Öffentliches Recht

Grundrechte

Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 GG)

Kein Recht auf künstlerische Betätigungsfreiheit bei Veränderung eines Grabmals

Kein Recht auf künstlerische Betätigungsfreiheit bei Veränderung eines Grabmals

24. November 2024

4,8(2.769 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Auf dem Grabstein des Kriegsverbrechers V stehen sein Name, Dienstgrad und Lebensdaten. K, die sich selbst als „Künstlerin“ bezeichnet, sprayt „Kriegsverbrecher“ auf Vs Grabstein. Durch ein sich daran anschließendes Unterlassungsurteil in einem Zivilverfahren fühlt sich K in ihrer Kunstfreiheit verletzt. ‌

Diesen Fall lösen 70,0 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Kein Recht auf künstlerische Betätigungsfreiheit bei Veränderung eines Grabmals

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Liegt hier nach dem materiellen Kunstbegriff Kunst vor?

Nein!

Im Mephisto-Beschluss hat das BVerfG Kunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG wie folgt definiert: „Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden" (sog. "materialer Kunstbegriff"). K hat nicht vorgetragen und es ist auch nicht ersichtlich, das eine solche Gestaltung vorliegt. Daran ändert auch Ks Selbstbezeichnung als Künstlerin nichts. Ks Aktion steht nicht einer Interpretation offen, sondern reduziert sich auf eine abgeschlossene Aussage. Ks Handlung stellt also (nach dem BVerfG) schon keine Kunst dar. Beachte: Grundsätzlich steht es der Einordnung von „Kunst“ nicht entgegen, wenn diese fremdes Eigentum beeinträchtigt. Dann ist vielmehr auf Ebene der Rechtfertigung zu prüfen, inwieweit die Beeinträchtigung fremden Eigentums gerechtfertigt werden kann.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. In einem Zivilverfahren gelten Grundrechte ohnehin nicht.

Nein, das ist nicht der Fall!

Sind bei der Auslegung und Anwendung einfachrechtlicher Normen mehrere Deutungen möglich, so muss das (Zivil-) Gericht diejenige zugrunde legen, welche den Wertentscheidungen der Verfassung entspricht und die die Grundrechte der Beteiligten möglichst weitgehend in praktischer Konkordanz zur Geltung bringt. Dabei nehmen die Grundrechte Einfluss auf alle auslegungsfähigen und -bedürftigen Tatbestandsmerkmale der zivilrechtlichen Vorschriften. Da die Kunstfreiheit hier nicht einschlägig ist, hätte das Gericht diese auch nicht berücksichtigen müssen.

3. Selbst wenn die Kunstfreiheit einschlägig wäre, stünde hier das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum Ks Betätigung entgegen.

Ja, in der Tat!

Die Grundrechte des GG gelten - mit Ausnahme der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) - nicht absolut. Auch vorbehaltlos gewährte Grundrechte - wie die Kunstfreiheit - unterliegen zumindest den verfassungsimmanenten Schranken kollidierenden Verfassungsrechts. Sie sind mit kollidierenden Verfassungsgütern - also mit Grundrechten Dritter sowie sonstigen Verfassungswerten - in möglichst schonenden Ausgleich zu bringen (praktische Konkordanz). Ks Kunstfreiheit würde hier im Widerspruch zum Eigentumsrecht des Grabsteineigentümers (den Erben des V) stehen. Die Eigentümer erleiden hier einen substanziellen Schaden, da der Grabstein durch die Inschrift in seiner Funktion stark beeinträchtigt wird. K dagegen stehen andere künstlerische Äußerungsmittel zur Verfügung, sodass hier letztlich das Eigentumsrecht überwiegt. Selbst wenn sich K auf die Kunstfreiheit berufen könnte, wäre das Unterlassungsurteil ein gerechtfertigter Eingriff.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DeliktusMaximus

DeliktusMaximus

25.10.2024, 16:26:29

Sollte der hier nicht auch angesprochen werden?

LELEE

Leo Lee

27.10.2024, 13:21:18

Hallo DeliktusMaximus, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! In der Tat hast du völlig Recht, dass hier theoretisch noch der postmortale

APR

-Schutz angesprochen werden müsste. Allerdings ist dieser Fall der entspr. Entscheidung nachempfunden und in der Originalentscheidung war die VB bereits unzulässig, wegen einer mangelnden substantiierten Darlegung der Verletzung nach 92, 23 BVerfGG (Frist und Form!). Insofern wurde nur noch obiter dictum-mäßig Stellung zu der Kunstfreiheit genommen, ohne vertieft auf die Gegenrechte einzugehen. Das BVerfG bezieht sich noch kurz auf die Eigentumsfreiheit als Schranke, lässt aber seine Ausführungen hierbei bewenden. Hierzu kann ich die Lektüre der entsprechenden Entscheidung sehr empfehlen, ab Rdnr. 12 (ist nicht so lang); den Link findest du hier: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2021/03/rk20210330_1bvr016019.html :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen