+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Nach einer Kontrolle auf einer Polizeiwache, verlässt T diese mit ihrer Freundin F. Als sie durch die Tür gehen, bezeichnet T die Polizisten der Wache im Gespräch mit F lautstark als „Hurensöhne”. Ob sie damit rechnete, dass die Beamten dies hören, ist unklar.
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Einordnung des Falls
Grenzen der beleidigungsfreien Sphäre
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Eine Strafbarkeit der T nach § 185 StGB scheidet aus, da Polizisten nicht beleidigungsfähig sind.
Nein, das ist nicht der Fall!
Die Beleidigung (§ 185 StGB) setzt die passive Beleidigungsfähigkeit des Tatobjekts voraus. Beleidigungsfähig sind insbesondere alle lebenden natürlichen Personen als Ehrträger. Besondere Fallgruppen sind die Beleidigung eines Kollektivs als Kollektiv und die Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung.
T hat alle in der Wache anwesenden Beamten als „Hurensöhne” bezeichnet und damit die Äußerung individualisiert gegen bestimmte Beamte gerichtet und nicht „die Polizei“ als solche angesprochen. Die einzelnen Beamten sind als Menschen beleidigungsfähig.
Stets ist zu unterscheiden, ob die Äußerung einzelnen Beamten selbst oder der gesamten Polizei gilt. Die Polizei als solche stellt nämlich nach der Rechtsprechung des BVerfG (ACAB) wegen der aufgrund der Vielzahl von Einrichtungen in Bund und Ländern fehlenden Fähigkeit zur einheitlichen Willensbildung kein beleidigungsfähiges Kollektiv dar. Mehr dazu: hier! Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
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2. Die Bezeichnung „Hurensohn” hat einen ehrverletzenden Inhalt.
Ja, in der Tat!
Eine Beleidigung setzt voraus, dass die Äußerung ehrverletzenden Inhalt hat. Verletzt wird die Ehre durch die Äußerung dann, wenn diese die eigene Nicht- oder Missachtung bezüglich eines erkennbar Betroffenen zum Ausdruck bringt.
BayObLG: Die Bezeichnung „Hurensohn” sei ein besonders krasses, aus sich heraus herabwürdigendes Schimpfwort und verlasse das absolute Mindestmaß menschlichen Respekts. Zudem fehle der sachliche Bezug zur vorangegangenen Kontrolle, mit der Äußerung werde insbesondere die Abstammung der Beamten verächtlich gemacht sowie der soziale Achtungsanspruch von ihren Müttern verletzt. Es handele sich um eine Formalbeleidigung.
Eine Formalbeleidigung ist die Bezeichnung anderer Personen mit gesellschaftlich absolut missbilligten und tabuisierten Begrifflichkeiten, die unabhängig vom sachlichen Kontext gerade auf die Verächtlichmachung anderer zielen. 3. Eine Strafbarkeit nach § 185 StGB scheidet jedoch aus, da die Äußerung gegenüber F und nicht unmittelbar gegenüber den Beamten erfolgte.
Nein!
Die Kundgabe der Missachtung muss an einen anderen gerichtet sein. Nicht erforderlich ist hingegen, dass es sich dabei um den eigentlichen Adressaten der Äußerung handelt. Es kommt auch nicht darauf an, dass der Täter damit rechnet, dass der Adressat die Äußerung hört. Der Vorsatz des Täters muss sich nur darauf richten, dass ein Dritter die Ehrverletzung zur Kenntnis nimmt und den ehrverletzenden Gehalt versteht (RdNr. 4).
Vorliegend äußerte T ihren Unmut über die Beamten gegenüber F, also einer dritten Person. Ob sie damit rechnete, dass die Beamten ihr Geschrei hören würden, ist unerheblich.
Ein Selbstgespräch oder eine Tagebuchaufzeichnung wäre dagegen nicht tatbestandsmäßig, selbst wenn es zufällig mitgelesen bzw. gehört wird.
4. Die Strafbarkeit wegen § 185 StGB scheidet jedoch deshalb aus, weil T die Äußerung innerhalb einer „beleidigungsfreien Sphäre” gegenüber ihrer Vertrauten F getätigt hat.
Nein, das ist nicht der Fall!
Der Tatbestand der Beleidigung ist bei ehrverletzenden Äußerungen im engsten Familien- und Vertrautenkreis nicht erfüllt. Begründet wird dies damit, dass jedermann eine private Sphäre und Rückzugsmöglichkeit benötige, in dem man sich unbefangen und frei von der Angst vor Sanktionen aussprechen kann. Voraussetzung ist jedoch, dass die Vertraulichkeit nach den jeweiligen Umständen gewährleistet erscheint.
BayObLG: Vorliegend sei dies nicht der Fall, denn T äußerte sich schreiend im öffentlichen Raum. T habe dabei nicht davon ausgehen können, dass ihre Worte gegen die Wahrnehmung durch den Betroffenen und Dritte abgeschirmt waren (RdNr. 5).
5. Der Ehrangriff der T auf die Polizeibeamten war aber durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt (§ 193 StGB).
Nein, das trifft nicht zu!
BayObLG: Die Bezeichnung der Beamten als „Hurensöhne” sei eine Formalbeleidigung. Ein Kontext, in dem die Bezeichnung eines Amtsträgers als Hurensohn gesellschaftlich billigenswert sein könnte, sei undenkbar. Bei einer solchen Formalbeleidigung trete ohne weitere Gewichtung und Einzelfallabwägung die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG hinter dem Ehrschutz zurück (RdNr. 7).
T handelte nicht gerechtfertigt und schuldhaft und hat sich so nach § 185 StGB strafbar gemacht.
Bei der hilfsweisen durchgeführten Abwägung der widerstreitenden Interessen (Meinungsfreiheit vs. Persönlichkeitsrecht) käme man nach Ansicht des BayObLG zum gleichen Ergebnis. Zwar sei es bei Auseinandersetzungen mit Amtsträgern grds. erlaubt, auch besonders starke Ausdrücke zu nutzen, um Anliegen zu unterstreichen. Jedoch sei das Betiteln mit unflätigen Schimpfwörtern unter der Einbeziehung von Verwandten der Geschädigten situationsunabhängig nicht gerechtfertigt.