+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A filmt nachts per Handy, wie die Polizei eine Gruppe an einem frei zugänglichen Teich kontrolliert. Zwar filmt sie nur den Boden, zeichnet aber bewusst den Ton von Gesprächen bei Personenkontrollen auf. A betont laut, dass sie alles filmt, und hört trotz Aufforderung nicht auf.

Einordnung des Falls

Immer häufiger werden Polizeieinsätze in der Öffentlichkeit von betroffenen oder unbeteiligten Personen gefilmt oder aufgenommen. Mit der strafrechtlichen Relevanz der Aufnahme eines rechtmäßigen Polizeieinsatzes hatte sich mit dem OLG Zweibrücken nun erstmalig auch ein Obergericht inzident zu befassen. Nicht nur aufgrund der Aktualität dieses Phänomens, sondern auch dem Umstand, dass in der Prüfung der Umgang mit der weitgehend unbekannten Norm der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes getestet werden kann, eignet sich die Entscheidung hervorragend, um Examenskandidatinnen in der schriftlichen oder mündlichen Prüfung herauszufordern.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A könnte sich wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes strafbar gemacht haben (§ 201 StGB).

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Ja!

§ 201 StGB dient dem Schutz des Rechts auf die Wahrung der Unbefangenheit des gesprochenen Wortes, das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitet wird. Die Vorschrift enthält vier Tatbestände (in Abs. 1 und Abs. 2) und in Abs. 3 eine Qualifikation. Vorliegend kommt der Tatbestand des Abs. 1 Nr. 1, der das unbefugte Aufnehmen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes unter Strafe stellt, in Betracht.

2. A hat „gesprochenes Wort auf einem Tonträger aufgenommen”.

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Genau, so ist das!

Der Begriff des Wortes meint alle artikulierten Äußerungen sprachlicher Art. Nicht umfasst sind Töne oder Tonfolgen alleine. Aufnehmen ist das Fixieren des Wortes auf technischem Wege, sodass eine (wiederholte) akustische Reproduktion möglich ist. Tonträger sind Gegenstände, die bestimmte technisch gespeicherte Laute enthalten und mittels Wiedergabegerät für das Ohr wahrnehmbar machen, z.B. Schallplatten, Festplatten und insbesondere auch moderne Smartphones. A hat mit ihrem Handy ganze Gespräche aufgenommen. Sie hat somit im Sinne des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB „gesprochenes Wort auf einem Tonträger aufgenommen”.

3. Stellen Äußerungen vor mehreren Personen immer öffentlich gesprochene Worte dar?

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Nein, das trifft nicht zu!

Gesprochenes Wort ist grundsätzlich dann nichtöffentlich, wenn es an einen individuell begrenzten, „geschlossenen” Personenkreis gerichtet wird. Es kommt also nicht auf die Zahl der Zuhörer, sondern auf die Abgeschlossenheit des Empfängerkreises an. Es können private, geschäftliche und auch dienstliche Äußerungen erfasst werden. Hinzutreten bei der Beurteilung der Öffentlichkeit auch objektive Umstände: Durch Mithörmöglichkeiten für unbeteiligte Personen, können private Äußerungen diesen Charakter einbüßen (sog. „faktische Öffentlichkeit”).

4. Bei Polizeieinsätzen besteht immer eine „faktische Öffentlichkeit”.

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Nein!

Auch die im Rahmen eines Polizeieinsatz gesprochenen Worte können nichtöffentlich sein. Wo genau die Grenze liegt und wann bei Polizeieinsätzen eine faktische Öffentlichkeit anzunehmen ist, ist in der Rechtsprechung aber strittig. Das LG Aachen sah 2020 als ausreichend für eine faktische Öffentlichkeit an, wenn der äußernde Polizeibeamte aufgrund objektiver Umstände nicht ausschließen könne, dass die Äußerung auch von Dritten wahrgenommen wurde (LG Aachen, BeckRS 2020, 43645). Das LG Osnabrück hielt es gar für ausreichend, dass Dritte die Polizeihandlung von einer frei zugänglichen Fläche beobachten und akustisch wahrnehmen könnten (LG Osnabrück, BeckRS 2021, 28838). In der Literatur schlossen sich einige Stimmen der Auffassung dieser Landgerichte an. Andere lehnen die Strafbarkeit mit Verweis auf das Schutzgut des § 201 StGB gänzlich ab.

5. Das OLG Zweibrücken schloss sich dem weiten Verständnis der faktischen Öffentlichkeit durch die Landgerichte an.

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Nein, das ist nicht der Fall!

OLG: Im vorliegenden Fall sei nicht von einer „faktischen Öffentlichkeit” auszugehen. Die Polizeikontrolle habe zu nächtlicher Stunde in einem begrenzten Bereich stattgefunden. Daher sei aus Sicht der Sprechenden nicht damit zu rechnen gewesen, dass über die Einsatzkräfte und die kontrollierten Personen hinaus weitere Personen zuhören. Im Originalfall ist A den Beamten extra gefolgt, um auch abseits geführte Gespräche aufnehmen zu können. Auch dies hat das OLG in seine Argumentation aufgenommen (RdNr. 16).

6. Da A auf ihre Aufnahme hinwies, war ihr Filmen rechtmäßig und nicht „unbefugt” im Sinne des § 201 StGB.

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Nein, das trifft nicht zu!

Nach überwiegender Auffassung handelt „unbefugt” im Sinne des § 201 StGB, wer rechtswidrig handelt, wessen Handeln also nicht von einem Rechtfertigungsgrund, insbesondere von einer (mutmaßlichen) Einwilligung erlaubt ist. Das bloße Wissen des Sprechenden um die Aufnahme lässt die Unbefugtheit daher nicht entfallen. Die Handlung wäre aber dann nicht unbefugt, wenn das Wissen des Sprechenden um die Aufnahme dessen Einwilligung ausdrückt. Zwar war den Beamten durch As Äußerungen bewusst, dass sie alles aufnimmt. Jedoch haben sie A zum Aufhören aufgefordert. Eine Einwilligung liegt nicht vor. A handelte rechtswidrig und schuldhaft. Die Frage, ob in Fällen eines rechtswidrigen staatlichen Eingreifens zur Beweissicherung Tonaufnahmen auch gegen den Willen des Sprechenden angefertigt werden dürfen, konnte hier dahinstehen (RdNr. 18).

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Paul

Paul

24.11.2023, 11:45:29

Hi zusammen, hat jemand Links zu weiterer Rechtsprechung zu diesem Thema? Also gerade im Kontext von Polizeieinsätzen? Werden vergleichbare Fälle durch andere Gerichte genauso bewertet, bzw. hat es mittlerweile so ein Fall mal an die Bundesgerichte geschafft? Ich konnte nur noch eine weitere OLG Entscheidungen finden, die für eine ähnliche Situation in einer belebten Innenstadt eine „faktische Öffentlichkeit“ feststellt (OLG Düsseldorf, Urt. v. 04.11.2022 – 3 RVs 28/22). Grüße, Paul

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

24.11.2023, 14:37:26

Hi Paul, der Themenkomplex ist tatsächlich noch sehr neu. Die hier behandelte Entscheidung war die erste obergerichtliche ihrer Art. Dass sich der BGH in absehbarer Zeit damit beschäftigen wird, ist derzeit noch nicht absehbar. Die zugrundeliegenden Entscheidungen haben meist beim Amtsgericht begonnen, sodass für die Revision/Rechtsbeschwerde die OLGs zuständig sind (§ 121 Abs. 1 GVG). Eine Befassung des BGH kommt insoweit nur in Betracht, sollte ein OLG einmal von der Rechtsauffassung eines anderen abweichen (vgl. § 121 Abs. 2 GVG). Wann die „faktische Öffentlichkeit“ vorliegt, wird aber zumindest in der untergerichtlichen Rechtsprechung tatsächlich unterschiedlich beurteilt, allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass die Gewichtung oftmals stark einzelfallbezogen ist. Einige Urteile hierzu sind u.a. LG München I, 11.2.2019 – 25 Ns 116 Js 165870/17, BeckRS 2019, 22586 (https://openjur.de/u/2297615.html); LG Kassel 23.9.2019 – 2 Qs 111/19, BeckRS 2019, 38252 (https://openjur.de/u/2180597.html); LG Hamburg, Beschluss vom 21. Dezember 2021, 610 Qs 37/21 (LG Hamburg, Beschluss vom 21. Dezember 2021, 610 Qs 37/21); LG Osnabrück, Beschluss vom 24.09.2021 - 10 Qs 49/21 (https://openjur.de/u/2360985.html) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Paul

Paul

25.1.2024, 12:44:04

Vielen Dank für die Antwort und die Links! Ich dachte nicht nur an den BGH, sondern auch daran, dass sich diesbezüglich vlt. jemand Mal an einer Beschwerde an das BVerfG versucht hat. Offenbar aber nicht :)


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