Verbot eines Romans (Esra)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

B schreibt einen Roman. In diesem tritt eine Figur F auf, die deutlich der berühmten E im echten Leben ähnelt. Eckdaten des Lebens der E stimmen überein. E und B waren im echten Leben mal ein Paar. Sie wird deutlich negativ dargestellt. E fordert ein Verbot des Romans. ‌

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Einordnung des Falls

Verbot eines Romans (Esra)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Als vorbehaltslos gewährtes Grundrecht kann die Kunstfreiheit nicht eingeschränkt werden.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Grundrechte des GG gelten - mit Ausnahme der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) - nicht absolut, sondern können im Einzelfall eingeschränkt werden. Grundrechte mit einfachem oder qualifizierten Gesetzesvorbehalt können unter dessen jeweiligen Voraussetzungen eingeschränkt werden. Vorbehaltlos gewährte Grundrechte - wie die Kunstfreiheit - unterliegen dagegen (nur) den verfassungsimmanenten Schranken kollidierenden Verfassungsrechts. Sie sind mit kollidierenden Verfassungsgütern - also mit Grundrechten Dritter sowie sonstigen Verfassungswerten - in möglichst schonenden Ausgleich zu bringen (praktische Konkordanz).
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2. Eine Kollision der Kunstfreiheit des B mit dem Persönlichkeitsschutz der E ist vorliegend bereits deshalb ausgeschlossen, da der Roman ausschließlich künstlerisch wirkt.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Kunstfreiheit kann mit dem verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht von Personen in Konflikt geraten, auf die im Kunstwerk - obschon verfremdet - Bezug genommen wird. Denn ein Kunstwerk wirkt nicht nur als „ästhetische“ Realität, sondern entfaltet auch im außerkünstlerischen Sozialbereich Wirkungen. E war die erkennbare Vorlage der Romanfigur F. Die Eckdaten der fiktiven Figur F und der echten Person E stimmen überein. Zudem stellt der Roman F deutlich negativ dar. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass Leser des Romans E mit F in Verbindung bringen und durch die Art der Darstellung Es Ruf und soziale Achtung leiden. Mithin kommt eine Beeinträchtigung von Es Persönlichkeitsschutz durch die Veröffentlichung des Romans in Betracht.

3. In der Kollision zwischen Bs Kunstfreiheit auf der einen Seite und Es Persönlichkeitsschutz auf der anderen Seite genießt die Kunstfreiheit offenkundig den Vorrang.

Nein!

Kollidieren Verfassungsgüter miteinander - wie etwa vorliegend Kunstfreiheit und Persönlichkeitsschutz -, so sind die Güter und ihre jeweilige Betroffenheit im Einzelfall gegeneinander abzuwägen und möglichst schonend miteinander in Ausgleich zu bringen (praktische Konkordanz). Das BVerfG stellt im Mephisto-Beschluss bereits 1971 fest: „Der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Einzelnen ist ebensowenig der Kunstfreiheit übergeordnet wie sich die Kunst ohne weiteres über den allgemeinen Achtungsanspruch des Menschen hinwegsetzen darf.“Bs Kunstfreiheit und Es Persönlichkeitsrecht stehen sich also im Grundsatz gleichrangig gegenüber.

4. Bei der Entscheidung, ob Kunstfreiheit oder Persönlichkeitsschutz überwiegt, kommt es u.a. darauf an, inwieweit das künstlerische „Abbild“ das „Urbild“ verfremdet und künstlerisch verselbstständigt.

Genau, so ist das!

BVerfG: Bei der Abwägung von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsschutz ist maßgeblich, inwieweit das „Abbild“ gegenüber dem „Urbild“ durch die künstlerische Gestaltung so verselbständigt erscheint, dass das Individuelle zugunsten des Zeichenhaften der „Figur“ objektiviert ist. Handelt es sich jedoch um ein „Porträt“ des „Urbilds“, kommt es auf das Ausmaß der künstlerischen Verfremdung und darauf an, wie stark der Ruf bzw. das Andenken des Betroffenen beeinträchtigt wird. Im Ausgangsfall war klar erkennbar, dass E Vorbild für F war. Allerdings unterschieden sich beide auch in wesentlichen Merkmalen. Dem Leser muss zugemutet werden, dass auch ein auf realistischen Elementen beruhender Roman regelmäßig mit Fiktion verbunden ist. Aufgrund einer kunstspezifischen Betrachtungsweise gilt für Literatur die Vermutung der Fiktionalität. Weil die Schilderungen deutlich erzählerisch und teils differenziert waren, überwog für das BVerfG im vorliegenden Fall die Kunstfreiheit.
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