+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Student Siegmund ist vom Staatsorganisationsrecht begeistert, aber als Anhänger der Monarchie hat er aber keine Ahnung, welche Wahlsysteme es gibt. Kommilitonin Sieglinde will Siegmund aushelfen.
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Einordnung des Falls
Einführung Erläuterung Wahlsysteme
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. In einer Demokratie werden typischerweise zwei Grundformen von Wahlsystemen unterschieden: Mehrheitswahl und Verhältniswahl.
Ja, in der Tat!
Als die beiden grundlegend verschiedenen „reinen“ Formen von demokratischen Wahlsystemen werden die Mehrheitswahl (Persönlichkeitswahl) und die Verhältniswahl (Proportionalwahl) unterschieden. Hierbei handelt es sich um sog. „Idealtypen“. Das sind „reine Modelle“, die eine Konstruktion unverfälscht zum Ausdruck bringen, d.h. Mischformen oder Abschwächungen, wie sie in der Realität zu finden sind, ausblenden. In den meisten Demokratien sind die Wahlsysteme eben nicht in einer reinen Form zu finden, sondern es finden sich Elemente aus beiden Ansätzen.
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2. Bei einer Mehrheitswahl ist gewählt, wer die Mehrheit der in einem Wahlkreis abgegebenen Stimmen gewonnen hat.
Ja!
Eine Mehrheitswahl zeichnet sich dadurch aus, dass die Wählenden ihre Stimmen direkt für einen bestimmten Kandidaten in einem Wahlkreis abgeben. Der Kandidat, der sich gegen die Konkurrenz im Wahlkreis durchsetzt, zieht ins Parlament ein. Hier unterscheidet man zwischen einer relativen und einer absoluten Mehrheitswahl. Bei der absoluten Mehrheitswahl zieht nur der Kandidat ins Parlament, der mehr als die Hälfte aller Stimmen gewonnen hat. Bei der relativen Mehrheitswahl ist es ausreichend, dass er mehr Stimmen als die anderen Kandidaten hat (also z.B. 40 % aller Stimmen, bei insgesamt drei Kandidaten). Ein Beispiel für eine reine Mehrheitswahl ist die Wahl des Präsidenten in den USA – mit der bekannten Besonderheit, dass es dort in jedem Bundesstaat Wahlmänner zu „erringen“ gilt. Die Mehrheitswahl bezieht sich also auf die abgegebenen Stimmen in jedem einzelnen Bundesstaat.
3. Weil nur der Gewinner eines Wahlkreises ins Parlament einzieht, geht bei der Mehrheitswahl ein Großteil der Stimmen „verloren“. Denn diese werden nicht im Parlament repräsentiert. Hierin besteht der große Nachteil einer Mehrheitswahl.
Genau, so ist das!
Eine Mehrheitswahl hat den Effekt, dass die Stimmen, die für einen Kandidaten abgegeben werden, welcher keine Mehrheit erreicht, bei der Sitzverteilung keine Berücksichtigung finden. Wenn z.B. drei Kandidaten zur Wahl stehen und ein Kandidat mit 40 % der Stimmen ins Parlament einzieht, so werden die übrigen 60 % im Parlament nicht vertreten. Konkret wird also der politische Wille von 60 % der Bevölkerung in diesem Wahlkreis nicht berücksichtigt. Dies steht in einem Spannungsverhältnis zum demokratischen Anspruch, dass ein Parlament durch das (möglichst ganze) Wahlvolk legitimiert wird.
4. Bei der Verhältniswahl erhält eine Partei so viele Sitze im Parlament, wie ihr nach dem Verhältnis zu den anderen Parteien zusteht.
Ja, in der Tat!
Bei einer Verhältniswahl präsentieren die politischen Parteien ihre Kandidaten auf einer Liste pro Wahlkreis. Die Sitze im Parlament werden entsprechend dem Anteil an der Gesamtzahl der gültigen Stimmen vergeben. Bei einer reinen Verhältniswahl erhält also eine Partei, die zehn Prozent der bundesweiten Stimmen erhält, auch zehn Prozent der Parlamentssitze. Der entscheidende Vorteil im Gegensatz zur Mehrheitswahl besteht darin, dass sich auf diese Weise grundsätzlich alle abgegeben Wählerstimmen in der Zusammensetzung des Parlaments widerspiegeln. Dieser Vorteil hat aber auch die Konsequenz, dass viele verschiedene Parteien ins Parlament einziehen können und hierdurch die Gefahr besteht, dass die Bildung einer Mehrheit im Parlament erschwert oder sogar unmöglich wird (sog. „Zersplitterung“ des Parlaments).
5. In Deutschland wird nach dem Prinzip der absoluten Mehrheitswahl gewählt.
Nein!
Die Wahl zum Deutschen Bundestag ist grundsätzlich eine Verhältniswahl. Allerdings war dieses – jedenfalls bis zur Wahlrechtsreform 2023 – mit Elementen der Mehrheitswahl kombiniert. Nach dem Prinzip der Mehrheitswahl war gewählt, wer die meisten Erststimmen in einem Wahlkreis erhält (sog. Direktmandat), siehe § 6 BWahlG a.F. Nach dem Prinzip der Verhältniswahl werden die Sitze nach dem Anteil der Zweitstimmen vergeben, die auf die Landeslisten der kandidierenden Parteien entfallen (sog. Listenmandat), siehe § 4 BWahlG a.F. Nach der Reform des BWahlG aus dem Jahr 2023 entspricht das Wahlsystem in Deutschland weitestgehend nur noch dem einer Verhältniswahl. Es ist jedoch noch unklar, ob das neue Wahlrecht in dieser Form aufrecht erhalten wird. Die Bestandteile und die verfassungsrechtlichen Bedenken an der Reform schauen wir uns im nächsten Kapitel genauer an.