Öffentliches Recht

VwGO

Anfechtungsklage

Isolierte Anfechtung unbegründet, weil NB rechtmäßig

Isolierte Anfechtung unbegründet, weil NB rechtmäßig

23. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

L hat die libanesische Staatsangehörigkeit. Von der zuständigen Ausländerbehörde B bekommt L eine Duldung mit folgendem Zusatz erteilt: „Erlischt bei Besitz eines zur Ausreise bzw. Rückführung berechtigenden Dokuments“. L meint, die Nebenbestimmung sei zu unbestimmt.

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Einordnung des Falls

Isolierte Anfechtung unbegründet, weil NB rechtmäßig

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. L möchte die Nebenbestimmung isoliert anfechten. Nach dem BVerwG und der h.L. ist dies grundsätzlich möglich.

Ja!

Ob und welche Nebenbestimmungen (§ 36 VwVfG) isoliert anfechtbar sind, ist umstritten. Nach Ansicht des BVerwG und der h.L. soll dies aber grundsätzlich zulässig sein. Der Zusatz zu Ls Duldung ist eine auflösende Bedingung (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG). L kann diese unabhängig von der Duldung mit der Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) angreifen.
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2. Die Begründetheit der isolierten Anfechtungsklage setzt lediglich voraus, dass die Nebenbestimmung rechtswidrig ist.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die isolierte Anfechtungsklage gegen eine Nebenbestimmung ist begründet, wenn (1) der Verwaltungsakt materiell teilbar, (2) die Nebenbestimmung rechtswidrig ist und (3) den Kläger in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Materielle Teilbarkeit liegt vor, wenn der Hauptverwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvoll bestehen bleiben kann. Dies setzt insbesondere voraus, dass dieser nicht durch den Wegfall der Nebenbestimmung rechtswidrig wird.

3. Die Duldung (§ 60a AufenthG) kann auch ohne die Bedingung sinnvoll und rechtmäßig bestehen. Die materielle Teilbarkeit ist gegeben.

Ja, in der Tat!

Materielle Teilbarkeit liegt vor, wenn der Hauptverwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvoll bestehen bleiben kann. Dies setzt insbesondere voraus, dass dieser nicht durch den Wegfall der Nebenbestimmung rechtswidrig wird. Die Erteilung einer Duldung nach § 60a AufenthG ist grundsätzlich ohne den Erlass einer auflösenden Bedingung möglich und damit rechtmäßig. Ls Duldung und die Nebenbestimmung sind daher materiell teilbar.

4. Die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der Nebenbestimmung ist allein § 36 VwVfG.

Nein!

Der Erlass einer Nebenbestimmung richtet sich nach der Ermächtigungsgrundlage des Hauptverwaltungsakts. § 36 VwVfG konkretisiert dies nur und ist keine eigenständige Ermächtigungsgrundlage. Häufig finden sich auch in den Spezialgesetzen Regelungen zum Erlass von Nebenbestimmungen. Der Erlass einer Duldung richtet sich nach § 60a AufenthG. Diese kann gem. § 12 Abs. 2 AufenthG, § 36 VwVfG mit einer Nebenbestimmung erlassen werden.

5. Die Bedingung ist materiell rechtswidrig, wenn sie zu unbestimmt ist.

Genau, so ist das!

Der Erlass einer Nebenbestimmung liegt im Ermessen der Behörde. Sie ist damit gerichtlich nur auf Ermessensfehler überprüfbar (§ 114 VwGO). Ein Ermessensfehler liegt zum Beispiel dann vor, wenn sich die Entscheidung der Behörde nicht in den gesetzlichen und/oder verfassungsrechtlichen Grenzen bewegt. Ein Verwaltungsakt muss bestimmt genug sein, damit der Adressat genau weiß, was von ihm verlangt wird. Dies ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und ist einfachgesetzlich in § 37 Abs. 1 VwVfG verankert. Ist eine Nebenbestimmung zu unbestimmt, liegt darin ein Ermessensfehler.

6. Die konkrete Formulierung der Bedingung verstößt gegen den Bestimmtheitsgrundsatz. Die Klage ist begründet.

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Verwaltungsakt muss bestimmt genug sein, damit der Adressat genau weiß, was von ihm verlangt wird (§ 37 Abs. 1 VwVfG). Die Formulierung „Besitz eines […]“ lässt zwar offen, ob L selbst oder die Ausländerbehörde in den Besitz des Dokuments gelangt. Sonstige Möglichkeiten sind aber nach dem Regelungskontext ausgeschlossen; insbesondere reicht es nicht, wenn etwa die libanesische Botschaft in den Besitz eines solchen Dokuments gelangen sollte, denn damit allein wäre noch keine Ausreise- oder Rückführungsmöglichkeit gegeben. Eine Regelung, die zwei Möglichkeiten umfasst, ist nicht unbestimmt. Die Nebenbestimmung ist rechtmäßig, die isolierte Anfechtung damit unbegründet. Keine Sorge, so ein spezielles Wissen wird in der Klausur in der Regel nicht verlangt! Vielmehr wären die Argumente für Dich im Sachverhalt „versteckt“.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Falsus Prokuristor

Falsus Prokuristor

20.9.2024, 13:38:10

Der Erlass einer

Nebenbestimmung

richtet sich nach der

Ermächtigungsgrundlage

des Hauptverwaltungsakts. § 36 VwVfG konkretisiert dies nur und ist keine eigenständige

Ermächtigungsgrundlage

. Häufig finden sich auch in den Spezialgesetzen Regelungen zum Erlass von

Nebenbestimmung

en. So steht es in einer der Erklärungen des Falls. Nach meinem Verständnis gilt dies aber nur für § 36 I, also für gebundene Entscheidungen. Ich verstehe § 36 II VwVfG so, dass der Erlass einer NB im Ermessen der

Behörde

steht und die Norm die entsprechende EGL dafür darstellt. Oder sehe ich das falsch?

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

23.9.2024, 08:57:26

Hey @[Falsus Prokuristor](203103), danke für deine Nachfrage! Richtig ist, dass § 36 Abs. 1 VwVfG Einigkeit eindeutig keine eigenständige

Ermächtigungsgrundlage

für den Erlass einer

Nebenbestimmung

ist. Bei § 36 Abs. 2 VwVfG besteht dagegen tatsächlich Uneinigkeit: Eine Ansicht geht – mit deiner Begründung – davon aus, dass § 36 Abs. 2 VwVfG die

Behörde

ermächtigt,

Nebenbestimmung

en nach pflichtgemäßen Ermessen zu erlassen. Überwiegend wird jedoch davon ausgegangen, dass auch § 36 Abs. 2 VwVfG lediglich die Ausübung der durch das Fachrecht eingeräumten Befugnisse näher regelt, also keine eigene Rechtsgrundlage darstellt. Das kann man z.B. damit begründen, dass auch

Nebenbestimmung

en denkbar sind, die nicht in der Aufzählung in § 36 Abs. 2 VwVfG gelistet sind. Die atypischen

Nebenbestimmung

en sind damit nicht vom Wortlaut des § 36 Abs. 2 VwVfG gedeckt und hätten ihre Rechtsgrundlage damit nur in der

Ermächtigungsgrundlage

des Hauptverwaltungsakts. Zudem spricht für diese Ansicht, dass die Befugnis zu

Nebenbestimmung

en auch schon vor Inkrafttreten des VwVfG unmittelbar aus der Rechtsgrundlage für den Verwaltungsakt abgeleitet wurde (siehe hierzu z.B. Schoch/Schneider, VwVfG, § 36 RndNr. 90, beck-online). In der Klausur geht es vor allem – wie immer – darum, dass Problem zu sehen und kurz zu thematisieren. Da die Ansichten aber in der Regel nicht zu verschiedenen Ergebnissen kommen, solltest Du Dich hier nicht zu lange aufhalten und im Zweifel einfach auf die

Ermächtigungsgrundlage

des Hauptverwaltungsakts (i.V.m. § 36 VwVfG) abstellen. Ich hoffe, ich konnte Dir damit weiterhelfen! Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

der D

der D

26.10.2024, 11:11:43

@[Falsus Prokuristor](203103) Finde den Wortlaut von 36 VwVfG dahingehend auch ziemlich eindeutig…


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