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Öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch - Entfernung einer öffentlichen Abwasserleitung von Privatgrundstück (OVG LSA, Beschl. v. 12.01.2024, Az. 4 L 126/21 u. 294/22)

Öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch - Entfernung einer öffentlichen Abwasserleitung von Privatgrundstück (OVG LSA, Beschl. v. 12.01.2024, Az. 4 L 126/21 u. 294/22)

31. Mai 2025

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Stadt S ist Eigentümerin eines Grundstücks, unter dem sie 1998 eine Abwasserleitung verlegte. Diese übereignet sie 2011 an das Abwasserwerk W. 2017 wird das Grundstück an die K übereignet. K erfährt von der Abwasserleitung und begehrt 2018 von W deren Beseitigung, da das Grundstück durch sie nicht bebaubar und daher wertlos sei.

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Einordnung des Falls

Öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch - Entfernung einer öffentlichen Abwasserleitung von Privatgrundstück (OVG LSA, Beschl. v. 12.01.2024, Az. 4 L 126/21 u. 294/22)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 15 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Begehren der Klägerin (vgl. § 88 VwGO). Ist hier die Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) statthaft?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Verpflichtungsklage ist statthaft, wenn die Klägerin den Erlass eines Verwaltungsakts i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG begehrt. Ein Verwaltungsakt ist eine (1) hoheitliche Maßnahme einer (2) Behörde zur (3) Regelung eines (4) Einzelfalls auf dem (4) Gebiet des öffentlichen Rechts mit (5) unmittelbarer Rechtswirkung nach außen (§ 35 S. 1 VwVfG). K begehrt die Beseitigung der Abwasserleitung durch den Beklagten W. Dabei fehlt es an dem einseitigen Setzen von Rechtsfolgen, d.h. der Regelungswirkung eines Verwaltungsakts. Die Beseitigung der Abwasserleitung ist daher kein Verwaltungsakt, sondern schlichthoheitliches Handeln (Realakt). Begehrt der Kläger von der öffentlichen Hand ein schlichthoheitliches Tun oder Unterlassen, ist die allgemeine Leistungsklage statthaft. Die allgemeine Leistungsklage ist in der VwGO nicht ausdrücklich geregelt. Sie wird aber vorausgesetzt, vgl. etwa § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO oder § 111 S. 1 VwGO. Ihre Existenz ist daher anerkannt.
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2. Die allgemeine Leistungsklage der K ist zulässig. Setzt die Begründetheit voraus, dass K einen Anspruch auf Beseitigung der Leitung hat?

Ja, in der Tat!

Die allgemeine Leistungsklage ist begründet, soweit der geltend gemachte Anspruch besteht. Ansprüche können sich im öffentlichen Recht ergeben aus ausdrücklichen Anspruchsgrundlagen (z.B. § 70 Abs. 1 GewO) sowie aus ungeschriebenen Anspruchsgrundlagen (z.B. dem öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch). In seltenen Konstellationen können sich Ansprüche auch ergeben aus Ermächtigungsgrundlagen (z.B. den polizeilichen Generalklauseln), soweit Individualrechtsgüter betroffen sind und das Ermessen auf Null reduziert ist.

3. Anspruchsgrundlage für die Beseitigung der Abwasserleitung könnte der öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch sein.

Ja!

Der Folgenbeseitigungsanspruch (FBA) ist auf die Beseitigung der rechtswidrigen Folgen hoheitlichen Handelns gerichtet (RdNr. 39). Hergeleitet wird der Folgenbeseitigungsanspruch teilweise aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), nach anderer Ansicht aus der Abwehrfunktion der Grundrechte oder aus §§ 12, 862, 1004 BGB analog; jedenfalls sind der Folgenbeseitigungsanspruch und seine Voraussetzungen gewohnheitsrechtlich anerkannt. Den öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch (FBA) kannst Du wie folgt prüfen: (1) Hoheitliches Handeln, (2) Eingriff in subjektives Recht, (3) Fortdauernder, rechtswidriger Zustand, (4) kein Ausschluss des FBA: Wiederherstellung möglich, zulässig, zumutbar. Andere ungeschriebene Anspruchsgrundlagen im öffentlichen Recht sind der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch, der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch, der öffentlich-rechtliche Abwehranspruch sowie die öffentlich-rechtliche GoA. Ausführliche Lerneinheiten zu den besonderen öffentlich-rechtlichen Anspruchsgrundlagen findest Du hier.

4. Handelt es sich bei der Verlegung der Abwasserleitung durch S um hoheitliches Handeln?

Genau, so ist das!

Die Verlegung der Abwasserleitung erfolgte durch die Stadt S, also einen Hoheitsträger. Sie dient der Ableitung von Schmutzwasser der umliegenden Grundstücke. Gemäß § 56 WHG trifft S die Pflicht zur Abwasserbeseitigung.

5. Ist die Verlegung der Wasserleitung unter dem Grundstück durch die Stadt S dem Beklagten W zurechenbar?

Ja, in der Tat!

K macht den Folgenbeseitigungsanspruch gegenüber dem Abwasserwerk W, also einem Dritten, geltend. Verlegt wurde die Leitung allerdings durch die Stadt S in Wahrnehmung ihrer Pflicht zur Abwasserbeseitigung (§ 56 WHG). Damit K nun von W die Beseitigung der Abwasserleitung verlangen kann, muss der mögliche hoheitliche Eingriff durch S dem W zurechenbar sein. Passivlegitimierter Schuldner eines Folgenbeseitigungsanspruchs ist die Stelle, die im aktuellen Zeitpunkt für die öffentliche Aufgabe zuständig ist (RdNr. 51). Es kommt also darauf an, wer aktuell die Verantwortlichkeit für die Abwasserbeseitigung trägt. Ursprünglich trug S die Verantwortlichkeit für die Abwasserbeseitigung. Mit Veräußerung der Abwasserleitung im Jahr 2011 ist die Aufgabe der Abwasserbeseitigung von der Stadt S auf W übergegangen. W ist nun also die zuständige und verantwortliche Stelle. Zwar hat W die Leitung nicht errichtet, er bedient sich ihrer aber zur Aufgabenerfüllung. Folglich liegt ein dem W zurechenbares hoheitliches Handeln vor. W kann von K mithilfe des Folgenbeseitigungsanspruchs in Anspruch genommen werden (RdNr. 50ff.).

6. Die Abwasserleitung und damit einhergehende beschränkte Bebaubarkeit des Grundstücks begründet einen Eingriff in die Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG) der K.

Ja!

Art. 14 Abs. 1 GG schützt die Freiheit des Eigentums. Eigentum im verfassungsrechtlichen Sinne umfasst alle vermögenswerten Positionen, die dem Berechtigten durch die Rechtsordnung zur privaten Nutzung und freien Verfügung zugeordnet sind. Nach h.M. umfasst die Eigentumsfreiheit insbesondere auch die (gesetzlich eingeschränkte) Baufreiheit. OVG: Die von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Nutzbarkeit des Grundstücks wird durch die Abwasserleitung eingeschränkt (RdNr. 43ff.). Versorgungsleitungen berühren die Möglichkeit der Bebauung eines (innerstädtischen) Grundstücks. Das Grundstück ist daher keiner oder jedenfalls nur eingeschränkter Bebauung zugänglich, sodass das Eigentum der K durch die Abwasserleitung beeinträchtigt wird.

7. Ist K durch den Erwerb des Grundstücks auch Eigentümerin der Abwasserleitung geworden?

Nein, das ist nicht der Fall!

Stünde die Abwasserleitung im Eigentum der K, dann läge kein Eingriff in ihre Eigentumsfreiheit vor, da K dann nach Belieben damit verfahren und sie selbst beseitigen könnte. Ursprünglich – zum Zeitpunkt der Verlegung der Leitung – erstreckte sich das Grundstückseigentum auch auf die Abwasserleitung. Sie war wesentlicher Bestandteil des Grundstücks (§ 94 Abs. 1 S. 1 BGB). Durch die Übereignung des Eigentums an der Abwasserleitung von S an W nach § 929 S. 2 BGB ist diese nun rechtlich verselbständigt. Sie ist seitdem i.S.d. § 95 Abs. 1 S. 2 BGB sachenrechtlich von dem Grundstück zu unterscheiden. Die Abwasserleitung stand somit nach ihrer Übereignung nicht mehr im Eigentum des Grundstückseigentümers K und steht – nach Übereignung des Grundstücks von S an K – somit auch nicht im Eigentum der K (RdNr. 46). Damit liegt eine Verletzung der Eigentumsfreiheit bezüglich des Grundstücks vor.

8. Ein Eingriff in ein subjektives Recht ist gegeben. Der Zustand wäre allerdings rechtmäßig, wenn die K die Abwasserleitung auf ihrem Grundstück dulden müsste (Duldungspflicht).

Ja, in der Tat!

Sofern K verpflichtet wäre, die Abwasserleitung auf ihrem Grundstück zu dulden, wäre der Zustand nicht rechtswidrig. Vielmehr wäre er durch ebendiese Duldungspflicht legalisiert. Duldungspflichten können sich aus Vertrag oder Gesetz ergeben. Entsprechendes gilt für den Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB: Dieser ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist (§ 1004 Abs. 2 BGB). Eine wichtige gesetzliche Duldungspflicht ergibt sich insoweit aus § 906 BGB.

9. Könnte sich eine Duldungspflicht der K hier grundsätzlich aus § 93 S. 1 WHG ergeben?

Ja!

Gemäß § 93 S. 1 WHG kann die zuständige Behörde den Eigentümer verpflichten, das Durchleiten von Abwasser zu dulden, soweit dies zur Abwasserbeseitigung erforderlich ist. Ist die zuständige Behörde nicht zugleich für die Abwasserbeseitigung verantwortlich, so kann die Behörde auf Antrag des für die Abwasserbeseitigung Verantwortlichen, also auf Antrag des Berechtigten den Eigentümer zur Duldung verpflichten. Die Entscheidung liegt im Ermessen der Behörde („kann“). Die zuständige Behörde kann auf Antrag des W die K dazu verpflichten, die Durchleitung von Abwasser durch ihr Grundstück nach § 93 S. 1 WHG zu dulden. Im Originalfall hatte W auch den entsprechenden Antrag zur Duldung gestellt, aber nicht ausreichend begründet. Deshalb hatte die zuständige Behörde K nicht zur Duldung verpflichtet. Daher ergab sich hier keine Duldungspflicht aus § 93 S. 1 WHG. Der Zustand ist rechtswidrig (RdNr. 63ff.). Keine Sorge: Eine so spezielle Norm wie § 93 WHG musst Du nicht kennen, auf sie würde im Sachverhalt selbstverständlich hingewiesen!

10. Begründet die Abwasserleitung unter dem Grundstück der K somit einen fortdauernden rechtswidrigen Zustand?

Genau, so ist das!

Der Folgenbeseitigungsanspruch setzt voraus, dass der fortdauernde Zustand, d.h. die Folgen des hoheitlichen Handelns, rechtswidrig ist. Auf die Rechtswidrigkeit des Handelns an sich kommt es hingegen nicht an. Erforderlich ist die Rechtswidrigkeit im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, nicht im Zeitpunkt des Eingriffs (RdNr. 56). Wie bereits festgestellt, stellt die eingeschränkte bauliche Nutzbarkeit des Grundstücks, die aus der Abwasserleitung darunter resultiert, einen Eingriff in die Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG) dar. Auch besteht, wie geprüft, keine Duldungspflicht. Somit besteht ein rechtswidriger Zustand, der auch fortdauert. Beachte: Der Zustand – Abwasserleitung unter dem Grundstück – ist ursprünglich rechtmäßig gewesen, da die S seinerzeit selbst Eigentümerin war und der Errichtung der Abwasserleitung zustimmte. Durch die Änderung der Eigentumsverhältnisse und die Veräußerung des Grundstücks von S an K ist der Zustand rechtswidrig geworden (RdNr. 56).

11. Der Folgenbeseitigungsanspruch dürfte schließlich nicht aus anderem Grunde ausgeschlossen sein.

Ja, in der Tat!

Dem Folgenbeseitigungsanspruch dürften keine rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Einwendungen entgegenstehen. Er ist insbesondere ausgeschlossen, wenn die Folgenbeseitigung rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist, sie unzumutbar ist, rechtsmissbräuchlich beansprucht wird oder der Anspruch verjährt ist. Insbesondere hier bei den Ausschlussgründen des Folgenbeseitigungsanspruchs kannst Du auf Deine Kenntnisse aus dem Zivilrecht zurückgreifen.

12. W rügt, die Verlegung der Abwasserleitung sei unmöglich. Ein Sachverständigengutachten belegt jedoch, dass es Alternativen zur Abführung des Abwassers gibt. Ist die Folgenbeseitigung wegen Unmöglichkeit ausgeschlossen?

Nein!

Die Folgenbeseitigung kann unter anderem wegen Unmöglichkeit ausgeschlossen sein, sofern sie sich rechtlich oder tatsächlich nicht realisieren lässt, wenn also ein unüberwindbares Hindernis besteht. Vorliegend belegt das Sachverständigengutachten jedoch, dass es mehrere Alternativen zur anderweitigen Abführung des Abwassers als über Ks Grundstück gibt, und damit alternative Möglichkeiten zur Umverlegung der Abwasserleitung. Somit ist die Leitungsverlegung technisch und damit tatsächlich ohne Weiteres möglich und die Beseitigung der Leitung nicht ausgeschlossen (RdNr. 71). Der Ausschlussgrund der rechtlichen oder tatsächlichen Unmöglichkeit entspricht der rechtsvernichtenden Einwendung aus § 275 Abs. 1 BGB im Zivilrecht.

13. Der Wertverlust des Grundstücks der K durch die Abwasserleitung beläuft sich auf €50.000, der Aufwand der Umverlegung für W auf ca. €80.000. Führt dies zu einer Unzumutbarkeit der Folgenbeseitigung?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Folgenbeseitigung ist unzumutbar, wenn sie einen unverhältnismäßig hohen Aufwand erfordert, der zu dem erstrebten Erfolg in keinem vernünftigen Verhältnis steht (RdNr. 69). OVG: Zwar übersteigen die für die Folgenbeseitigung zu erwartenden Kosten bei W den Wertverlust des Grundstücks bei K. Das Verlangen der K nach Herstellung rechtmäßiger Zustände steht dennoch nicht in einem groben Missverhältnis zu den Mehrkosten (RdNr. 74f.). Hinzu kommt erstens, dass die Rechtswidrigkeit des Zustands im Verantwortungsbereich des W liegt: Er hätte durch einen ordnungsgemäßen Antrag nach § 93 S. 1 WHG eine Duldungspflicht der K begründen können. Da er das nicht getan hat, sind ihm nun höhere Anstrengungen zuzumuten (Rechtsgedanke des § 275 Abs. 2 S. 1 BGB) (RdNr. 77). Zweitens handelt es sich um einen erheblichen Eingriff ins Eigentumsrecht der K: Das Recht zum Bauen ist Kern des Eigentumsrechts (RdNr. 80).

14. W macht geltend, Ks Anspruch auf Folgenbeseitigung sei verjährt. Trifft das zu, wenn K den Anspruch 2018 klageweise geltend gemacht hat?

Nein, das trifft nicht zu!

Auch auf öffentlich-rechtliche Ansprüche finden die Regeln zur Verjährung aus §§ 194ff. BGB (analoge) Anwendung. Für den Anspruch auf Folgenbeseitigung greift die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB). Diese beginnt zu laufen mit Abschluss des Jahres, in dem Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat (§ 199 Abs. 1 BGB). Hier ist der rechtswidrige Zustand – der Eingriff in die Eigentumsfreiheit – erst mit der Veräußerung des Grundstücks an K im Jahr 2017 entstanden. Noch im selben Jahr hat K von der Abwasserleitung Kenntnis erlangt und 2018 klageweise ihre Beseitigung verlangt, sodass die dreijährige Verjährungsfrist nicht abgelaufen ist. Beachte, dass der Ablauf der Verjährungsfrist durch die Klageerhebung gehemmt wird (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB i.V.m. §§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO). Daher ist der Anspruch auch im Zeitpunkt der Entscheidung des OVG im Jahr 2024 noch nicht verjährt gewesen.

15. Der Folgenbeseitigungsanspruch ist somit nicht ausgeschlossen. Kann K die Beseitigung der Abwasserleitung verlangen?

Genau, so ist das!

Die Anspruchsvoraussetzungen des Folgenbeseitigungsanspruchs sind erfüllt. Auf Rechtsfolgenseite ist der Folgenbeseitigungsanspruch auf Herstellung des rechtmäßigen Zustands gerichtet. K kann deshalb von W die Beseitigung der Abwasserleitung verlangen (RdNr. 108). Die allgemeine Leistungsklage der K ist mithin begründet. Das OVG lehnte auch den Einwand unzulässiger Rechtsausübung analog § 242 BGB ab: Dieser kann einem Folgenbeseitigungsanspruch entgegengehalten werden, wenn die Möglichkeit der Legalisierung des Zustands besteht. Dies könnte hier durch das Verfahren nach § 93 WHG passieren, welches eine Duldungspflicht der K begründen könnte. Es fehlte jedoch wiederum am ordnungsgemäßen Antrag des W, sodass keine Legalisierung zu erwarten ist (RdNr. 105).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

NI

Nils01

25.1.2025, 13:58:34

Ich verstehe nicht ganz, warum eine Eigentumsverletzung vorliegt. Da sich die Abwasserleitung von Anfang an auf dem Grundstück der A befand, hatte diese doch nie Eigentum an einem baufähigen Grundstück, welches später erst durch eine Leitung beeinträchtigt wurde. Sondern sie hatte "nur" Eigentum an einem nicht baufähigen Grundstück aufgrund der Wasserleitung.

PK

P K

2.2.2025, 01:38:49

Ich glaube da denkst du zu sehr zivilrechtlich. Bei §

823 BGB

wäre deine Argumentation in jedem Fall richtig. Dies hat aber die notwendige Abgrenzung zwischen Leistungs- und

Integritätsinteresse

zum Hintergrund. Die Frage stellt sich hier nicht. Du hast insofern einen Punkt als dass ein "Eingriff" im Sinne der Grundrechtsdogmatik nicht vorliegt, da kein staatliches Handeln vorlag, welches subjektive Rechte beeinträchtigt hat. Insofern sollte man beim FBA mehr auf den Erfolg bzw. Zustand an sich schauen und - erfolgsbezogen - von einer Beeinträchtigung des Rechtsguts sprechen, egal ob sie nun durch das staatliche Handeln oder erst durch das Hinzutreten weiterer Umstände (hier Veräußerung) eingetreten ist. Und das lässt sich ja durchaus bejahen, denn das Grundstück kann faktisch nicht genutzt werden.

Lorena.Giacco

Lorena.Giacco

3.2.2025, 14:25:36

Hallo @[Nils01](282341), Danke für Deine Frage. Wie @ P K schon völlig richtig ausgeführt hat, kommt es verfassungsrechtlich nicht darauf an, ob K je Eigentum an einem bebaubaren Grundstück hatte, sondern darauf, dass der staatlich geschaffene Zustand die Nutzungsmöglichkeiten an ihrem Eigentum beeinträchtigt. Die Eigentumsfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 GG schützt nämlich nicht nur das bloße Eigentum als solches, sondern gerade auch umfassende Nutzungs- und Ver

wertungsmöglichkeit

en am Eigentum. Die A wird in ihrer Eigentumsfreiheit also beeinträchtigt, weil sie ihr Grundstück nicht so nutzen kann, wie es normalerweise (ohne die Abwasserleitung) möglich wäre. Auch die Rspr. erkennt Eingriffe in Art. 14 GG regelmäßig an, wenn die Nutzbarkeit des Grundstücks durch faktische oder rechtliche Beschränkungen erheblich beeinträchtigt wird, unabhängig davon, ob der Eigentümer den belasteten Zustand von Anfang an übernommen hat. Beste Grüße, Lorena – für das Jurafuchs-Team

Tadara

Tadara

27.1.2025, 10:30:41

ich verstehe nicht, wie das Wasserrohr, welches als

wesentlicher Bestandteil

des Grundstücks qualifiziert wird, gem. § 929 S.2 BGB veräußert werden kann. Steht einer Veräußerung nicht in diesem Fall

§ 93 BGB

entgegen?

PK

P K

2.2.2025, 01:42:52

Die Lösung vertritt die Auffassung, dass das Rohr wegen § 95 Abs. 1 S. 2 BGB

Sonderrechtsfähigkeit

erlangt und deswegen veräußert werden kann. Das erscheint mit Blick darauf zweifelhaft, dass diese Norm ja gerade ein

fremd

es Grundstück voraussetzt; im Zeitpunkt des Einbaus - so habe ich den Fall verstanden - war es ja aber gerade das eigene Grundstück. Ich verstehe aber ohnehin nicht, weshalb es überhaupt auf die Eigentumsverhältnisse am Rohr ankommen soll. Entscheidend ist die Beeinträchtigung der Nutzbarkeit des Grundstücks. Die ist so oder so gegeben.

Lorena.Giacco

Lorena.Giacco

3.2.2025, 14:19:32

Hallo @[Tadara](95073), Danke für Deine Frage. So ist es, @[P K](196201): Wir haben bei der Lösung – dem OVG folgend – angenommen, dass die Abwasserleitung zu einem

Scheinbestandteil

gemäß § 95 Abs. 1 S. 2 BGB wurde und so

Sonderrechtsfähigkeit

erlangt hat und isoliert nach § 929 S. 2 BGB übereignet werden konnte. Als die Stadt S selbst noch Eigentümerin des Grundstücks war und die Abwasserleitung darunter errichten ließ, lagen die Voraussetzungen des § 94 Abs. 1 S. 1 BGB vor, sodass sie ein

wesentlicher Bestandteil

des Grundstücks wurde. Zu diesem Zeitpunkt lagen insb. nicht die Voraussetzungen des § 95 Abs. 1 S. 2 BGB vor, der ja, wie @ P K zu Recht feststellt, voraussetzt, dass „ein

Dritter

“ ein Werk errichtet: Hier hat S auf dem eigenen Grundstück ein Werk errichtet. Spätestens durch den Erwerb des Grundstückseigentums durch die K liegen hinsichtlich der Abwasserleitungen aber die Voraussetzungen eines

Scheinbestandteil

s nach § 95 Abs. 1 S. 2 BGB vor: Aus Sicht der A haben „Dritte“ (Stadt S) ein Werk an ihrem Grundstück errichtet. Dies erfolgte auch „in Ausübung eines Rechts an einem

fremd

en Grundstücks“, hier namentlich die öffentlich-rechtliche Befugnis zur Errichtung einer Versorgungsleitung. Zwar erfolgte die Errichtung der Leitung schon bevor A Eigentümerin des Grundstücks war, als es sich für S also noch nicht um ein

fremd

es Grundstück handelte – mit Eigentumserwerb der K handelt es sich für S nun allerdings um ein

fremd

es Grundstück, sodass die Abwasserleitung nunmehr ein

Scheinbestandteil

des Grundstücks i.S.d. § 95 Abs. 1 S. 2 BGB ist. Der ehemals wesentliche Bestandteil hat sich so sachenrechtlich zu einer selbständigen Sache umgewandelt (RdNr. 46), dies ist insb. bei Versorgungsleitungen möglich (vgl. auch etwa BGH NJW 2006, 990; Prütting, Sachenrecht, 37. Aufl. RdNr. 4a). Wir hoffen, das klärt die Frage! Beste Grüße, Lorena – für das Jurafuchs-Team

Lorena.Giacco

Lorena.Giacco

3.2.2025, 14:22:31

Hallo @[P K](196201), Danke auch für diese Frage! Du hast Recht, dass eine Beeinträchtigung der Nutzbarkeit des Grundstücks durch die Abwasserleitung gegeben ist und vor diesem Hintergrund ein Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG zu bejahen ist. Hätte K allerdings auch Eigentum an der Abwasserleitung erworben (nach §

946 BGB

, wenn die Leitung ein

wesentlicher Bestandteil

wäre), könnte man zumindest erwägen, einen Eingriff in die Eigentumsfreiheit abzulehnen: Dann würde es sich nicht um eine

fremd

e Abwasserleitung handeln und es stünde der K frei, sie selbst zu beseitigen. Um die Entscheidung des OVG möglichst vollständig abzubilden, haben wir diesen Aspekt und die spezielle sachenrechtliche Problematik daher mitaufgenommen. Beste Grüße, Lorena – für das Jurafuchs-Team

FTE

Findet Nemo Tenetur

22.5.2025, 21:37:47

Wenn aus Sicht der A Dritte (Stadt S) ein Werk auf ihrem Grundstück errichtet haben und das in Ausübung eines Rechts an einem

fremd

en Grundstück erfolgte, weil eine öffentlich-rechtliche Befugnis zur Errichtung einer Versorgungsleitung bestand (womit S Berechtigte iSd § 95 I 2 BGB war), wie kann dann selbige Handlung zu einem

rechtswidrig

en Eingriff führen? W muss sich ja das Handeln der S zurechnen lassen, wieso denn dann nicht auch die Berechtigung hinsichtlich dieses Handelns?

Dolo Agate

Dolo Agate

28.1.2025, 11:18:56

Ich hab nicht ganz verstanden wer hier W als Zwischenerwerber war

LAWF

lawfox99

28.1.2025, 21:24:39

„Wasserwerke“ zb, die die Leitung unter dem Grundstück der K von der Stadt gekauft haben

JEN

jenny24

28.1.2025, 22:16:06

Es ist unklar gegen wen geklagt wurde, wer W ist und was er tut. Es bleibt mir unverständlich wieso hier nicht die Kenntnis der Leitung bei Erwerb eine Rolle spielt. wieso ist hier ein Eingriff in Art. 14 gegeben, wenn nie Eigentum ohne Abwasserleitung erworben wurde?

C

C

30.1.2025, 15:52:44

Finde den Fall auch sehr wirr. Es wird überhaupt nicht klar, dass W überhaupt ein Hoheitsträger ist. Außerdem wird in der einen Fragen gefragt: Liegt ein

rechtswidrig

er Zustand vor? Antwort ja. In der nächsten Frage wird dieses eigentlich endgültig klingende Ergebnis doch wieder hinterfragt.

FTE

Findet Nemo Tenetur

22.5.2025, 21:39:37

Bei mir bleiben auch viele Fragen; habe es beispielsweise nicht so verstanden, dass W Hoheitsträger ist (@[C](137884) ).

CO

Con

2.2.2025, 19:22:45

Vielen Dank für den interessanten Fall. Ich hätte aber noch zwei Fragen bzw. Bitten: Erstens verstehe ich die Verlinkung nicht ganz – müsste hier nicht das Staatshaftungsrecht statt des Zivilrechts relevant sein? Zweitens erscheint mir der Sachverhalt in Bezug auf W nicht vollständig klar. Möglicherweise könnte dieser noch ergänzt oder präzisiert werden.

FTE

Findet Nemo Tenetur

22.5.2025, 21:55:44

Ich schließe mich mit einer weiteren Frage an: Laut Erklärung sind die Voraussetzungen des Anspruchs: 1)

Hoheitliches Handeln

2) Eingriff in subjektives Recht 3) Fortdauernder,

rechtswidrig

er und zurechenbarer Zustand 4) Kein Ausschluss Der

Folgenbeseitigungsanspruch

wird ggü W (keine Ö-R, sondern Privatperson, soweit ich den SV habe) geltend gemacht. Deshalb wird mir nicht klar, auf welcher Ebene die Zurechnung erfolgt. In der Erklärung steht, der

hoheitlich

e Eingriff müsse dem W zurechenbar sein; somit hätte ich gedacht bei 3). Allerdings verstehe ich nicht, weswegen auch die

Hoheitlich

keit (also Punkt 1)) zugerechnet werden kann. Wenn die

Behörde

hier nicht durch Realhandeln, sondern zB durch VA gehandelt hätte, könnte man dann etwa auch den VA einer Privatperson zurechnen? Ich verstehe es irgendwie überhaupt nicht. Die Erklärung sagt dass passivlegitimierter

Schuld

ner des FBA die Stelle ist, die im aktuellen Zeitpunkt für die öffentliche Aufgabe zuständig ist. Mir ist nicht klar, an welcher Stelle im Schema ich die öffentliche Aufgabe unterbringe. Beim

hoheitlich

en Handeln? Dass also derjenige, der in

Erfüllung

einer öffentlichen Aufgabe handelt, gleichzeitig auch

hoheitlich

handelt? Ist W dann

Beliehene

? Andererseits steht in einer Subsumtion, dass die Aufgabe (dh also nicht die bloße

Erfüllung

, sondern die Aufgabe selbst, oder?!) der Abwasserbeseitigung nun auf W übergegangen sei. Da W Privatperson ist, ist es demnach ja gar keine öffentliche Aufgabe mehr. Nun sind es doch einige Fragen mehr geworden, aber den anderen Kommentaren nach zu urteilen besteht auch bei anderen Verwirrung, deshalb habe ichs jetzt mal so gelassen.. Danke!


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