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Traktor schleudert Gülle auf ein Ferienhaus – Halterhaftung? (LG Kempten, 23.12.2024, Az. 12 O 1063/24)
Traktor schleudert Gülle auf ein Ferienhaus – Halterhaftung? (LG Kempten, 23.12.2024, Az. 12 O 1063/24)
13. Juni 2025
16 Kommentare
4,7 ★ (13.936 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Landwirt L versprüht mit seinem Traktor von einer öffentlichen Straße aus Gülle auf seine Wiese. Durch den Wind weht die Gülle auf das gegenüberliegende Ferienhausgrundstück und verschmutzt u. a. Pool, Garten und Hausfassade. Die Eigentümerin des Grundstücks F fordert von L Schadensersatz.
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Einordnung des Falls
Traktor schleudert Gülle auf ein Ferienhaus – Halterhaftung? (LG Kempten, 23.12.2024, Az. 12 O 1063/24)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. F könnte gegen L einen Anspruch auf Schadensersatz aus § 7 Abs. 1 StVG haben.
Ja!
2. Ist L Halter eines Kfz (§ 1 Abs. 2 StVG)?
Genau, so ist das!
3. Durch die Gülle wurde der gesamte Gartenbereich einschließlich Bestuhlung, Pool, Fenster und Hausfassade auf der Gartenseite mit Fäkalien besprüht und verunreinigt. Beeinträchtigt dies die bestimmungsgemäße Verwendung des Ferienhauses erheblich?
Ja, in der Tat!
4. Die Gülle ging nicht vom Traktor selber aus, sondern vom Güllefass und dem angebrachten Hochdruckverteiler. Zudem wurden Felder gedüngt, die nicht Teil der öffentlichen Verkehrsfläche waren. Spricht dies dafür, dass der Schaden beim Betrieb des Kfz verursacht wurde?
Nein!
5. Haftet der Halter beim Entladen eines Kfz auch für Gefahren, die von den Entladevorrichtungen und dem Ladegut ausgehen?
Genau, so ist das!
6. Der Traktor hat als „fahrbare Arbeitsmaschine“ während der Fahrt bestimmungsgemäß Arbeiten verrichtet. Ist der Schaden deshalb „bei Betrieb” eines Kfz entstanden?
Ja, in der Tat!
7. Der Haftungstatbestand des § 7 Abs. 1 StVG ist dem Grunde nach erfüllt. War der Wind völlig unvorhersehbar und ganz außergewöhnlich (= höhere Gewalt, § 7 Abs. 2 StVG), sodass Ls Haftung ausgeschlossen ist?
Nein!
8. Hat F aufgrund der Verunreinigung einen ersatzfähigen Schaden erlitten (§§ 249 ff. BGB)?
Genau, so ist das!
9. Einzelne Gäste mindern die Miete für den Aufenthalt im Ferienhaus, während das Grundstück noch verunreinigt ist. Ist dieser Einnahmeverlust ebenfalls vom Schadensersatzanspruch der F umfasst?
Ja, in der Tat!
10. F hat ihren Gästen, um die Geltendmachung von Ansprüchen wegen der Verunreinigung zu verhindern, je einen Gutschein über €150,00 und eine Kühlschrankfüllung im Wert von €59,00 überlassen. Sind diese Schadensposten ersatzfähig, weil sie zur Schadensminderung erforderlich waren (§ 254 Abs. 2 S. 1 BGB)?
Nein!
11. F hat gegen L einen Anspruch nach § 7 Abs. 1 StVG. Ist der regelmäßig neben § 7 Abs. 1 StVG bestehende verschuldensabhängige Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB stets irrelevant?
Nein, das ist nicht der Fall!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Henrik
23.5.2025, 11:57:26
Was ist mit § 906 II 2 BGB analog?
Niro95
24.5.2025, 07:40:59
Daran hatte ich auch gedacht. Wobei ich denke, dass man hier die Analogie gar nicht bräuchte und direkt auf 906 II 2 einen Ausgleich in
Geldverlangen kann. Wenn man zum Ergebnis käme, dass die Einwirkung nicht zu dulden wäre, könnte er mE auch Säuberung auf Grundlage von 1004 verlangen. Der Unterschied zu 7 StVG ist denke ich, dass die beiden oben genannten Ansprüche keine SE-Ansprüche im klassischen Sinne sind und sich in der Rechtsfolge nicht mit 7 StVG decken. Wäre für weitere Gedanken dazu dankbar.
Marco
24.5.2025, 14:38:07
Der Anspruch aus § 906 II 2 BGB analog ist nach der Rechtsprechung subsidiär, er besteht also nur, sollten dem Anspruchsteller keine anderen Ansprüche zustehen. Da dem Kläger hier aber ein Anspruch aus § 7 I StVG zustand, ist §
906 II 2 analogschon nicht anwendbar.

aschoo
27.5.2025, 12:03:23
Anzusprechen wäre möglicherweise noch 1004 iVm
281 bgb(der ist nicht subsidiär), dann könnte man noch den „pappelwurzelfall“ mit in der lösung verwursten und (bei ablehnung der anwendbarkeit (wenn man dem bgh denn folgen möchte)) dann auf 7 stvg kommen
Findet Nemo Tenetur
27.5.2025, 21:38:34
Ja, bitte unbedingt eine Erklärung, wie unter § 1004 I zu subsumieren wäre! (§ 906 II direkt dürfte wahrscheinlich ausscheiden weil Gülle ≠ Imponderabilie?)
Entenpulli
24.5.2025, 10:00:56
Mir erschließt sich nicht wirklich, worin der Unterschied zu diesem Fall https://applink.jurafuchs.de/VWp2lYLQCTb besteht, in dem ein Traktor eine Stein auf eine Reiterin schleudert, indem er ihn bei der Fahrt auf dem Feld aufwirbelt. Dort wurde "bei Betrieb" verneint, weil es um die Fortbewegung bei der Arbeit und nicht im Straßenverkehr ging. Liegt das einzig daran, dass hier eine Sprühvorrichtung verwendet wird? Wenn ja, leuchtet mir nicht ein, wieso das entscheidend sein soll, wenn doch (sofern ich das richtig verstanden habe) Kern der Frage ist, ob der Betrieb (im Zusammenhang mit dem) Straßenverkehr erfolgte, oder es sich um ein reines Arbeitsgerät handelt. Über eine Erklärung würde ich mich sehr freuen
Dünendiva
27.5.2025, 07:09:42
In der Lösung wird subsumiert, dass sich der Traktor nicht ausschließlich auf der Wiese sondern auch auf einer öffentlichen Straße bewegt hat. Es geht also wohl mehr darum, dass der Traktor mit dem Güllefass eine "fahrbare Arbeitsmaschine" ist und sich wenn durch den Entladevorgang ein Schaden entsteht dieser vom Fahrvorgang abhängig ist (also wo und wie stark es sich verteilt). Sofern er sich im öffentlichen Straßenverkehr bewegt ist der Schaden also "bei Betrieb" entstanden. ABER die Subsumtion steht nur in der Lösung nicht im Sachverhalt, weshalb die Aufgabe mE nach so nicht richtig lösbar war.
Entenpulli
27.5.2025, 08:15:47
@[Dünendiva](297164) Deiner Ansicht nach müsste man also trennen zwischen der Fahrt auf dem Feld (kein § 7 StVG) und der Fahrt auf der Straße (§ 7 StVG +)?
Dünendiva
27.5.2025, 08:21:19
Würde ich so sehen, also führe der Traktor ausschließlich auf der Wiese dürfte wohl § 7 StVG abzulehnen sein. Wichtig ist hier vielleicht noch zu erwähnen, dass im Originalfall der Traktor auf der Straße gefahren ist um seine daneben liegende Wiese zu düngen. Also er ist hier stets im öffentlichen Raum gewesen.
Findet Nemo Tenetur
27.5.2025, 21:34:37
Steht auch so im Sachverhalt, dass der Traktor auf der normalen Straße gefahren ist.
Findet Nemo Tenetur
27.5.2025, 21:45:53
Einer der Klausurhinweise sagt, man solle die verschiednen Schadensposten ggf getrennt prüfen. Bedeutet getrennt, eine Trennung im Prüfungspunktes “Schaden”, aber innerhalb ein und derselben Rechtsgutsverletzung iRd Anspruchsgrundlage § 7 I StVG; oder heißt getrennt, ich differenziere bereits bei der Benennung des Rechtsguts und prüfe dann § 7 I StVG mehrmals, also jeweils für Fassade, Pool, usw.? Ich fänd ersteres deutlich sinnvoller, da sich ja bis zum Prüfungspunkt “Schaden” keine Unterschiede ergeben und außerdem die Reinigungskosten sowie die Geschenkkosten ja Vermögen und damit gar kein Rechtsgut iSd § 7 I StVG sind. Wollte aber mal sichergehen, ob das so stimmt? War mir unsicher bei dem Klausurhinweis. Danke!

Linne Hempel
28.5.2025, 12:32:22
Hey @[Findet
Nemo Tenetur](254807), danke für die Nachfrage. Unser Klausurhinweis ist im Sinne deiner ersten Ausführung zu verstehen. Du prüfst also zunächst, ob der Tatbestand von § 7 Abs. 1 StVG erfüllt ist. Im Rahmen des ersatzfähigen Schadens als Rechtsfolge differenzierst Du dann nach den einzelnen Schadensposten und prüfst jeweils, ob und nach welcher konkreten Norm der §§ 249ff. BGB diese ersatzfähig sind. So ermittelst Du den richtigen Umfang des dem Grunde nach gegebenen Anspruchs aus § 7 Abs. 1 StVG. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team
Findet Nemo Tenetur
28.5.2025, 14:09:06
Danke für die schnelle Antwort, @[Linne Hempel](243622)!