Öffentliches Recht

Staatsorganisations-Recht

Wahlen und Wahlrechtsgrundsätze

Vereinbarkeit eines Kommunalwahlrechts für Minderjährige mit dem GG (BVerwG, 13.06.2018)

Vereinbarkeit eines Kommunalwahlrechts für Minderjährige mit dem GG (BVerwG, 13.06.2018)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

S ist 16 Jahre alt und Bürgerin in der Stadt A in NRW. S geht zur Kommunalwahl, um von ihrem aktiven Wahlrecht Gebrauch zu machen. In der Schlange am Wahllokal trifft S den Greis G. G ist der Meinung, „Kinder“ dürften nicht wählen. Das sei seiner Ansicht nach „nicht rechtens“.

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Einordnung des Falls

Vereinbarkeit eines Kommunalwahlrechts für Minderjährige mit dem GG (BVerwG, 13.06.2018)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. In vielen Bundesländern ist das Mindestwahlalter für Kommunalwahlen auf 16 Jahre festgelegt. Diese Gesetze müssten verfassungsgemäß sein.

Genau, so ist das!

Eine Kommunalwahl ist eine Wahl in einer Gemeinde bzw. Stadt. Gewählt wird der Gemeinde- oder der Stadtrat sowie ein (Ober)Bürgermeister oder eine (Ober)Bürgermeisterin. Auch unter die Kommunalwahlen fallen die Wahlen der kommunalen Vertretungen in den Landkreisen, also des Landrats bzw. der Landrätin sowie der Mitglieder des Kreistags. Die Regeln für die Kommunalwahlen werden in Landesgesetzen konkretisiert. In vielen Bundesländern können deutsche Staatsbürger (sowie EU-Bürger) mit festem Wohnsitz in der Gemeinde bereits ab 16 Jahren an Kommunalwahlen teilnehmen, z.B. in Brandenburg (§ 8 BbgKWahlG) oder in Nordrhein-Westfalen (§ 7 KWahlG). In anderen Bundesländern darf erst ab 18 Jahren gewählt werden.
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2. Minderjährige gehören nicht zum Staatsvolk im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG, mit der Folge, dass das aktive Kommunalwahlrecht für Minderjährige gegen Art. 20 Abs. 2 GG verstößt.

Nein, das trifft nicht zu!

Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG bestimmt, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Nach Art. 20 Abs. 2 GG wird die Staatsgewalt vom Volke unter anderem in Wahlen ausgeübt. Nach der Rspr. des BVerwG lasse sich aus Art. 20 Abs. 2 GG i.V.m. der Präambel des GG und Art. 116 Abs. 1 GG zwar erkennen, dass die Zugehörigkeit zum Staatsvolk im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG allein durch die deutsche Staatsangehörigkeit vermittelt wird. Aus Art. 20 Abs. 2 GG lasse sich jedoch nicht ableiten, das Staatsvolk bestehe nur aus deutschen Staatsangehörigen, die mindestens 18 Jahre alt seien.

3. Das aktive Kommunalwahlrecht für Minderjährige verstößt gegen Art. 38 Abs. 2 GG.

Nein!

Art. 38 Abs. 2 GG enthält eine grundgesetzliche Altersgrenze nur für Bundestagswahlen. Eine Altersgrenze für das Wahlrecht auf Landesebene sieht das GG nicht vor. Länder, Kreise und Gemeinden müssen eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist (Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG). Die Ausgestaltung des Landeswahlrechts obliegt den Ländern im Rahmen der Grenzen des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG.

4. Das aktive Kommunalwahlrecht für Minderjährige verstößt gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl (Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG).

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl untersagt den unberechtigten Ausschluss von Staatsbürgern von der Teilnahme an der Wahl, insbesondere aus politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Gründen. Für Wahlen auf Landesebene ergibt sich der Grundsatz aus Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG. Er entspricht inhaltlich jedoch Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG. Mangels Regelung zum Wahlalter steht dem Landesgesetzgeber ein Einschätzungsspielraum zu. Voraussetzung für die Teilnahme der Wahl ist aber eine hinreichende Verstandesreife des Wählenden, denn diese ist in einer Demokratie notwendige Voraussetzung für die Teilnahme am politischen Diskurs und eine rationale Wahlentscheidung. Es ist allerdings nicht ersichtlich, dass Bürgern, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, eine solche Verstandesreife fehlt.

5. Das aktive Kommunalwahlrecht für Minderjährige verstößt gegen einfaches Bundesrecht, etwa §§ 107ff. BGB und § 62 VwGO.

Nein, das trifft nicht zu!

Diese einfachgesetzlichen Vorschriften beinhalten keinen Maßstab für die Regelung des Wahlalters im Kommunalwahlrecht. Aus ihnen lässt sich zudem kein allgemeiner Rechtsgrundsatz ableiten, dass Minderjährigen keine von ihnen selbst wahrzunehmenden Rechte eingeräumt werden dürfen. Insbesondere verlangt das Bundesrecht keinen auf allen Gebieten des privaten und des öffentlichen Rechts gleich gestalteten Minderjährigenschutz. Das aktive Kommunalwahlrecht für Minderjährige, die das 16. Lebensjahr vollendet hatten, ist insgesamt verfassungsgemäß.
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