31. Mai 2025
4 Kommentare
4,7 ★ (33.293 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Die Polizei P in Stadt C (Land L) nahm am 24.08.2019 mehrere Klimaaktivisten in Gewahrsam und verbrachte sie ins Polizeipräsidium. Daraufhin meldete K für denselben Abend eine Mahnwache als "Spontanversammlung" mit 24 Teilnehmern unmittelbar vor dem Präsidium an. P untersagte die Durchführung der Mahnwache dort und verlegte sie auf eine andere Straße ohne Sichtachse zum Präsidium.
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Einordnung des Falls
Versammlungsrecht: Der Versammlungsort muss möglichst beibehalten werden (OVG NRW, Urt. v. 22.12.2023, Az. 15 A 2417/20)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 15 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K möchte einige Tage später gegen die Verlegung der Mahnwache klagen. Ist die Anfechtungsklage die statthafte Klageart?
Nein!
Jurastudium und Referendariat.
2. Damit die erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig ist, müsste K ein berechtigtes Interesse an der Feststellung haben. Liegt ein solches Interesse hier vor?
Genau, so ist das!
3. Ks im Übrigen zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage ist begründet, wenn die Verlegung der Mahnwache rechtswidrig gewesen ist und sie K dadurch in ihren Rechten verletzte (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO).
Ja, in der Tat!
4. Die Verlegung der Mahnwache müsste zunächst auf einer tauglichen Ermächtigungsgrundlage beruhen.
Ja!
5. Der zuständige Polizist bezeichnete die Verlegung der Mahnwache als „Auflage“. Ist daher § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG die zutreffende Ermächtigungsgrundlage?
Nein, das ist nicht der Fall!
6. Die zutreffende Ermächtigungsgrundlage ergibt sich hier aus dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht des Landes L.
Nein, das trifft nicht zu!
7. Das Land L hatte zum maßgeblichen Zeitpunkt kein eigenes Versammlungsgesetz. Konnte die Verlegung der Mahnwache auf eine Ermächtigungsgrundlage aus dem VersG gestützt werden?
Ja!
8. § 15 Abs. 1 VersG ermächtigt die Versammlungsbehörde nicht ausdrücklich dazu, den Ort einer Versammlung zu verlegen.Lässt sich eine Ortsverlegung gleichwohl auf § 15 Abs. 1 VersG stützen?
Genau, so ist das!
9. Weiter setzt der Tatbestand des § 15 Abs. 1 VersG eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit voraus.
Ja, in der Tat!
10. P macht geltend, die frei zugängliche Fläche vor dem Präsidium sei kein Raum, der für Versammlungen in Anspruch genommen werden könne. Begründet die Durchführung der Mahnwache dort eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit?
Nein!
11. P bringt zudem vor, dass die Fläche vor dem Präsidium im Eigentum der T-AG stehe und vom Land nur gemietet sei. Ändert das Privateigentum an der Fläche etwas daran, dass dort die Versammlungsfreiheit gewährleistet ist?
Nein, das ist nicht der Fall!
12. P trägt ferner vor, dass die Versammlungsteilnehmer bei einer Mahnwache vor dem Präsidium den Ein- und Ausfahrtsbereich des Präsidiums blockieren. Liegt darin eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit?
Ja, in der Tat!
13. Der Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage ist somit erfüllt. Eröffnet § 15 Abs. 1 VersG der Behörde auf Rechtsfolgenseite ein Ermessen?
Ja!
14. Eine Verlegung der Mahnwache in der Nähe und im Blickfeld des Polizeipräsidiums wäre möglich gewesen. War die Verlegung auf eine andere Straße verhältnismäßig?
Nein, das ist nicht der Fall!
15. Ist Ks Fortsetzungsfeststellungsklage begründet?
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Whale
6.1.2025, 15:32:38
Würden wir bei einer Prüfung des vorrangigen § 15 VersG in der Klausur überhaupt noch zum generell aufgestellten § 36 VwVfG überhaupt noch kommen? Wie sind „Auflagen“ nach § 15 VersG zu verstehen? So wie in § 36 VwVfG? Und wenn ja, dann fehlt mir in der Aufgabe die nochmalige Hervorhebung, dass es hier ja gerade nicht so ist, und wir uns nur auf das „Minus“ des Verbots konzentrieren.

fuchs_
6.1.2025, 18:03:08
Meines Erachtens wurde auf die Auflagen im Sinne des §36 VwVfG hier nur eingegangen, weil das ein typischer Verwechslungsfehler bei Studierenden ist (und man es deshalb auch anfangs kurz klarstellen kann in Klausuren). Die Auflagen im Sinne von
Nebenbestimmungen haben nichts mit Auflagen im Sinne des Versammlungsrechts zu tun (letztere sind eigenständige VAs). Man benötigt für eine Versammlung gerade keine Genehmigung (es ergeht also kein VA), sondern man hat eine geplante Versammlung lediglich grds nach §14 VersG anzumelden. Wenn die
Behördedann jedoch eine unmittelbare Gefahr sieht, kann sie eine Auflage nach §15 I VersG erlassen und dies ist dann ein eigener VA (keine
Nebenbestimmungim Sinne des §36 VwVfG, denn es gibt keinen Genehmigungs-VA, an welchen man die Einschränkung der
Behördeanknüpfen kann). Jede versammlungsrechtliche Auflage ist daher ein einzelner VA, der idR mit der Anordnung sofortigen Vollzugs ergeht (vgl. §80 II 1 Nr. 2 VwGO) und einzeln anzugreifen ist. Ich hoffe, ich habe es verständlich erklärt :)
bederke
14.1.2025, 13:15:22
Eine
Eilversammlungfindet innerhalb von 48 Stunden statt, eine
Spontanversammlungbildet sich aus einem spontanen Entschluss heraus und muss nicht angemeldet bzw. angezeigt werden. Geht es um eine Versammlung "noch am gleichen Abend", müsste es sich also um eine
Eilversammlunghandeln

Sebastian Schmitt
18.1.2025, 14:42:05
Hallo @[bederke](285035), vielen Dank für den Hinweis. Die inhaltliche Abgrenzung, die sich auch in den Landes-VersG findet (zB § 10 III, IV VersG NRW), hast Du genau richtig dargestellt. Es kann gut sein, dass es sich in der Sache um eine
Eilversammlunghandelt, ganz sicher wissen wir es nicht. Das OVG NRW hat in seiner unserem Fall zugrunde liegenden Entscheidung (Az 15 A 2417/20, BeckRS 2023, 41149) darauf
verzichtet, die Versammlung konkret einzuordnen. Das Wort "
Eilversammlung" taucht in der Entscheidung überhaupt nicht auf. Sehr wohl aber das Wort "
Spontanversammlung", der Kläger hat seine angemeldete Versammlung nämlich genau so bezeichnet. Nichts anderes sagen wir in der Sachverhaltsdarstellung: "Daraufhin meldete K für denselben Abend eine Mahnwache als
Spontanversammlungmit 24 Teilnehmern unmittelbar vor dem Präsidium an." Um hier möglichst keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, haben wir die "
Spontanversammlung" jetzt in Anführungszeichen gesetzt, möchten den Begriff aber für den Moment so stehen lassen, weil er eben genau dem Begriff entspricht, den der Kläger benutzt hat. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team