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Fahrt mit gestohlenem Taxi – Haftung des unvorsichtigen Halters (LG Hamburg, Urteil v. 28.11.2024 - 323 O 330/20)

Fahrt mit gestohlenem Taxi – Haftung des unvorsichtigen Halters (LG Hamburg, Urteil v. 28.11.2024 - 323 O 330/20)

12. Juni 2025

25 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Dieb D stiehlt nachts das Taxi von Taxifahrer H. Dazu verwendet er den Ersatzschlüssel, der in der unverschlossenen Mittelkonsole von Hs Auto liegt. Auf seiner Flucht verursacht D mit 145 km/h innerorts einen Unfall, bei dem S, der Sohn von K, stirbt. K erleidet dadurch schwere, chronische Depressionen.

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Einordnung des Falls

Fahrt mit gestohlenem Taxi – Haftung des unvorsichtigen Halters (LG Hamburg, Urteil v. 28.11.2024 - 323 O 330/20)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 13 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K verlangt Schmerzensgeld. D ist insolvent. Könnte K ein Anspruch gegen H zustehen (§ 7 Abs. 1 StVG)?

Ja!

Nach § 7 Abs. 1 StVG haftet(1) der Halter eines Kfz(2) für Personen- oder Sachschäden,(3) die bei dem Betrieb des Kfz kausal verursacht werden,(4) wenn die Haftung nicht ausgeschlossen ist. In diesem Fall sind sonstige Anspruchsgrundlagen ersichtlich nicht einschlägig, weshalb wir direkt mit dem Deliktsrecht beginnen. Dennoch solltest Du stets die Reihenfolge der Anspruchsgrundlagen im Kopf behalten und sicher gehen, dass Du keinen Anspruch übersiehst.
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2. H war ursprünglich Halter des Taxis. Endete Hs Haltereigenschaft „automatisch“ in dem Moment, in dem D den Pkw entwendete?

Nein, das ist nicht der Fall!

Halter ist, wer das Fahrzeug für eigene Rechnung (nicht nur ganz vorübergehend) gebraucht und die Verfügungsgewalt darüber besitzt. Grundsätzlich endet die Haftung des Halters eines Kraftfahrzeugs oder Anhängers (§ 7 Abs. 1 StVG) erst, wenn der (bisherige) Halter zur Zeit des Schadensereignisses die tatsächliche Möglichkeit, den Einsatz des Kraftfahrzeugs zu bestimmen, auf eine nicht nur vorübergehende Zeit verloren hat und deshalb nicht mehr als Halter anzusehen ist. Derjenige, der ein Fahrzeug unterschlägt oder stiehlt, wird erst dann selbst zum Halter, wenn er tatsächlich dauerhaft das Fahrzeug besitzen und über seine Verwendung bestimmen kann. Die kurze Fahrt des D bis zum Unfall genügt nicht für einen Wechsel der Haltereigenschaft von H auf D.

3. K hat einen Personenschaden i.S.v. § 7 Abs. 1 StVG in Form einer Gesundheitsschädigung erlitten.

Ja, in der Tat!

Ein Personenschaden im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG liegt vor, wenn eine Person getötet, verletzt oder in ihrer Gesundheit beeinträchtigt wird. Eine Gesundheitsschädigung ist eine Störung der inneren Lebensvorgänge. Die Verletzung kann physischer oder psychischer Natur sein. K erlitt schwere, chronische Depressionen durch den Tod des S. Dabei handelt es sich um eine psychische Störung der inneren Lebensvorgänge. Damit liegt ein Personenschaden in Form einer Gesundheitsschädigung vor. Die Rspr. bis 2022 forderte in gleich gelagerten Fällen zusätzlich, dass die gesundheitliche Störung über das hinausginge, was infolge der schweren Verletzung naher Angehöriger in der Regel zu erwarten sei. Andernfalls läge bereits keine Gesundheitsschädigung vor. Dies sollte der gesetzlichen Wertung der §§ 844f. BGB Rechnung tragen. Der BGH hat dieses einschränkende Kriterium inzwischen aufgegeben. Es sei unbillig, bei infolge schwerer Straftaten zulasten Dritter entstandener psychischer Störungen eine Gesundheitsschädigung abzulehnen, weil bei vergleichbaren Straftaten regelmäßig psychische Störungen aufträten. Du kannst hier in einem Satz erwähnen, dass es nach neuerer Rspr. unerheblich ist, ob die Gesundheitsschädigung psychischer oder physischer Natur ist. Das „Problem“ der „Schockschäden“ kommt erst später in Deiner Prüfung.

4. Ks Personenschaden müsste „bei Betrieb“ des Taxis entstanden sein. Hat K die Depressionen unmittelbar durch den Betrieb des Kfz erlitten?

Nein!

Die Halterhaftung (§ 7 Abs. 1 StVG) setzt voraus, dass bei Betrieb des Kfz ein Mensch getötet, dessen Körper oder Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt wurde. Das Merkmal „bei Betrieb“ eines Kfz setzt voraus, dass das Schadensgeschehen zurechenbar durch das Kfz (mit)geprägt worden ist, weil es in einem nahen örtlichen und zeitlichen Kausalzusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kfz steht. K wurde nicht durch eine direkte körperliche Einwirkung des Fahrzeugs verletzt. Ihre schwere Depression wurde ausgelöst durch die Nachricht vom tödlichen Unfall ihres Sohnes. Die Gesundheitsschädigung ist daher nicht unmittelbar beim Betrieb des Kfz entstanden, sondern lediglich mittelbar durch das Unfallgeschehen bedingt. Ks Depressionen lassen sich in die Fallgruppe der sog. Schockschäden einordnen. Hier liegt ein Knackpunkt des Falles. Bevor Du in der Klausur darstellst, wie man mit mittelbaren Schädigungen i.R.v. § 7 Abs. 1 StVG umgeht, solltest Du einmal feststellen, dass kein unmittelbarer Schaden vorliegt. So zeigst Du Systemverständnis und stellst gleichzeitig sicher, dass Du nicht doch etwas übersiehst.

5. Können auch sog. Schockschäden unter bestimmten Voraussetzungen zurechnungsfähig sein?

Genau, so ist das!

Die Rspr. hat bei Schockschäden besondere Zurechnungskriterien entwickelt: Danach muss der Schock(1) im Hinblick auf den Anlass verständlich erscheinen und(2) das auslösende Ereignis einen nahen Angehörigen oder engen Lebenspartner des Geschädigten getroffen haben. Nicht erforderlich ist, dass der Anspruchssteller das Unfallgeschehen direkt miterlebt. Auch der Ersatz von „Fernwirkungsschäden“ – etwa aufgrund der Übermittlung der Nachricht des Todes von Angehörigen – ist möglich. Während die Rspr. bis zum Jahre 2022 bereits bei der Frage, ob Schockschäden unter den Begriff der Gesundheitsschädigung fallen eine einschränkende Korrektur vornahm, musst Du das Thema nach heutiger Rspr. erst auf Zurechnungsebene „problematisieren“. Schockschäden sind ein beliebter Klausurklassiker. Gehe sicher, dass Du die richtigen Stichworte und Zurechnungskriterien nennst.

6. Die Anforderungen sind erfüllt, weshalb der Zurechnungszusammenhang zwischen Depression und dem Betrieb des Kfz vorliegt.

Ja, in der Tat!

Mittelbar durch den Betrieb eines Kfz ausgelöste Schäden sind nur im eingeschränkten Maß von der Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG umfasst (Rspr.): Der Schock muss (1) im Hinblick auf den Anlass verständlich erscheinen und (2) das auslösende Ereignis einen nahen Angehörigen oder engen Lebenspartner des Geschädigten getroffen haben. Der Tod ihres Sohnes ist ein dramatischer Einschnitt ins persönliche Leben der K, weshalb ihre Reaktion nachvollziehbar und nicht etwa auffallend empfindlich war. Als Sohn ist S auch ein naher Angehöriger der K. Die spezifische Gefahr, die dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs innewohnt, schlug sich – vermittelt über die Tötung ihres Sohnes – in der Rechtsgutsverletzung der K nieder. Ein hinreichender Zurechnungszusammenhang ist gegeben. Somit ist die Depression als sog. Schockschaden vom Haftungstatbestand des § 7 Abs. 1 StVG umfasst. In seinem Urteil bezog sich das LG auf die alte Rechtsprechung, wonach Schockschäden ersatzfähig waren, wenn sie pathologisch fassbar sind und deutlich über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Familienangehörige bei dem Miterleben oder der Benachrichtigung von einem solchen Ereignis erfahrungsgemäß ausgesetzt sind. Der psychischen Beeinträchtigung musste über den seelischen Schmerz hinaus ein Krankheitswert zukommen. Auch nach diesem engeren Standard wäre die schwere Depression der K ersatzfähig.

7. Der Haftungstatbestand des § 7 Abs. 1 StVG ist dem Grunde nach erfüllt. Wäre Hs Haftung ausgeschlossen, wenn die Entwendung des Autos als höhere Gewalt einzuordnen ist (§ 7 Abs. 2 StVG)?

Ja!

Der Ausschlussgrund der höheren Gewalt (§ 7 Abs. 2 StVG) erfordert ein unvorhersehbares und von außen kommendes außergewöhnliches Ereignis, das derart betriebsfremd ist, dass es kalkulatorisch nicht berücksichtigt werden kann und auch durch äußerste Sorgfalt unabwendbar ist. Dass Autos gestohlen werden, ist weder unvorhersehbar oder vollkommen außergewöhnlich, noch ist es durch Vorsorgemaßnahmen unabwendbar. Der Haftungsausschluss nach § 7 Abs. 2 StVG greift hier nicht. Selbst, wenn Du eine Haftung nach den Regeln der StVG dem Grunde nach bejahst, solltest Du immer – zumindest gedanklich – prüfen, ob ein Grund für einen Haftungsausschluss vorliegt. Mehr zu den Ausschlussgründen findest Du in unserem Kurs zum Deliktsrecht.

8. Ein Haftungsausschluss könnte sich aus § 7 Abs. 3 S. 1 StVG ergeben. Handelt es sich bei Ds Fahrt mit dem Taxi zunächst um eine Schwarzfahrt i.S.d. Norm?

Genau, so ist das!

Die Halterhaftung ist ausgeschlossen, wenn das Kfz ohne Wissen und Wollen des Halters benutzt wird (§ 7 Abs. 3 S. 1 StVG). Dann haftet der Schwarzfahrer anstelle des Halters verschuldensunabhängig. D hat das Fahrzeug ohne Wissen und Willen von H erlangt und genutzt. Aufgrund der Schwarzfahrt haftet D grundsätzlich verschuldensunabhängig anstelle des Halters H (§ 7 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 StVG). § 7 Abs. 3 S. 1 StVG zieht eine Grenze für die weite, verschuldensunabhängige Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG.

9. H hat Ds Schwarzfahrt schuldhaft ermöglicht. Ist Hs Haftung dennoch nach § 7 Abs. 3 S. 1 StVG ausgeschlossen?

Nein, das trifft nicht zu!

Hat der Halter die Schwarzfahrt durch eigenes Verschulden ermöglicht, dann haftet er neben dem Schwarzfahrer (§ 7 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StVG). Eigenes Verschulden ist etwa gegeben, wenn der Halter das Fahrzeug nicht abschließt oder den Schlüssel stecken lässt. H hat den Schlüssel in der unverschlossenen Mittelkonsole aufbewahrt. D hat ihn dort gefunden. Somit hat H die unbefugte Benutzung erheblich erleichtert. LG Hamburg: Der Fahrzeughalter hat bis zur Grenze des unabwendbaren Zufalls alles zu tun, was ihm billigerweise zur Verhinderung von Schwarzfahrten zugemutet werden kann. Dazu gehört insbesondere, Fahrzeugschlüssel nicht ohne hinreichende Sicherung im Fahrzeug aufzubewahren. Anderenfalls wird eine Entwendung jedenfalls erheblich erleichtert und weitere Sicherungseinrichtungen sind zwecklos. Das Verständnis einer Norm hilft Dir dabei, sie nicht zu vergessen. Mach Dir hier noch einmal bewusst, wie die einzelnen Regelungen von § 7 StVG versuchen, ein ausgewogenes Gewicht zwischen der weiten Haftung des Halters und der Ausnahme hiervon im Einzelfall zu schaffen: Der Halter, der „alles richtig gemacht hat“, haftet nicht, wenn jemand Drittes das Fahrzeug benutzt. Ermöglicht der Halter die Schwarzfahrt jedoch, ist er weniger schutzwürdig und haftet.

10. Körper und Gesundheit der K sind verletzt. Umfasst der Anspruch der K gegen H auf Schadensersatz (§ 7 Abs. 1 StVG) ein angemessenes Schmerzensgeld (siehe § 11 StVG)?

Ja!

Hast Du festgestellt, dass der Tatbestand erfüllt ist und keine Ausschlussgründe vorliegen, prüfst Du auf Rechtsfolgenseite, in welchem konkreten Umfang der Schadensersatzanspruch besteht. Sofern die StVG keine Sonderregeln enthält, finden die allgemeinen §§ 249ff. BGB-Anwendung. Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann eine billige Entschädigung in Geld (Schmerzensgeld) nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden (§ 253 Abs. 1 BGB). Eine solche Bestimmung treffen die §§ 11 S. 2 StVG, 253 Abs. 2 BGB für den Fall der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit. K steht wegen der schweren Depression ein angemessenes Schmerzensgeld zu. Daneben könnte K auch den Ersatz etwaiger Heil- oder Behandlungskosten nach § 249 Abs. 2 BGB verlangen.

11. S hatte sich vor der Unfallfahrt nicht angeschnallt. Allerdings ging von Ds Verhalten eine außergewöhnlich hohe Gefährdung aus. Ist Ks Anspruch wegen Mitverschulden zu mindern?

Nein, das ist nicht der Fall!

Auf die Ansprüche im StVG finden die Vorschriften des Mitverschuldens direkt Anwendung (§ 9 StVG i.V.m. § 254 BGB). Wenn ein Angehöriger durch einen Unfall mittelbar gesundheitlich geschädigt wird, kann auch das Mitverschulden des direkt Verletzten nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) berücksichtigt werden – nicht nur in den Fällen des § 846 BGB. LG Hamburg: Ein Verstoß des Verletzten gegen die Anschnallpflicht ist außer Acht zu lassen, wenn vom Unfallverursacher eine ungewöhnlich hohe Gefahr ausging und ein außergewöhnlich hohes Verschulden vorliegt. D hat durch die hohe Geschwindigkeit eine drastische Gefahrensituation herbeigeführt. Der nicht angelegte Sicherheitsgurt stellt sich im Vergleich dazu als vollkommen geringfügig dar. Daher ist der Anspruch der K nicht wegen eines Mitverschuldens des S zu mindern. Im Originalfall stellte das LG Hamburg noch einen Tötungsvorsatz des D fest, was ebenfalls besonders schwer ins Gewicht fiel.

12. Hat K somit gegen H einen Anspruch auf Schmerzensgeld aus § 7 Abs. 1 StVG?

Ja, in der Tat!

Nach § 7 Abs. 1 StVG haftet (1) der Halter eines Kfz (2) für Personen- oder Sachschäden, (3) die bei dem Betrieb des Kfz kausal verursacht werden, (4) wenn die Haftung nicht ausgeschlossen ist. Sämtliche Anspruchsvoraussetzungen sind erfüllt, weswegen der Anspruch von K gegen H besteht. K hat ferner gegen H einen Anspruch aus §§ 823 Abs. 2 i.V.m. § 14 Abs. 2 S. 2 StVO wegen der fehlenden Sicherung gegen unbefugte Benutzung, wie sie in der StVO vorgeschrieben ist. Daneben stehen K Ansprüche gegen D aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG sowie aus §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 1, Abs. 2 BGB und §§ 823 Abs. 2 i.V.m. §§ 223, 229 StGB zu. Liegt der Schwerpunkt einer Klausur eindeutig auf der Haftung nach dem StVG, kannst Du Dich bei der späteren Prüfung der §§ 823 ff. BGB kurz fassen und nach oben verweisen.

13. D und H haften als Gesamtschuldner (§ 421 BGB).

Ja!

Dem Geschädigten können bei § 7 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StVG Ansprüche sowohl gegen den Fahrzeugführer als auch den Fahrzeughalter zustehen. Dies kann bei einem Auseinanderfallen von Halter und Führer dazu führen, dass beide als Gesamtschuldner (§§ 421, 840 BGB) haften. Gegebenenfalls bestehen dann Ausgleichsansprüche des Halters gegenüber des (unfallverursachenden) Fahrzeugführers (§ 426 BGB). K steht sowohl gegen D als auch gegen H ein Anspruch auf Schmerzensgeld zu. Beide haften nebeneinander (§ 7 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StVG) als Gesamtschuldner (§§ 421, 840 BGB). Im Ausgangsfall hat K zusätzlich die Haftpflichtversicherung des H in Anspruch genommen (§ 115 Abs. 1 VVG). Im Verhältnis zu D gilt § 103 Abs. 1 VVG, wonach die Versicherung bei vorsätzlichem und rechtswidrigem Handeln nicht haftet. H handelte allerdings nicht vorsätzlich, weshalb im Verhältnis zu H keine Entlastung durch § 103 Abs. 1 VVG möglich war. Die Einzelheiten zur Gesamtschuld kannst Du in unseren Aufgaben zur Schuldnermehrheit vertiefen!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

LexSuperior

LexSuperior

13.5.2025, 11:05:22

ich verstehe eine Sache nicht. in eurer Erklärung habt ihr geschrieben „grundsätzlich endet die Haftung des

Fahrzeug

halters (…) erst, wenn der (bisherige) Halter zur zeit des schädigenden Ereignisses die tatsächliche Möglichkeit, den Einsatz des Kraft

fahrzeug

s zu bestimmen auf eine nicht nur vorübergehende zeit verloren hat und deshalb nicht mehr als Halter anzusehen ist“ ich verstehe diese zusätzliche zeitliche Voraussetzung nicht (zumal diese ja nicht exakt angegeben ist - z.b. ab 3 Tagen nach Entwendung oder so).. ich meine zum ZP des Schadensereignisses war der bisherige Halter doch nicht dazu in der Lage Einfluss zu nehmen? mir kommt das etwas willkürlich vor, weil wenn das Schadenereignis erst einige Tage nach Entwendung eingetreten wäre, der Halter seine Haltereigenschaft womöglich verloren und nicht mehr nach der hier einschlägigen Norm haftbar wäre. wisst ihr wie ich das meine? also das die Haftung gewissermaßen vom Zufall abhängt, je nachdem wie viel später nach dem Entwendungszeitpunkt das entsprechende Schadensereignis eintritt. könnt ihr das ein bisschen erklären? danke :)

DI

Dini2010

13.5.2025, 12:29:37

So wie ich das verstanden habe, geht es primär darum, dass derjenige, der das

Fahrzeug

entwendet, gesicherten Besitz an dem

Fahrzeug

erlangt haben muss (in dem SV hier war der Dieb ja noch auf der Flucht). Es geht also weniger um einen Zeitraum im Sinne von X Stunden oder X Tage, als um einen gesicherten Gewahrsam. Im beck-onlineGK steht dazu: "..tritt aber ein Halterwechsel ein, weil der Benutzer gesicherten und dauerhaften Besitz an dem Kfz erlangt hat, haftet nur noch der neue Halters...die Stellung als Halter eines Kfz endet erst dann, wenn die tatsächliche Möglichkeit, den Einsatz des Kfz zu bestimmen, auf eine nicht nur vorübergehende Zeit entzogen wird. Die unerlaubte

Verwendung

des Kfz durch eine Straftat begründet eine neue Halterstellung erst dann, wenn der Täter eine eigene dauerhafte und ungestörte Verfügungsmacht begründet hat. Der

Gewahrsamsbruch

allein genügt also nicht. Die Wiedererlangungsprognose muss negativ sein. Unmittelbare, aktive polizeiliche Ermittlungen dürfen die Ausübung der

Verfügungsgewalt

nicht mehr beeinträchtigen. Absolute zeitliche Grenzen können kaum gezogen werden, vielmehr kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an (Zeitablauf, Abmeldung, Beendigung Ver

sicherungsvertrag

, Verbringung Kfz ins Ausland etc.). In unserem Fall befand sich der Dieb ja noch auf der Flucht, so dass von "gesichertem und ungestörtem Besitz" nicht gesprochen werden konnte. Vielleicht hilft das fürs Verständnis : )

LexSuperior

LexSuperior

13.5.2025, 12:57:04

Hey vielen Dank für deine Mühen und die echt gute Antwort 😊 mich interessiert aber dennoch was der Grund für dieses Erfordernis (also dauerhaft + Wiedererlangungsprognose negativ) ist. Aus meiner Sicht entzieht sich das praktisch bereits eine Minute nach Entwendung - in den meisten Fällen jedenfalls - dem Einfluss des bisherigen Halters. Ich meine dieser wird meistens ja überhaupt keinen Einfluss mehr darauf nehmen können ob der Besitz bzw. die Einwirkmöglichkeit an dem

Fahrzeug

dauerhaft entzogen wurde. Im Zweifel hat da nur die Polizei und deren Bemühungen Einfluss darauf. Ich hoffe es wird klar was ich meine. Also in den Fällen in denen der bisherige Halter die Entwendung zumindest mitermöglicht hat, ist klar das dieser auch haftbar bleiben soll, aber in den Fällen in denen das nicht der Fall ist leuchtet mir nicht ein, dass dessen Haftung noch so lange fortbesteht bis man das Merkmal „dauerhaft“ bejahen kann und entsprechend die Prognose für die Wiedererlangung negativ ist. Was ist denn der Grund für diese „Schlechterstellung“ des bereits durch Entzug seines Besitzes Geschädigten bisherigen Halters? Alleine der Schutz des durch einen späteren möglich Unfall geschädigten Dritten kann es ja nicht sein, oder? Schließlich bleibt ja der Unfallverursacher bzw. der „Entwender“ haftbar und damit der geschädigte Dritte ja nicht schutzlos. Ich hoffe es ist verständlich was ich meine 😅

DI

Dini2010

13.5.2025, 14:22:26

@[LexSuperior](105329) ja, ich verstehe, worauf die hinaus willst. Ich habe, weil es mich selbst interessiert, nochmal weiter recherchiert und folgendes gefunden: Kaufmann in Geigel, Haftpflichtprozess, Kap. 25 Haftung des Kfz-Halters und -führers, Ende der Halterhaftung: "Verliert der Halter jegliche Verfügungsmacht über sein Kfz oder seinen Kfz-Anhänger, dann ist er nicht mehr „Halter“ mit der Folge, dass auch seine Halterhaftung endet. Der neue Inhaber der Verfügungsmacht wird neuer Halter. Wird dem Halter das Kfz gestohlen oder unterschlagen oder wird ihm auch nur der Gebrauch des Kfz entzogen, dann stellt sich die Frage, in welchem Zeitpunkt seine Verfügungsmacht über das Kfz und damit seine Haftung als Halter endet. Die Haftung des Halters beruht darauf, dass der Halter die Verantwortung für die Ingebrauchnahme des Kfz trägt. Der Halter verliert seine Haltereigenschaft nicht dadurch, dass ein anderer das Kfz ohne sein Wissen und ohne seinen Willen benutzt (§ 7 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StVG). Durch § 7 Abs. 3 StVG soll der Haftpflichtschutz der Verkehrsopfer verstärkt werden. Der Halter trägt die Verantwortung für die Ingebrauchnahme des

Fahrzeug

s, er kann sich grundsätzlich nicht darauf berufen, dass dessen Benutzung nicht seinem Wissen und Willen entsprochen habe. Der Schwarzfahrer, der nur vorübergehend das Kfz oder den Kfz-Anhänger ohne

Zueignungsabsicht

benutzt, wird damit noch nicht zum Halter. Selbst wenn der Dieb das Kfz in

Zueignungsabsicht

entwendet, so hat dies noch nicht zur Folge, dass bereits mit dem

Gewahrsamsbruch

ein Halterwechsel eintritt. Der endgültige Verlust jeglicher Verfügungsmacht über das Kfz ist nach ähnlichen Kriterien zu beurteilen wie der endgültige Wegfall des versicherten Interesses im Versicherungsrecht. Ebenso wenig wie der

Gewahrsamsbruch

zur Folge hat, dass allein dadurch das versicherte Risiko wegfällt (BGH VersR 1981, 186), führt der

Gewahrsamsbruch

allein nicht zum Erlöschen der Verfügungsmacht des Halters und damit zum Ende der Halterhaftung. (KG NZV 1989, 273; Clauß VersR 2002, 1074). Auch wenn seit dem Diebstahl 5 Tage vergangen sind, so bedeutet das nicht etwa zwingend, dass damit der Halter jegliche Verfügungsmacht an dem Kfz verloren haben muss und seine Haltereigenschaft erloschen ist (BGH VRS 60, 85). Halter ist nur, wer sich eines ruhigen Besitzes am Kfz erfreuen kann. Der durch Diebstahl oder Unterschlagung herbeigeführte Halterwechsel setzt voraus, dass der Täter polizeilichen Nachforschungen nicht mehr ausgesetzt ist. Die seit dem Diebstahl verstrichene Zeit, die Abmeldung des Kfz durch den bisherigen Halter bei Zulassungsstelle und Versicherung, der Umbau und die Veränderung des Kfz oder dessen Veräußerung durch den Dieb, die Verschiebung des Kfz in das Ausland und die Einstellung eines strafprozessualen Ermittlungsverfahrens wegen Diebstahls sind Indizien dafür, dass sich der Dieb oder dessen Nachfolger im Besitz auf Dauer des ungestörten Besitzes an dem Kfz erfreuen kann und damit der ursprüngliche Halter auf Dauer sein

Fahrzeug

nicht mehr zurückerhalten wird. Mit der negativen Wiedererlangungsprognose tritt der Halterwechsel ein und entfällt das in der Haftpflichtversicherung versicherte Wagnis." Es gibt dazu einen Beitrag von Felix Clauß, VersR 2002, 1074. Da habe ich nur Zugriff auf eine Kurzfassung: "In Fällen der Unterschlagung, in denen regelmäßig ein Überlassen des Kfz vorausgeht, endet die Halterhaftung mit dem Wechsel der Haltereigenschaft auf den Täter. Da eine Fortdauer der

Gefährdungshaftung

nach § 7 III S. 2 StVG hier nicht möglich ist, endet der Ver

sicherungsvertrag

gem. § 68 II VVG mit der negativen Wiedererlangungsprognose, regelmäßig dem Einstellen der polizeilichen Ermittlungen. Ebenso zu behandeln sind die Fälle des vom Halter nicht

schuld

haft ermöglichten Diebstahls. In Fällen des vom Halter

schuld

haft ermöglichten Diebstahls bleibt der (bisherige) Halter auch nach Halterwechsel gem. § 7 III S. 1 Halbs. 2 StVG analog haftbar. Der Ver

sicherungsvertrag

dauert bis zu einer etwaigen anderweitigen Beendigung an. Unabhängig von einer fälschlich vorgenommenen Abrechnung durch den Versicherer genießt der Versicherungsnehmer weiterhin Versicherungsschutz." Das alles beantwortet nicht wirklich die Hauptfrage, wieso es so ist. Für mich liest sich aber ein wenig raus, dass es versicherungsrechtliche Gründe hat und/oder als Abgrenzung dient, bis wann eben der Versicherungsschutz/-vertrag weiter läuft beim Halter und wann er eben endet. Und was die

Verfügungsgewalt

angeht, das erinnert ja ein bisschen an die Abgrenzung Diebstahl -

straflose Gebrauchsanmaßung

, letztere kann ja durchaus auch vorliegen, wenn längere Zeit zwischen Entwendung und Wiedererlangung besteht, die Chancen auf Wiedererlangung aber eben vorhanden sind (und eine

Zueignungsabsicht

gerade nicht). Ach so und es gibt auch Meinungen, die einen Halterwechsel bereits annehmen, sobald sich der Dieb mit dem

Fahrzeug

und

Zueignungsabsicht

entfernt. Vielleicht geben die Quellen innerhalb der oben zitierten Texte mehr her, dazu fehlt mir dann doch gerade die Zeit : )

DI

Dini2010

13.5.2025, 14:29:36

@[LexSuperior](105329)

Was m

ir gerade noch so durch den Kopf geht, vielleicht macht dieser versicherungsrechtlicher Hintergrund tatsächlich Sinn. Würde die Haltereigenschaft unmittelbar wechseln, würde auch der Einstand der Versicherung für Schäden entfallen. Bei einem Unfall wäre der Geschädigte dann auf die Leistungsfähigkeit des Diebes angewiesen und würde, bei den im Straßenverkehr ja oft hohen Schadenssummen, sicherlich häufig annähernd schutzlos stehen. Durch die Einschränkung, dass der Dieb dauerhaften und gesicherten Besitz haben muss, geht man ja auch davon aus, dass der Dieb das

Fahrzeug

entweder für sich selbst als eigenes nutzt oder verkauft. In beiden Fällen käme es ja dann zu einem entsprechenden neuen Ver

sicherungsvertrag

sabschluss. Ein Geschädigter wäre somit zunächst weiterhin über die Versicherung des ursprünglichen Halters geschützt, im späteren Falle dann durch die des "neuen" Halters. Zumindest in der Theorie. Demnach wäre dann doch der Schutz des/der Geschädigten der Hintergrund. Kann man verstehen, was ich meine?

LexSuperior

LexSuperior

13.5.2025, 14:33:32

Wow vielen Dank 🤩 die Kurzfassung des Aufsatzes habe ich bei meiner Recherche auch gefunden 😊 dein Erklärungsversuch auf die „Hauptfrage“ erscheint mir jedenfalls absolut richtig. Nichtsdestotrotz schaffe ich es innerlich nicht wirklich eine Haftung des bisherigen Halters in zeitlicher Hinsicht derart auszudehnen und hoffe das die Ablehnung einer Haftung auch akzeptabel sein kann 😅 vielleicht kann jemand mit Korrekturerfahrung etwas dazu sagen? Natürlich nur wenn es klausurtaktisch sinnvoll ist und man sich nicht andere Probleme durch die Ablehnung abschneiden würde. Und du sagtest ja bereits das es durchaus andere Ansichten gibt, also ist es ja möglicherweise vertretbar eine Haftung schnell zu verneinen ^^

LexSuperior

LexSuperior

13.5.2025, 14:35:59

Nochmal ich, habe deine zweite Antwort gerade erst gesehen. Macht absolut Sinn. Durch den Halterwechsel würde der geschädigte Dritte nicht nur den bisherigen Halter als Haftenden verlieren sondern auch dessen Versicherung… es sei denn es gäbe Normen die eine Haftung des Versicherers fortbestehen lassen, solche sind mir aber nicht bekannt 🙈

DI

Dini2010

13.5.2025, 14:57:58

Ne mir auch nicht (also entsprechende Normen bekannt). Und nach meinem letzten (unver

schuld

eten) Unfall und - mal wieder - nem Sachverständigen-Schadensgutachten mit einer 5-stelligen Reparatursumme, war ich sehr dankbar, dass der Schädiger eine Versicherung hatte : )

LexSuperior

LexSuperior

13.5.2025, 15:37:31

@[Dini2010](109777) Oh, ja aus deiner Sicht verstehe ich das dann natürlich^^ Aber schau dir mal § 117 (I) VVG an. Ich könnte mir schon vorstellen das der Versicherer auch dann haftbar ist :) Nur ein Denkanstoß, ich hoffe ja nach wie vor das wir beide von einem Moderator erleuchtet werden :)

DI

Dini2010

13.5.2025, 16:45:07

Ja eine Erleuchtung durch einen Moderator wäre toll, wollte mich nicht zum Versicherungsexperten belesen : ) Hab aber auf die schnelle in einen Kommentar zu § 117 I VVG geschaut und verstehe das so, das dieser auf Fälle zielt, wo die

Leistungspflicht

aufgrund von Mängeln im

Deckungsverhältnis

nicht (mehr) besteht, zum der Versicherer bei dem Versicherungsnehmer Rückgriff nehmen kann. Das ist ja bei einem Halterwechsel nicht der Fall. Ich glaube daher, dass § 117 VVG nicht auf unsere Situation passt.

DI

Dini2010

13.5.2025, 16:59:44

Nachtrag: aus Stiefel/Meier, Kraftfahrtversicherung: "Opferschutz (Abs. 1)....Auch wenn der VR seinem Versicherten ggü von der Verpflichtung zur Leistung frei ist, soll seine

Leistungspflicht

in Ansehung des Dritten ("Opferschutz") im Außenverhältnis gleichwohl bestehen bleiben. Besteht eine Pflicht zum Abschluss der Haftpflichtversicherung, soll der Geschädigte keinen Nachteil aufgrund des Umstandes haben, dass der Versicherte aufgrund von

Pflichtverletzung

en im Innenverhältnis gegenüber dem VR keinen oder nur teilweisen Leistungsanspruch hat."

LexSuperior

LexSuperior

13.5.2025, 17:17:42

Abermals vielen Dank für deine Mühen :) Finde ich toll das wir das hier ein bisschen ausdiskutieren^^ Als Umstände die eine sog. Nachhaftung begründen sind im Münchner Kommentar (2024) nur solche aufgezählt, die a.) das Nichtbestehen des Ver

sicherungsvertrag

es zur Folge haben (also insbesondere solche die eine ex tunc Nichtigkeit bewirken, z.B. fehlende Geschäftsfähigkeit oder so), b.) solche die zur Beendigung des Versicherungsverhältnisses führen und c.) durch Zeitablauf. Nun ist unter „b.)“ also den Umständen welche eine Beendigung des Versicherungsverhältnisses zur Folge haben nicht explizit der Fall erwähnt, dass dem Versicherungsnehmer ein

Fahrzeug

gestohlen wird. Hier wird nur ausdrücklich der Fall erwähnt, dass der Versicherungsnehmer das versicherte

Fahrzeug

veräußert. Möglicherweise kann man dann aber Diebstahlfälle ebenfalls darunter subsumieren bzw. analog anwenden. Ich meine aus Sicht des Dritten ist es nur schwer vertretbar das dieser bei der Veräußerung der Sache durch den Versicherungsnehmer Kraft Nachhaftung noch geschützt ist, im Falle eines unfreiwilligen Verlustes dann aber nicht mehr. Ich bin mir gerade aber auch nicht sicher ob ich mich (oder vielleicht auch wir beide :D) zu sehr verkopft habe(n) und das offensichtliche nicht mehr sehen xD

DI

Dini2010

13.5.2025, 21:46:35

DAS finde ich auch echt gut, mal was anderes als "nur" Frage und Antwort : ) Und finde ja gerade solche Diskussionen, die sich dann insgesamt entwickeln und thematisch weiterentwickeln immer spannend und lehrreich. Ich melde mich thematisch morgen zurück

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

23.5.2025, 11:18:23

Hallo @[LexSuperior](105329), hallo @[Dini2010](109777), vielen Dank für die konstruktive Diskussion! Nun habt Ihr Euch mittlerweile schon so detailliert ausgetauscht, dass ich iRe Forumspost kaum mehr auf alles eingehen kann. Nachfolgend aber zu den aus meiner Sicht wichtigsten Punkten: 1. "nicht nur vorübergehend" Letztlich ist das ein von der Rspr geprägtes Kriterium, das sich aber mittlerweile seit Jahrzehnten in der st Rspr des BGH findet. Zum einen ist das natürlich ein gewisses rechtliches Korrektiv für die "Feinsteuerung" im Einzelfall. Zum anderen, und das kam mE bisher etwas zu kurz, geht es ja nicht nur um den Schutz

Dritter

, sondern auch darum, wen man vernünftigerweise mit der sehr weitreichenden ver

schuld

ensunabhängigen (!) Haftung des § 7 I StVG belasten kann und soll. BGH NJW 1983, 1492, 1493: "Wer danach tatsächlich und wirtschaftlich der eigentlich Verantwortliche für den Einsatz des Kraft

fahrzeug

es im Verkehr ist, schafft die vom

Fahrzeug

ausgehenden Gefahren, für die der Halter nach den strengen Vorschriften des Straßenverkehrsgesetzes einstehen soll." Vor diesem Hintergrund soll die nur ganz vorübergehende Bestimmungsmacht eben grds nicht reichen. Das sorgt für mehr Kontinuität und Rechtssicherheit bei der Haftung und weniger Beweisprobleme in der Praxis. Außerdem werden durch das "nicht nur vorübergehend" zB auch der Kaufinteressent bei seiner Probefahrt und der Werkstattbetreiber beim Abholen eines reparaturbedürftigen, aber noch fahrtauglichen Kfz von der weitreichenden Halterhaftung ausgenommen (BeckOGK-StVG/Walter, Stand 1.1.2022, § 7 Rn 86.1). Dass der Halter dann im Fall des entwendeten Kfz wiederum nach § 7 III 1 StVG nicht haftet, ist davon eine Rückausnahme. Dieses Kriterium ("nicht nur vorübergehend") in der Klausur abzulehnen, gerade falls es denn mal wirklich darauf ankommt, halte ich für gewagt und würde davon eher abraten, weil sich dadurch üblicherweise die weitere rechtliche Prüfung deutlich verändert. Gerade das VerkehrsunfallR ist (insbesondere wegen der vielen Fälle in der Praxis) auch stark durch die Rspr geprägt. Eine aA mag es gerade für den Fall des gestohlenen Kfz geben, selbst in den von mir stichprobenartig gecheckten größeren Kommentaren wird sie aber idR nicht einmal erwähnt. Der Begründungsaufwand dafür wäre in der Klausur also ganz erheblich und in der Kürze der Zeit vermutlich kaum ordentlich zu leisten. 2. Einfluss des VersicherungsR Mit der Definition der Rspr haftet der Versicherer des Eigentümers/Halters einfach nach §§ 117 I, 115 I 1 Nr 1 VVG iVm PflVG. Würde man dagegen einen ziemlich sofortigen Übergang der Haltereigenschaft auf den Schwarzfahrer annehmen, hätten wir insoweit ein Problem; § 117 I VVG passt dann grds nicht mehr. Wenn wir dann dem Geschädigten einen Versicherer als Anspruchsgegner geben wollen, könnte man natürlich versuchen, das über § 117 II VVG zu lösen. Zumindest nachdenken könnte man auch über einen Übergang der Versicherung auf den Dieb nach dem Rechtsgedanken der §§ 122, 95 I VVG (vgl auch § 5a III PflVG) mit der Begründung, dass ein Halterwechsel einem "Veräußern" gleich stehen müsse (zu dieser Diskussion in anderem Zusammenhang MüKoVVG/Brand, 3. Aufl 2024, § 122 Rn 21) - wobei das wegen § 4 III Nr 3 PflVG kaum nötig scheint. Das geht aber wirklich schon sehr in die Details. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

DI

Dini2010

23.5.2025, 16:17:24

@[Sebastian Schmitt](263562) vielen lieben Dank für die super ausführliche und wirklich hilfreiche Erklärung! Und sorry für unsere weitschweifige Diskussion und damit Provokation einer langen Erklärung 🙈 manchmal galoppiert es mit einem davon, wenn man erstmal in der Diskussion ist 😂 also nochmal DANKE, vor allem für diese Antwort, bei der Gelegenheit aber auch mal insgesamt für die mE immer wirklich guten Erklärungen 😊👍

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

23.5.2025, 20:00:37

Hallo @[Dini2010](109777), gerne - und vielen Dank für die netten Worte! :) Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

LexSuperior

LexSuperior

24.5.2025, 00:49:57

@[Sebastian Schmitt](263562) Von mir ebenfalls ein riesiges Dankeschön, die Antwort ist klasse und hilft wirklich sehr weiter 💪

DI

Dini2010

24.5.2025, 14:04:31

@[Sebastian Schmitt](263562) sehr gern. Positives muss ja auch mal gesagt werden : ) passiert eh viel zu selten überall

KAT

Katharina

13.5.2025, 20:02:36

Der K würde gegen D auch ein Anspruch für die Beerdigungskosten aus § 844 I BGB zustehen oder ?

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

17.5.2025, 13:39:53

Hallo @[Katharina](302848), materiell-rechtlich dürfte ein Anspruch von K gegen D nach § 844 I BGB bestehen, ja. Da D insolvent ist, ist dieser Anspruch jedoch, wie auch andere Ansprüche gegen den D, praktisch nicht von Interesse und wurde hier deswegen auch nicht geprüft. Wir wollten insbesondere die schwierigeren Fragen zur Haftung des H vermitteln. Wenn in einer Klausur nach den Ansprüchen gegen D gefragt wäre, müssten diese jedoch auch geprüft werden. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team

FTE

Findet Nemo Tenetur

13.5.2025, 20:52:58

Wenn der Geschädigte überlebt und dennoch ein

Schockschaden

beim Angehörigen eintritt, dann lese ich “Verletzter” im § 11 S. 1 StVG so, dass jeweils die Person, deren Ansprüche ich gerade prüfe, die Verletzte ist, richtig? Oder gibt es dann eigentlich nur die “unmittelbar” verletzte Person?

Major Tom(as)

Major Tom(as)

14.5.2025, 09:17:04

Hätte es genauso gemacht, wie du als erstes vorschlägst :) "Verletzt" i.S.d. § 11 StVG ist ja, wer z.B. gem. § 7 I StVG auch "verletzt" ist --> und da stellt man mE jeweils auf die individuell betroffene Person (also auch die "schockgeschädigte") ab


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