Gefangene

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Strafgefangener G unterhält aus der Justizvollzugsanstalt eine glühende Liebesaffäre per Brief mit seiner Bekannten B. Gefängniswärter W ist von seinem Leben so gelangweilt, dass er die Briefe trotz Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage liest. G hält sein Briefgeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) für verletzt.

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Einordnung des Falls

Gefangene

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. In der Vergangenheit wurde überwiegend angenommen, dass Grundrechte auf Strafgefangene nicht anwendbar seien.

Genau, so ist das!

Aus der monarchisch-konstitutionellen Zeit des 19. Jahrhunderts entstammt die damals so genannte Theorie des besonderen Gewaltverhältnisses, die heute unter dem Begriff des Sonderstatusverhältnisses bekannt ist. Dabei handelt es sich um die Annahme, dass eine besondere Beziehung zwischen Bürger und Staat in verschiedenen Sonderbereichen der Verwaltung besteht, die durch eine besondere Nähe geprägt ist (z.B. zwischen dem Staat und Strafgefangenen, Lehrern und Beamten). Es wurde angenommen, dass in diesen Verhältnissen die Grundrechte keine Anwendung finden und belastende Maßnahmen nicht unter dem Vorbehalt des Gesetzes stehen. Historisch gesehen wurden die besonderen Gewaltverhältnisse als „Hausgut” der Verwaltung angesehen und dem Einfluss des Parlaments entzogen, um die monarchischen Machtverhältnisse zu perpetuieren.
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2. Die Lehre des Sonderstatusverhältnisses wird heute weiterhin angewendet.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Lehre des Sonderstatusverhältnisses ist heute weithin überholt und ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr angewendet. Dahinter steht die verfassungsrechtliche Überzeugung, dass es keine grundrechtsfreien Räume gibt und die Staatsgewalt uneingeschränkt an die Grundrechte gebunden ist. Grundrechte sind demnach auch auf Gruppen wie Strafgefangene, Lehrer und Beamte anwendbar. Belastende Maßnahmen, die gegen diese Gruppen gerichtet sind, stehen wie alle anderen Grundrechtseingriffe auch unter dem Vorbehalt des Gesetzes. In der Klausur solltest Du in den entsprechenden Fallkonstellationen zwar auf die Lehre des Sonderstatusverhältnisses eingehen, diese jedoch nicht etwa als Meinungsstreit diskutieren. Vielmehr stellst Du kurz und deutlich dar, was die Lehre beinhaltet und stellst sodann fest, dass sie heute keine Anwendung mehr findet. Für die Anwendung der Lehre von den Sonderstatusverhältnissen wurde die Notwendigkeit angeführt, die Funktionsfähigkeit der staatlichen Organisation zu wahren. Dagegen spricht der Wortlaut von Art. 1 Abs. 3 GG, der alle drei Gewalten ausnahmslos an die Achtung der Grundrechte bindet.

3. Das BVerfG hat die Lehre des Sonderstatusverhältnisses erst in einer Entscheidung im Jahr 1972 überworfen.

Ja!

In seiner Strafgefangenenentscheidung im Jahr 1972 hat das BVerfG die Lehre des Sonderstatusverhältnisses verworfen. Damit galt die Lehre noch mehrere Jahrzehnte nach Inkrafttreten des Grundgesetzes weiter, bis sie schließlich aufgehoben wurde. Die Entscheidung des BVerfG stand im Einklang mit der Kritik von Seiten der herrschenden Lehre, die Sonderstatusverhältnisse als unvereinbar mit der umfassenden Grundrechtsbindung und dem Rechtsstaatsprinzip ansah.

4. Strafgefangener G kann sich gegenüber W auf sein grundrechtliches Briefgeheimnis berufen (Art. 10 Abs. 1 GG).

Genau, so ist das!

Die heute unter dem Begriff des Sonderstatusverhältnisses bekannte Lehre besagt, dass eine besondere Beziehung zwischen Bürger und Staat in verschiedenen Sonderbereichen der Verwaltung existiert, die durch eine besondere Nähe geprägt ist (z.B. zwischen dem Staat und Strafgefangenen, Lehrern und Beamten). Vertreter der Theorie nahmen an, dass in diesen Verhältnissen die Grundrechte keine Anwendung finden und belastende Maßnahmen nicht unter dem Vorbehalt des Gesetzes stehen. Diese Annahme ist jedoch heute überholt und findet keine Anwendung mehr. Strafgefangener G kann sich gegenüber seinem Wächter W auf das Briefgeheimnis berufen (Art. 10 Abs. 1 GG) und von ihm Verlangen, das Lesen seiner privaten Briefe zu unterlassen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

rex ipso iure

rex ipso iure

12.5.2024, 13:41:07

sehr schöne darstellung!

Shark

Shark

19.9.2024, 13:27:26

Gibt es eine Definition wann eine solche besondere Nähebeziehung vorliegt? Was wäre beispielsweise mit Schülern und wo liegt die Grenze? Muss diese Beziehung dauerhaft bestehen?

Tobias Krapp

Tobias Krapp

20.9.2024, 22:46:26

Hallo @[Shark](264930), gute Nachfrage! Das relevante Kriterium für die Nähebeziehung leitet sich aus der Art der Fälle ab, die die Figur des Sonderstatusverhältnisses erfassen will: Staat und Bürger begegnen sich hier nicht in der gewöhnlichen Distanz, auf die Grundrechtsdogmatik idealtypisch zugeschnitten ist. Der Bürger ist hier vielmehr als Amtsträger oder Nutzer in den Staatsapparat "eingegliedert". Das relevante Kriterium ist eine solche Eingliederungslage. Daraus kann man als Definition ableiten: Eine besondere Nähe liegt vor, wenn der Bürger funktional oder räumlich in konkrete Teileinheiten des Staatsapparates eingegliedert ist. Das wurde von den früheren Vertretern dieser Rechtsfigur für das Beamten-, Richter- und Soldatenverhältnis sowie die Anstaltsverhältnisse (Schule, Haft und sonstige Fälle der Anstaltsnutzung oder -unterbringung) angenommen. Auch Schüler wären daher erfasst (einen Fall dazu findest du übrigens auch hier als einen der weiteren in diesem Kapitel, https://applink.jurafuchs.de/92RJDQor3Mb). Liegt eine Eingliederungslage vor, ist es auch egal, für wie lange sie besteht. Auch zB der Inhaftierte, der nur 1 Monat in Haft ist, wäre demnach erfasst. Richtig trennscharf ist diese Maßgabe natürlich nicht, denn letztlich ist es eine Wertungsfrage, was eine "Eingliederung" ist. Man wird eine gewisse Intensität des Rechtsverhältnisses fordern können sowie, dass sich aus dem Rechtsverhältnis besondere Rechte und Pflichten ergeben. Gegenbeispiel wäre etwa das bloße Benutzen einer öffentlichen Einrichtung. Dies hat noch keine Eingliederung zur Folge. Für die Klausur würde ich empfehlen, den Kopf hier nicht mit Definitionen und Abgrenzungen zu überlasten, zumal die Ansicht, dass hier die Grundrechte nicht anwendbar sind, wie in der Aufgabe gezeigt ohnehin überholt ist. Ich würde empfehlen, bei den obigen Fallgruppen, in denen das klassischerweise diskutiert wurde (Beamte, Richter, Soldaten, Schüler, Strafgefangene) kurz wie in der Aufgabe gezeigt anzusprechen. In anderen Fällen wird die Lösung hierzu nichts hören wollen, außer es ist irgendetwas im Sachverhalt explizit angesprochen. Ich hoffe, das hat weitergeholfen! Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias

LO

Lorbeerbekränzte🦩

1.10.2024, 20:19:14

das ist leider eine sehr unpräzise Formulierung, zumql das ja auch schon ca. 50 jahre her ist 😅


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