+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Strafgefangener G unterhält aus der Justizvollzugsanstalt eine glühende Liebesaffäre per Brief mit seiner Bekannten B. Gefängniswärter W ist von seinem Leben so gelangweilt, dass er die Briefe trotz Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage liest. G hält sein Briefgeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) für verletzt.

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Einordnung des Falls

Gefangene

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. In der Vergangenheit wurde überwiegend angenommen, dass Grundrechte auf Strafgefangene nicht anwendbar seien.

Genau, so ist das!

Aus der monarchisch-konstitutionellen Zeit des 19. Jahrhunderts entstammt die damals so genannte Theorie des besonderen Gewaltverhältnisses, die heute unter dem Begriff des Sonderstatusverhältnisses bekannt ist. Dabei handelt es sich um die Annahme, dass eine besondere Beziehung zwischen Bürger und Staat in verschiedenen Sonderbereichen der Verwaltung besteht, die durch eine besondere Nähe geprägt ist (z.B. zwischen dem Staat und Strafgefangenen, Lehrern und Beamten). Es wurde angenommen, dass in diesen Verhältnissen die Grundrechte keine Anwendung finden und belastende Maßnahmen nicht unter dem Vorbehalt des Gesetzes stehen. Historisch gesehen wurden die besonderen Gewaltverhältnisse als „Hausgut” der Verwaltung angesehen und dem Einfluss des Parlaments entzogen, um die monarchischen Machtverhältnisse zu perpetuieren.
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2. Die Lehre des Sonderstatusverhältnisses wird heute weiterhin angewendet.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Lehre des Sonderstatusverhältnisses ist heute weithin überholt und ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr angewendet. Dahinter steht die verfassungsrechtliche Überzeugung, dass es keine grundrechtsfreien Räume gibt und die Staatsgewalt uneingeschränkt an die Grundrechte gebunden ist. Grundrechte sind demnach auch auf Gruppen wie Strafgefangene, Lehrer und Beamte anwendbar. Belastende Maßnahmen, die gegen diese Gruppen gerichtet sind, stehen wie alle anderen Grundrechtseingriffe auch unter dem Vorbehalt des Gesetzes. In der Klausur solltest Du in den entsprechenden Fallkonstellationen zwar auf die Lehre des Sonderstatusverhältnisses eingehen, diese jedoch nicht etwa als Meinungsstreit diskutieren. Vielmehr stellst Du kurz und deutlich dar, was die Lehre beinhaltet und stellst sodann fest, dass sie heute keine Anwendung mehr findet. Für die Anwendung der Lehre von den Sonderstatusverhältnissen wurde die Notwendigkeit angeführt, die Funktionsfähigkeit der staatlichen Organisation zu wahren. Dagegen spricht der Wortlaut von Art. 1 Abs. 3 GG, der alle drei Gewalten ausnahmslos an die Achtung der Grundrechte bindet.

3. Das BVerfG hat die Lehre des Sonderstatusverhältnisses erst in einer Entscheidung im Jahr 1972 überworfen.

Ja!

In seiner Strafgefangenenentscheidung im Jahr 1972 hat das BVerfG die Lehre des Sonderstatusverhältnisses verworfen. Damit galt die Lehre noch mehrere Jahrzehnte nach Inkrafttreten des Grundgesetzes weiter, bis sie schließlich aufgehoben wurde. Die Entscheidung des BVerfG stand im Einklang mit der Kritik von Seiten der herrschenden Lehre, die Sonderstatusverhältnisse als unvereinbar mit der umfassenden Grundrechtsbindung und dem Rechtsstaatsprinzip ansah.

4. Strafgefangener G kann sich gegenüber W auf sein grundrechtliches Briefgeheimnis berufen (Art. 10 Abs. 1 GG).

Genau, so ist das!

Die heute unter dem Begriff des Sonderstatusverhältnisses bekannte Lehre besagt, dass eine besondere Beziehung zwischen Bürger und Staat in verschiedenen Sonderbereichen der Verwaltung existiert, die durch eine besondere Nähe geprägt ist (z.B. zwischen dem Staat und Strafgefangenen, Lehrern und Beamten). Vertreter der Theorie nahmen an, dass in diesen Verhältnissen die Grundrechte keine Anwendung finden und belastende Maßnahmen nicht unter dem Vorbehalt des Gesetzes stehen. Diese Annahme ist jedoch heute überholt und findet keine Anwendung mehr. Strafgefangener G kann sich gegenüber seinem Wächter W auf das Briefgeheimnis berufen (Art. 10 Abs. 1 GG) und von ihm Verlangen, das Lesen seiner privaten Briefe zu unterlassen.
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