Beleidigende Äußerungen über Renate Künast in sozialen Netzwerken - "Hassrede" im Internet


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Blogger B postet auf Facebook ein Bild der Politikerin K, welches er mit einem verfälschten Zitat von ihr versieht, in dem sie sich angeblich für die Entkriminalisierung von Geschlechtsverkehr mit Kindern ausspricht. Als Reaktion postet Nutzer N den Kommentar „Pädophilen-Trulla“ unter den Ausgangspost.

Einordnung des Falls

Der Beschluss des KG Berlin befasst sich mit den Grenzen der Meinungsfreiheit und unzulässigen beleidigenden Kommentaren im Internet („Hassrede“). Geradezu lehrbuchhaft wird hier die Meinungsfreiheit des Facebook-Nutzers auf der einen Seite mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht von Renate Künast auf der anderen Seite abgewogen. Aufgrund der Verflechtung des Strafrechts und öffentlichen Rechts und dem Umstand, dass es ein sehr prominentes Opfer betrifft, ist der Fall höchst examensrelevant.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. N könnte sich durch die Äußerung „Pädophilen-Trulla“ und des damit verbundenen Angriffs auf Ks Ehre wegen eines Äußerungsdelikts gem. § 185-187 StGB strafbar gemacht haben.

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Ja, in der Tat!

Die Äußerungsdelikte der §§ 185-187 StGB schützen die Ehre als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. 2 Abs. 1 GG. Ein Angriff auf die Ehre liegt vor, wenn der Täter einem anderen zu Unrecht Mängel nachsagt, die, wenn sie vorlägen, den Geltungswert des Betroffenen mindern und damit den aus der Ehre fließenden verdienten Achtungsanspruch verletzen würden. Erforderlich ist die mündliche, schriftliche oder sonstige Kundgabe der eigenen Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung einer anderen Person. Die hier in Rede stehende Äußerung „Pädophilen-Trulla“ als schriftlicher Kommentar auf Facebook stellt in Reaktion auf eine vermeintliche befürwortende Äußerung von K zur Entkriminalisierung von einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit Kindern eine vermeintliche Nähe der K zur Pädophilenszene und her.

2. Konkret kommt hier einen Strafbarkeit wegen Beleidigung in Betracht, weil es sich bei der Äußerung „Pädophilen-Trulla“ um eine herabsetzende Meinungsäußerung handelt (§ 185 StGB).

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Ja!

Eine Ehrverletzung kann durch herabsetzende Werturteile oder ehrenrührige Tatsachenbehauptungen geschehen. Eine Einordnung ist maßgeblich für die Frage, welche Norm konkret angewandt wird: Tatsachen sind dem Beweis zugänglich, während Meinungen durch das Element der Stellungnahme bzw. des Dafürhaltens geprägt sind. § 186 StGB erfasst nicht nachweislich wahre ehrverletzende Tatsachenbehauptungen gegenüber Dritten. § 187 StGB bestraft nachweislich unwahre ehrverletzende Tatsachenbehauptungen gegenüber Dritten. § 185 StGB umfasst ehrverletzende Tatsachenbehauptungen, die dem Beleidigten gegenüber geäußert werden, sowie ehrverletzende Werturteile gegenüber der betroffenen oder einer dritten Person. KG: Die hier in Rede stehende Äußerung sei eine subjektiv geprägte Abwertung von K, die als zum Ausdruck gebrachte persönliche Verachtung mangels Bezüge zu tatsächlichen Geschehnissen weder für sich genommen, noch anhand eines sog. Tatsachenkerns, als wahr oder unwahr erwiesen werden kann, also ein Werturteil.

3. Für die Strafbarkeit des N wegen Beleidung gem. § 185 StGB kommt es grundsätzlich auf eine Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht von K und dem Recht des N auf freie Meinungsäußerung an.

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Genau, so ist das!

Für (herabsetzende) Meinungsäußerungen greift das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. Stellt sich die Frage nach der Strafbarkeit eines ehrenrührigen Werturteils ist dabei die Meinungsfreiheit des Äußernden grundsätzlich mit dem widerstreitenden Allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. 2 Abs. 1 GG der beleidigten Person abzuwägen. Eine Abwägung ist jedoch ausnahmsweise dann nicht erforderlich, wenn eine Formalbeleidigung bzw. Schmähung oder ein Angriff auf die Menschenwürde vorliegt.

4. Die Äußerung „Pädophilen-Trulla“ stellt eine Formalbeleidigung bzw. Schmähung dar, sodass hier eine Abwägung entfällt.

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Nein, das trifft nicht zu!

Von einer Schmähung kann regelmäßig nicht ausgegangen werden, wenn die Äußerung in dem Kontext einer Auseinandersetzung in der Sache steht. Ein Angriff auf die Menschenwürde liegt vor, wenn das Lebensrecht der angegriffenen Person als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen wird. KG: Der Kommentar „Pädophilen-Trulla“ stehe im Zusammenhang mit dem Ausgangspost zum vermeintlichen Zitat der K über die Entkriminalisierung des Geschlechtsverkehrs mit Kindern. Die Äußerung beschäftige sich insofern zwar mit dem im Ausgangspost angesprochenen Thema durch eine drastische Wortschöpfung. Gleichwohl beruhe das Zitat auf einem zumindest interpretationsbedürftigen Zwischenruf von K in einer Parlamentsdebatte zum Schutzbereichsumfang der sexuellen Selbstbestimmung, sodass sie selbst eine Angriffsfläche geliefert habe, an der sich Kritik auch in polemischer Überspitzung grds. festmachen könne.

5. Für das Überwiegen der Persönlichkeitsrechte von K streitet, dass der Kommentar von N keinen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung geleistet haben.

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Ja!

Nach der Rspr. des BVerfG gilt grundsätzlich, dass die Meinungsfreiheit umso höher wiegt, je mehr die Äußerung darauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten. Dies ergibt sich daraus, dass der Schutz der Meinungsfreiheit gerade aus der besonderen Schutzbedürftigkeit der Machtkritik erwachsen ist und Bürger von ihnen als verantwortlich gesehene Amtsträger auch in anklagender und personalisierter Weise angreifen können müssen. KG: Die Äußerung „Pädophilen-Trulla“ stütze sich auf die Kritik einer Haltung, die von K so gar nicht vertreten wurde. Diese Äußerung sei insofern schon aus objektiver Sicht nicht geeignet einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten. Das KG bezieht sich hier auf eine Entscheidung des BVerfG, in dem dieses seine bisherige Rechtsprechung zu den maßgeblichen Abwägungskriterien in Fällen der Hassrede im Internet fortentwickelt hat. Die Entscheidung des BVerfG sollte man unbedingt gelesen haben!

6. Zu Beginn des weiterverbreiteten Posts hatte der Blogger B angegeben, wegen seines Posts wegen Schmerzensgeld verklagt zu werden. Ist es N insoweit vorwerfbar, dass er die Authentizität des Zitats nichts selbst geprüft hat?

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Genau, so ist das!

KG: In einem Einleitungstext zum Post habe der für Hetze im Internet gegen das grüne und linke Lager bekannte Blogger B angegeben, von K auf Zahlungen eines „Schmerzensgelds“ wegen ähnlicher Posts in Anspruch genommen zu werden. Insofern hätten für jeden durchschnittlich aufmerksamen Leser Anhaltspunkte für die Falschheit des vermeintlichen Zitats bestanden. Ferner hätte von Rezipienten des Ausgangsposts im Hinblick auf das gemeinhin bekannte Phänomen der Verbreitung von Falschinformationen über das Internet zur gezielten Stimmungsmache erwartet werden können, dass sie bei Reaktionen auf den Ausgangsposts Vorsicht und Mäßigung walten ließen. N hätte sich vor der Authentizität und Tragfähigkeit der Mitteilung des Ausgangsposts überzeugen müssen. Auch hier findet sich eine relevante Rechtssprechungsänderung, da relevante Recherchepflichten zulasten der Meinungsfreiheit traditionell zumeist nur Journalisten auferlegt wurden.

7. Zugunsten von K spricht, dass schriftliche Äußerungen im Internet weniger gravierend sind, als im analogen Raum.

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Nein, das trifft nicht zu!

Nach der Rspr. des BVerfG kann mit Blick auf die Begleitumstände einer Äußerung auch relevant sein, ob sie ad hoc in einer hitzigen Situation gefallen sind. Die Freiheit der Meinungsäußerung impliziert die rechtliche Anerkennung menschlicher Emotionalität und Erregbarkeit. Demgegenüber kann bei schriftlichen Äußerungen ein höheres Maß an Bedacht und Zurückhaltung erwartet werden. Die beeinträchtigende Wirkung einer Äußerung ist gesteigert, wenn sie besonders sichtbar in einem der Allgemeinheit zugänglichen Medium getätigt wird. KG: N habe seinen Kommentar schriftlich verfasst und für die Öffentlichkeit zugänglich auf Facebook gepostet. Insofern stelle sich die Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung für K als besonders schwerwiegend dar, weil dieser Verbreitungsform im Hinblick auf das Verbreitungsmedium mit zum Zeitpunkt der Äußerung ca. 32. Millionen Nutzern eine nie dagewesene Öffentlichkeit immanent sei.

8. Für ein Überwiegen von Ks Interessen streitet ferner, dass ein hinreichender Schutz der Persönlichkeitsrechte von Politikern auch im öffentlichen Interesse liegt.

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Ja!

BVerfG: Der wirksame Schutz von Persönlichkeitsrechten von Politikern über die Bedeutung für die jeweils Betroffenen hinaus liegt auch im öffentlichen Interesse. Denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft kann nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Informationsverbreitung im Internet, bei dem ein wirksamer Schutz von Politikern besonders wichtig ist. Das KG kommt damit zum Ergebnis, dass nach Abwägung der Umstände im vorliegenden Fall dem Persönlichkeitsrecht von K gegenüber dem Recht auf Meinungsfreiheit des N der Vorrang einzuräumen ist.

9. Der Kommentar stellt damit eine strafbare Beleidung gemäß § 185 StGB dar.

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Genau, so ist das!

Der im Internet veröffentlichte Kommentar „Pädophilen-Trulla“ stellt ein herabsetzendes Werturteil gegenüber Dritten und damit eine Beleidigung dar, sodass N den objektiven Tatbestand verwirklichte. N handelte darüber hinaus auch vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft.Die Beleidigung gehört zu den absoluten Antragsdelikten. Die Strafverfolgung kann insoweit nur erfolgen, wenn ein wirksamer Strafantrag gestellt wird (§ 194 Abs. 1 StGB).

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