Öffentliches Recht
Staatsorganisations-Recht
Wahlen und Wahlrechtsgrundsätze
Vereinbarkeit eines Kommunalwahlrechts für Minderjährige mit dem GG (BVerwG, 13.06.2018)
Vereinbarkeit eines Kommunalwahlrechts für Minderjährige mit dem GG (BVerwG, 13.06.2018)
17. Februar 2025
6 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
S ist 16 Jahre alt und Bürgerin in der Stadt A in NRW. S geht zur Kommunalwahl, um von ihrem aktiven Wahlrecht Gebrauch zu machen. In der Schlange am Wahllokal trifft S den Greis G. G ist der Meinung, „Kinder“ dürften nicht wählen. Das sei seiner Ansicht nach „nicht rechtens“.
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Einordnung des Falls
Vereinbarkeit eines Kommunalwahlrechts für Minderjährige mit dem GG (BVerwG, 13.06.2018)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. In vielen Bundesländern ist das Mindestwahlalter für Kommunalwahlen auf 16 Jahre festgelegt. Diese Gesetze müssten verfassungsgemäß sein.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Minderjährige gehören nicht zum Staatsvolk im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG, mit der Folge, dass das aktive Kommunalwahlrecht für Minderjährige gegen Art. 20 Abs. 2 GG verstößt.
Nein, das trifft nicht zu!
3. Das aktive Kommunalwahlrecht für Minderjährige verstößt gegen Art. 38 Abs. 2 GG.
Nein!
4. Das aktive Kommunalwahlrecht für Minderjährige verstößt gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl (Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG).
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Das aktive Kommunalwahlrecht für Minderjährige verstößt gegen einfaches Bundesrecht, etwa §§ 107ff. BGB und § 62 VwGO.
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

G0d0fMischief
15.10.2024, 12:01:54
Durch die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre wird doch einer größeren Zahl von Staatsbürgern das Recht zur Teilnahme an den Kommunalwahlen ermöglicht. Oder liegt das Argument darin, dass eine unberechtigte Benachteiligung aller unter 16jährigen vorliegen könnte?

Linne_Karlotta_
25.10.2024, 18:44:25
Hey @[G0d0fMischief](217996), danke für die Frage. Du liegst mit dem Gefühl, dass die Möglichkeit eines Verstoß gegen die Allgemeinheit der Wahl sich in diesem Fall nicht wirklich aufdrängt, sehr richtig. Deswegen hat das BVerwG einen solchen auch abgelehnt. Der Verstoß wird geprüft, weil die Klägerin im Originalfall die Verfassungswidrigkeit des Kommunalwahlrechts für 16-Jährige unter anderem mit einem Verstoß gegen die Allgemeinheit der Wahl begründet hat. Das
Urteildes BVerwG lässt darauf schließen, dass die Klägerin den Verstoß gegen die Allgemeinheit der Wahl mit der fehlenden „Verstandsreife“ von 16-Jährigen begründet hat. Dass diejenigen, die Wählen können, eine gewisse Verstandsreife haben müssen, ergibt sich zwar nicht aus dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl direkt, muss aber bei der Erfüllung dieses Grundsatzes beachtet werden. Die „Allgemeinheit“ wird also auf die „reife Allgemeinheit“ beschränkt. Siehe hierzu die folgende Stelle aus dem
Urteil: „Die Umsetzung und
Konkretisierungdes Grundsatzes der Allgemeinheit der Wahl obliegt - mangels einer Regelung des Mindestalters bei Kommunalwahlen im Verfassungsrecht selbst - dem Landesgesetzgeber, dem dabei, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, ein Einschätzungsspielraum eröffnet ist. Der Gesetzgeber hat in diesem Rahmen das Kommunalwahlrecht in einer Weise auszugestalten, die auch anderen Verfassungsprinzipien hinreichend Geltung verschafft. Damit ist der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gehalten, in typisierender Weise eine hinreichende Verstandesreife zur Voraussetzung des aktiven Stimmrechts zu machen, weil dadurch dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes Rechnung getragen wird. Denn Demokratie lebt vom Austausch sachlicher Argumente auf rationaler Ebene.“ (RdNr. 14) Da es aber laut BVerwG gerade nicht erkennbar ist, dass 16-Jährige die nötige Verstandsreife nicht für eie Kommunalwahl nicht besitzen, kommt das BVerwG zu dem Ergebnis, dass das Wahlrecht verfassungsmäßig ist. Ich hoffe, ich konnte dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

G0d0fMischief
28.10.2024, 11:29:42
@[Linne_Karlotta_](243622) vielen Dank für die ausführliche Antwort!! :)
Niels
14.12.2024, 03:35:02
Mich würde interessieren, ob man sich das Recht, bereits mit 16 Jahren wählen zu dürfen auch einklagen könnte. Es wurde gesagt, dass in manchen Bundesländern mit 16 bei Kommunalwahlen teilgenommen werden darf, in anderen erst ab 18 Jahren. Ist das nicht eine Ungleichbehandlung?
Leo Lee
15.12.2024, 14:01:49
Hallo Niels, vielen Dank für diese sehr gute und wichtige Frage, die eine ganz entscheidend und auch in der Klausur wichtige Frage aufwirft. Zunächst mal hast du völlig Recht damit, dass in manchen Ländern mit 16 gewählt werden kann, während in anderen man 18 sein muss. Dies ist auch zunächst eine Ungleichbehandlung. Beachte allerdings, dass die Gesetzgebungskompetenz (auch und gerade bzlg. der Kommunalwahlen) bei den Bundesländern liegt, da der Grundsatz besagt, dass das Land zuständig ist, außer wenn Art. 73 oder 74 es regeln (als ausschl. oder konkurr. Gesetzgebung). Und weil bei den 70 ff. GG nichts steht zu den Kommunalwahlen und auch Art. 38 III GG die BUNDESwahl (Bundestagswahl etwa) betrifft, liegt die Kompetenz bei den Ländern. Deshalb liegt eine Ungleichbehandlung vor, allerdings ZWISCHEN den Ländern und nicht INNERHALB eines Landes. Vielmehr stellt Art. 28 GG zusätzlich klar, dass Gemeinden das Recht der kommunalen Selbstverwaltung genießen. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom Jarass/Pieroth GG 18. Auflage, Jarass Art. 28 Rn. 20 ff., Art. 38 Rn. 42 und Art. 70 Rn. 1 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Dominikpolitics
15.12.2024, 21:03:53
Puh, viel geschrieben, aber nicht wirklich eingegangen auf die Frage :D