Öffentliches Recht

Verwaltungsrecht AT

Der öffentlich-rechtliche Vertrag

Vorbereitungsfall: Erlass eines (materiell) rechtswidrigen VA, der nicht nichtig ist

Vorbereitungsfall: Erlass eines (materiell) rechtswidrigen VA, der nicht nichtig ist

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Gastwirtin G beantragt bei der zuständigen Behörde B eine Gaststättenerlaubnis. Die Räumlichkeiten haben nur zwei Toiletten, obwohl durch ein einschlägiges Gesetz mindestens drei vorausgesetzt werden. B erlässt die Erlaubnis. G fragt sich, ob die Erlaubnis Wirksamkeit entfaltet.

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Einordnung des Falls

Vorbereitungsfall: Erlass eines (materiell) rechtswidrigen VA, der nicht nichtig ist

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Verwaltungsakt ist bereits formell rechtswidrig.

Nein, das ist nicht der Fall!

Geht es um die Wirksamkeit eines Verwaltungsakts, muss zunächst geprüft werden, ob dieser formell und materiell rechtmäßig ist. Ein Verwaltungsakt ist formell rechtmäßig, wenn (1) die zuständige Behörde unter Einhaltung von (2) Form- und (3) Verfahrensvorschriften gehandelt hat. Die materielle Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts setzt voraus, dass dieser inhaltlich mit dem geltenden Recht im Einklang steht. Die zuständige Behörde B hat die Gaststättenerlaubnis erlassen. Verfahrens- und Formfehler sind nicht ersichtlich. Der Verwaltungsakt ist formell rechtmäßig. Bei einem Verwaltungsakt ist formell immer an die Anhörung nach § 28 VwVfG zu denken. Weiterhin muss beachtet werden, dass ein Verwaltungsakt zwar grundsätzlich formfrei erlassen werden kann (§ 37 Abs. 2 VwVfG), sofern er aber schriftlich oder elektronisch ergeht, bestimmte Formvorschriften einzuhalten sind. Besonders relevant ist § 37 Abs. 3 VwVfG und § 39 VwVfG.
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2. Die Genehmigung verstößt inhaltlich gegen geltendes Recht und ist damit materiell rechtswidrig.

Ja, in der Tat!

Ein Verwaltungsakt ist materiell rechtswidrig, wenn die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung gegen geltendes Recht verstößt. Dabei kann es sich um ungeschriebene oder geschriebene Rechtsnormen handeln. Entscheidend ist allein, dass diese Außenwirkung haben, es sich also nicht bloß um Verwaltungsvorschriften handelt. Denn, was die Behörde „intern“ macht ist mit Blick auf den Schutzzweck des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) weniger relevant. Es geht vor allem darum, dass Bürgerinnen und Bürger vor einem rechtswidrigen Verhalten der Verwaltung geschützt werden sollen. Die Gaststättenerlaubnis regelt, dass G in den Räumlichkeiten mit nur zwei Toiletten eine Gaststätte betreiben darf. Ein Gesetz bestimmt allerdings, dass es mindestens drei Toiletten geben muss. Der Verwaltungsakt verstößt damit inhaltlich gegen geltendes Recht. Damit ist die Genehmigung materiell rechtswidrig.

3. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt ist immer unwirksam.

Nein!

Auch rechtswidrige Verwaltungsakte können wirksam sein. Die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts ist streng von der Nichtigkeit des Verwaltungsakts zu unterscheiden! Aus § 43 Abs. 2, Abs. 3 VwVfG ergibt sich, dass (nur) nichtige Verwaltungsakte unwirksam sind. Das bedeutet, dass durch nichtige Verwaltungsakte keinerlei Regelungen getroffen werden. Die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts führt nur unter den Voraussetzungen der §§ 44ff. VwVfG zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts. Liegt ein rechtswidriger Verwaltungsakt vor, muss im Anschluss also immer gesondert geprüft werden, ob sich aus dieser Rechtswidrigkeit auch die Nichtigkeit ergibt (Fehlerfolge). Die Gaststättenerlaubnis ist nicht allein deswegen unwirksam, weil sie materiell rechtswidrig ist.

4. Die Gaststättenerlaubnis ist schon aufgrund der speziellen Gründe des § 44 Abs. 2 VwVfG nichtig.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ob ein rechtswidriger Verwaltungsakt auch nichtig ist, richtet sich nach § 44 VwVfG. § 44 Abs. 2 VwVfG enthält spezielle Nichtigkeitsgründe. In den dort normierten Fällen muss keine eigenständige Wertung nach § 44 Abs. 1 VwVfG mehr vorgenommen werden, diese wurde bereits durch den Gesetzgeber getroffen. Geregelt sind Fehler des Verwaltungsakts, die so gravierend sind, dass der Verwaltungsakt in jedem Fall nichtig sein soll. Dies ist z.B. der Fall, wenn ein schriftlich oder elektronisch erlassener Verwaltungsakt die ausstellende Behörde nicht erkennen lässt (§ 44 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG). Die Gaststättenerlaubnis leidet nicht an einem Fehler nach § 44 Abs. 2 VwVfG. Geht es darum, die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts zu prüfen, kannst du dich gut an den Vorschriften des § 44 VwVfG „entlanghangeln“. Prüfe zuerst die speziellen Vorschriften aus § 44 Abs. 2 VwVfG, dann die „Generalsklausel“ des § 44 Abs. 1 VwVfG. § 44 Abs. 3 VwVfG hilft bei der Beurteilung indem klargestellt wird, welche Fehler grundsätzlich nicht genügen, um die Nichtigkeit zu bejahen.

5. Es liegt kein schwerwiegender, offensichtlicher Rechtsverstoß im Sinne von § 44 Abs. 1 VwVfG vor. Die rechtswidrige Erlaubnis ist wirksam.

Ja, in der Tat!

Ergibt sich die Nichtigkeit eines rechtswidrigen Verwaltungsakts nicht bereits aus den speziellen Nichtigkeitsgründen des § 44 Abs. 2 VwVfG, so ist die „Generalklausel“ des § 44 Abs. 1 VwVfG (relative Nichtigkeitsgründe) zu prüfen. Danach ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er (1) an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und (2) dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Maßgeblich sind hierbei nicht die Vorstellungen des Adressaten, sondern die eines verständigen Bürgers. Die Rechtswidrigkeit muss dem Verwaltungsakt quasi „auf die Stirn geschrieben“ sein. Ob ein Fehler schwerwiegend ist, ergibt sich aus einer Gesamtabwägung im Lichte der betroffenen Rechte sowie unter Beachtung der Wertungen von § 44 Abs. 2, Abs. 3 VwVfG. Das Vorhandensein von zwei statt drei Toiletten schränkt Besuchende der Gaststätte nicht schwerwiegend ein, insbesondere wird dadurch wohl niemand in seiner Gesundheit gefährdet. Der Rechtsverstoß ist nicht schwerwiegend. Der Erlaubnis ist damit nicht nichtig und entfaltet Rechtswirkung. G darf die Gaststätte betreiben.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Burumar🐸

Burumar🐸

12.1.2024, 10:45:41

Der Fall gehört nicht zum ÖR-Vertrag

Nora Mommsen

Nora Mommsen

1.3.2024, 13:27:55

Hallo Burumar, danke für das Feedback! Du hast absolut richtig festgestellt, dass dieser Fall von einem VA handelt. Die Einbindung der Aufgabe in das Kapitel hat didaktische Gründe. Wir möchten der Frage der Nichtigkeit eines öffentlich-rechtlichen Vertrages vorweg nochmal die Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit eines VA gegenüberstellen sowie die Anforderungen an die Nichtigkeit eines solchen. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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