Öffentliches Recht

Verfassungsprozess-Recht

Verfassungsbeschwerde

Beschwerdefähigkeit juristischer Personen mit Sitz im Nicht-EU-Ausland

Beschwerdefähigkeit juristischer Personen mit Sitz im Nicht-EU-Ausland

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der Internetriese Ruuble Inc., ein Konzern nach US-Recht mit Verwaltungssitz in den USA. R bietet seine Dienste auch in Deutschland an. Da Rs Geschäftsmodell in Deutschland erlaubnispflichtig ist, verlangt die zuständige Behörde von R die Vorlage einer Erlaubnis. R sieht darin einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG).

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Einordnung des Falls

Beschwerdefähigkeit juristischer Personen mit Sitz im Nicht-EU-Ausland

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. R erhebt vertreten durch ihren Geschäftsführer Verfassungsbeschwerde. Diese ist nur zulässig, wenn R beschwerdefähig ist (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG).

Ja, in der Tat!

Fähig, eine Beschwerde zum BVerfG zu erheben (Beschwerdefähigkeit) ist jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt worden zu sein (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG). Beschwerdefähig sind alle Personen, die Träger eines der als verletzt gerügten Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte sein können. Die Beschwerdefähigkeit entspricht damit der Grundrechtsfähigkeit.
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2. Können nur natürliche Personen Träger von Grundrechten sein?

Nein!

Auch inländische juristische Personen können Träger von Grundrechten sein, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind (Art. 19 Abs. 3 GG). Dafür muss es sich (1)
um eine inländische juristische Person iSd Art. 19 Abs. 3 GG handeln und (2)
das Grundrecht muss seinem Wesen nach auf die juristische Person anwendbar sein.
Die hier als verletzt gerügte Berufsfreiheit kann kollektiv ausgeübt werden und ist daher ihrem Wesen nach auf juristische Personen anwendbar. Fraglich ist aber, ob die R eine inländische juristische Person iSd Art. 19 Abs. 3 GG ist.

3. Handelt es sich bei R um eine inländische juristische Person iSd Art. 19 Abs. 3 GG?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die juristische Person ist „inländisch“, wenn sie ihren Sitz, d.h. den Ort der tatsächlichen Hauptverwaltung im Inland hat. Entscheidend ist somit, wo das tatsächliche Aktionszentrum liegt und nicht der formale satzungsmäßig bestimmte Sitz. R ist ein Konzern nach US-Recht, der seinen Verwaltungssitz in den USA und damit nicht im Inland hat. Sie ist somit keine inländische juristische Person iSd Art. 19 Abs. 3 GG. Auf die Staatsangehörigkeit der hinter der juristischen Person stehenden Personen kommt es beim Merkmal „inländisch“ dagegen nicht an.

4. Ist R beschwerdefähig im Rahmen der Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a, § 90 Abs. 1 BVerfGG)?

Nein, das trifft nicht zu!

Beschwerdefähig sind alle Personen, die Träger eines der als verletzt gerügten Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte sein können.Auch inländische juristische Personen, d.h. solche mit ihrem Hauptverwaltungssitz im Inland, sind grundrechtsfähig, soweit die Grundrechte ihrem Wesen nach auf sie anwendbar sind (Art. 19 Abs. 3 GG). R ist keine inländische juristische Person iSd Art. 19 Abs. 3 GG und damit nicht grundrechtsfähig. Sie ist damit auch nicht beschwerdefähig. R kann sich aber auf Prozessgrundrechte wie das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) und den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) berufen, da diese Rechte Verfahrensgrundrechte darstellen, die für jedes gerichtliche Verfahren gelten. Diesbzgl. sind ausländische juristische Personen dann auch beschwerdefähig.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FJE

Friedrich-Schiller-Universität Jena

13.7.2024, 06:23:53

Wieso ist diese nicht nach Art. 2 I GG beschwerdefähig? Die Handlungsfähigkeit ist doch dem Wese nach auch auf juristische Personen anwendbar.

LELEE

Leo Lee

14.7.2024, 10:20:05

Hallo Friedrich-Schiller-Universität-Jena, vielen Dank für deine sehr gute Frage! Vorab: Es stimmt zwar, dass Art. 2 I GG auch auf jur. Personen anwendbar ist. Allerdings ist dafür Voraussetzung, dass diese jur. Person gem. Art. 19 III GG eine INLÄNDISCHE ist. Und weil Ruuble Inc. Ein Konzern nach US-Recht mit Verwaltungssitz in den USA ist, liegt keine inländische, sondern vielmehr eine AUSländische jur. Person vor. I.Ü. kann ich hierzu die Lektüre vom Jarass/Pieroth 18. Auflage, Jarass Art. 19 Rn. 22 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Whale

Whale

20.8.2024, 18:27:18

Die letzte Antwort impliziert, dass Verfahrensgrundrechte grundsätzlich auch von ausländischen juristischen Personen mittels der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden können. Habe ich das richtig verstanden?

K.Attalla

K.Attalla

27.8.2024, 13:34:17

Hey @[Whale](252844), ja, das stimmt. Das leitet sich aus dem Gebot der "prozessualen Waffengleichheit" ab. Das BVerfG hat diesen Grundsatz aus dem Rechtsstaatsprinzip und aus dem Allgemeinen Gleichheitssatz entwickelt. LG!


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