Nichtigkeit Fall 4a: § 59 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Die örtlich unzuständige Behörde B schließt mit L einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, wonach sich B zum Erlass einer Baugenehmigung verpflichtet. L und B wissen, dass B unzuständig ist und nicht von der zuständigen Behörde ermächtigt wurde.

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Einordnung des Falls

Nichtigkeit Fall 4a: § 59 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B ist örtlich nicht zuständig. Der öffentlich-rechtliche Vertrag ist formell rechtswidrig.

Ja!

Wie ein Verwaltungsakt, kann auch ein öffentlich-rechtlicher Vertrag (formell) rechtswidrig sein. Die formelle Rechtmäßigkeit setzt voraus, dass die Behörde Zuständigkeits- und Formvorschriften eingehalten hat. Örtlich zuständig für die Abgabe einer Willenserklärung, die den Erlass einer Baugenehmigung verspricht, ist die Behörde, in deren Bezirk das betroffene Baugebiet liegt (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG). B ist (örtlich) unzuständig.
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2. B und L haben einen koordinationsrechtlichen Vertrag geschlossen. Die Fehlerfolge der Rechtswidrigkeit kann nur aus § 59 Abs. 1 VwVfG bestimmt werden.

Nein, das ist nicht der Fall!

Koordinationsrechtliche Verträge sind solche öffentlich-rechtlichen Verträge, bei denen die Vertragsparteien im konkreten Fall gleichgeordnet sind, wenn also kein Über-Unterordnungs-Verhältnis besteht. In Abgrenzung dazu liegt ein subordinationsrechtlicher Vertrag insbesondere dann vor, wenn die Behörde statt des Vertragsschlusses auch einen Verwaltungsakt gegenüber dem Vertragspartner hätte erlassen können. Darüberhinaus sind nach allgemeiner Auffassung auch solche Verträge subordinationsrechtlicher Natur, die zwar nicht verwaltungsaktbezogen sind, aber gleichwohl in einem Über-Unterordnungs-Verhältnis geschlossen werden. B hätte im konkreten Fall eine Baugenehmigung (= Verwaltungsakt) gegenüber L erlassen können. Es liegt ein subordinationsrechtlicher Vertrag i.S.v. § 54 S. 2 VwVfG vor.

3. Der Vertrag ist gem. § 59 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG nichtig.

Ja, in der Tat!

In den speziellen Nichtigkeitsgründen findet sich ein Verweis auf § 44 VwVfG (§ 59 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG). § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG erklärt Verwaltungsakte für nichtig, welche von einer örtlich unzuständigen Behörde erlassen wurden, wenn diese nicht dazu ermächtigt war. B war örtlich nicht zuständig, den Vertrag mit L zu schließen. Weiterhin war B auch nicht von der zuständigen Behörde zum Vertragsschluss ermächtigt.

4. Die Nichtigkeitsgründe des § 59 Abs. 2 VwVfG schließen sich gegenseitig aus.

Nein!

Es können mehrere spezielle Nichtigkeitsgründe des § 59 Abs. 2 VwVfG gleichzeitig einschlägig sein. In der Falllösung ist regelmäßig § 59 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG von besonderer Relevanz. Dieser hat wohl den größten Anwendungsbereich der speziellen Nichtigkeitsgründe. Die eigenständige Bedeutung von § 59 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG neben § 59 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG wird als gering eingeschätzt. Die übrigen Fälle des § 59 Abs. 2 VwVfG regeln sehr spezielle Fälle im Vergleich zum eher weiten Anwendungsbereich des § 59 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG. In einer gutachterlichen Falllösung solltest Du alle in Betracht kommenden Nichtigkeitsgründe (in der jeweils gebotenen Ausführlichkeit bzw. Kürze) prüfen.

5. Der Vertrag ist auch gem. § 59 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG nichtig.

Genau, so ist das!

Gemäß § 59 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG ist ein subordinationsrechtlicher Vertrag nichtig, wenn ein Verwaltungsakt mit entsprechendem Inhalt nicht nur wegen eines Verfahrens- oder Formfehlers i. S. d. § 46 rechtswidrig wäre und dies den Vertragschließenden bekannt war. § 59 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG wird von der Literatur als für die Praxis unbedeutend eingestuft. Der Regelung liegt der Gedanke zugrunde, dass das Vertrauen der Vertragspartner in den Fortbestand des Vertrags bei Kenntnis der Rechtswidrigkeit des Vertrags nicht schutzwürdig ist. Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung genießt in diesem Fall Vorrang gegenüber dem Prinzip der Vertragstreue. Weiterhin soll die Handlungsform des Vertrags gegenüber dem Verwaltungsakt nicht privilegiert werden. Der Vertrag ist nicht nur aufgrund eines Formfehler i.S.d. § 46 VwVfG rechtswidrig und B und L kannten den Mangel.
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