Öffentliches Recht

VwGO

Anfechtungsklage

Ausnahmen der isolierten Anfechtungsklage

Ausnahmen der isolierten Anfechtungsklage

24. Januar 2025

7 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A beantragt eine Sondernutzungserlaubnis für den Bürgersteig vor seinem Haus an einer Fernstraße, um dort Kuchen für einen guten Zweck zu verkaufen. Die zuständige Behörde erteilt ihm die Erlaubnis für einen Zeitraum von einer Woche. A möchte seinen Kuchen länger anbieten.

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Einordnung des Falls

Ausnahmen der isolierten Anfechtungsklage

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren klagt A. Ist für die statthafte Klageart ist vorliegend maßgeblich, ob die zeitliche Beschränkung eine Nebenbestimmung ist?

Ja!

Handelt es sich einer Bestimmung um eine Nebenbestimmung, kommt eine isolierte Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) in Betracht. Handelt es sich um eine Inhaltsbestimmung, ist die Verpflichtungsklage auf Neubescheidung (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) statthaft. Für As Rechtsschutzmöglichkeiten kommt es darauf an, wie die zeitliche Beschränkung rechtlich einzuordnen ist.
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2. Die Regelung, dass A den Bürgersteig nur eine Woche nutzen darf, ist eine Inhaltsbestimmung.

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Inhaltsbestimmung liegt vor, wenn die Behörde durch den Zusatz die Reichweite des beantragten Verwaltungsakts definiert. Eine Nebenbestimmung liegt vor, wenn die Behörde den Kern des ursprünglichen Begehrens unberührt lässt und nur eine zusätzliche Regelung trifft. Die Hauptregelung – Nutzungserlaubnis für den Bürgersteig - ist ohne den Zusatz, dass A den Bürgerstein nur eine Woche nutzen darf, eine sinnvolle Regelung. Bei der zeitlichen Beschränkung der Nutzung handelt sich daher um eine Nebenbestimmung, und zwar in der Form einer Befristung (§ 36 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG).

3. Nebenbestimmungen zum Hauptverwaltungsakt sind nach herrschender Lehre und BVerwG grundsätzlich isoliert anfechtbar.

Ja, in der Tat!

Bei der isolierten Anfechtbarkeit geht es um die Frage, ob eine Nebenbestimmung unabhängig vom Hauptverwaltungsakt angefochten werden kann. Nach Auffassung des BVerwG und h.L. sollen Nebenbestimmungen grundsätzlich isoliert anfechtbar sein. Für diese Ansicht spricht neben dem effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) vor allem der Wortlaut von § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO („soweit“).

4. Ob der Hauptverwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvoll und rechtmäßig bestehen bleiben kann, ist grundsätzlich eine Frage der Begründetheit.

Ja!

Die isolierte Anfechtung einer Nebenbestimmung ist nur dann erfolgreich, wenn der übrig bleibende Hauptverwaltungsakt auch ohne die Nebenbestimmung Bestand haben kann. Das setzt insbesondere voraus, dass der Hauptverwaltungsakt durch den Wegfall der Nebenbestimmung nicht rechtswidrig wird. Diese Frage der materiellen Teilbarkeit gehört grundsätzlich in die Begründetheitsprüfung. Die isolierte Anfechtung einer Nebenbestimmung soll nur dann ausnahmsweise bereits unzulässig sein, wenn offensichtlich keine materielle Teilbarkeit besteht. Dies ist der Fall, wenn der Hauptverwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung offensichtlich rechtswidrig ist.

5. Die Erteilung der Sondernutzungserlaubnis richtet sich nach § 8 FStrG. Erfüllt die an A adressierte Genehmigung erfüllt diese Voraussetzungen?

Genau, so ist das!

Nach § 8 Abs. 1 FStrG bedarf die Nutzung der Straße über den Gemeingebrauch hinaus (=Sondernutzung) einer Genehmigung. Bei der Erteilung der Sondernutzungserlaubnis ist der Handlungsspielraum der Behörde durch § 8 Abs. 2 S. 1 FStrG eingeschränkt: Die Sondernutzungserlaubnis darf nur befristet oder mit einem Widerrufsvorbehalt erteilt werden.Vorliegend wurde die Sondernutzungserlaubnis von der zuständigen Behörde mit einer Befristung erlassen.

6. A kann die Befristung isoliert anfechten, denn es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Nutzungsgenehmigung auch ohne die Befristung rechtmäßig ist.

Nein, das trifft nicht zu!

Eine isolierte Anfechtung von Nebenbestimmungen ist nach h.L. zulässig, wenn der Hauptverwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvoll und rechtmäßig bestehen bleibt (= materielle Teilbarkeit). Das BVerwG prüft die materielle Teilbarkeit erst in der Begründetheit der Klage. Die Anfechtungsklage ist trotzdem ausnahmsweise unstatthaft, wenn die materielle Teilbarkeit offensichtlich ausgeschlossen ist. Dies ist der Fall, wenn der Hauptverwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung offensichtlich rechtswidrig ist.Hier erfüllt die Genehmigung ohne die Befristung offensichtlich nicht die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 S. 1 FStrG. Die übrig bleibende Regelung ist damit offensichtlich rechtswidrig. A kann die Befristung nicht isoliert anfechten. In Betracht kommt damit nur die Verpflichtungsklage auf Neubescheidung, womit A ggf. erreichen könnte, dass die Geltungsdauer der Genehmigung verlängert oder statt der Befristung ein Widerrufsvorbehalt erlassen wird.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

RO

Roland

4.1.2024, 16:41:28

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob die Aussagen zur materiellen Teilbarkeit in der

Begründetheit

der Rspr. Änderung des BVerwG entsprechen? Ich würde mich ggf. über eine entsprechende Anpassung der Fälle freuen.

LELEE

Leo Lee

7.1.2024, 15:39:56

Hallo Roland, vielen Dank für die Frage! Die Änderung in der Rechtsprechung betrifft in der Tat die mat. Teilbarkeit (bislang war streitig, ob zwischen der

Rechtswidrig

keit des alleinstehenden VAs und dem Wegfall der NB ein Zsmhang bestehen muss oder ob es ausreicht, dass der VA auch aus anderen Gründen „ohnehin“

rechtswidrig

wäre; nunmehr wurde entschieden, dass die

Rechtswidrig

keit durch Wegfall der NB herbeigeführt werde muss). Weiterhin Bestand hat hingegen die in der Zulässigkeit zu beantwortende Frage, unter welchen Voraussetzungen die AK gegen eine

Nebenbestimmung

zulässig ist. Hier gibt es keine wirklich Änderungen, da immer noch festgehalten wird, dass die

Statthaftigkeit

dann gegeben ist, solange die Aufhebbarkeit nicht offenkundig von vornherein ausscheidet (wegen einer fehlenden logischen Teilbarkeit etwa). Hierzu kann ich die Lektüre dieses sehr guten Artikels empfehlen: https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bverwg-senat-isolierte-anfechtung-

nebenbestimmung

en-verwaltungsakt-

rechtswidrig

-streit/ :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

PAT

Patrick4219

1.2.2024, 12:01:51

Ist die offensichtliche

Rechtswidrig

keit des VA bei Wegfall der

Nebenbestimmung

nicht im Rechtschutzbedürfnis im Rahmen der Zulässigkeit zu prüfen? Aus den Aufgaben wird nicht ganz klar, an welcher Stelle innerhalb der Zulässigkeitsprüfung dies anzusprechen ist.

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

3.12.2024, 18:38:11

Hallo @[Patrick4219](231635), danke für deine Frage. Du hast Recht, dass sich das Argument des BVerwG, dass

Nebenbestimmung

en nur dann isoliert anfechtbar sein sollen, wenn der zurückbleibende Verwaltungsakt durch den Wegfall der

Nebenbestimmung

nicht

rechtswidrig

wird, dogmatisch am besten an das Rechtsschutzinteresse angliedern lässt. Denn das Rechtsschutzinteresse des Klägers kann dadurch geschmälert werden, dass das Ergebnis eines erfolgreichen Rechtsschutzes wäre, dass ein

rechtswidriger Verwaltungsakt

in der Welt bliebe. Zwar kann das für den Kläger persönlich immer noch vorteilhafter sein, allerdings wirkt sich der Grundsatz der

Rechtmäßigkeit

der Verwaltung darauf aus, wie weit die Garantie aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG gehen kann. In der Klausur würde ich allerdings empfehlen, den dargestellten Streit bereits i.R.d. statthaften Klageart aufzumachen und die Alternative, nämlich die

Verpflichtungsklage

gerichtet auf Neuerlass des Verwaltungsakts ohne die

Nebenbestimmung

aufzuzeigen. Direkt nach der Darstellung dieses Streits würde ich direkt auf das

Rechtsschutzbedürfnis

/ offensichtliche

Rechtswidrig

keit des VA ohne NB zu sprechen kommen. Denn, wenn Du diese bejahst, musst Du die Zulässigkeit der Verpflichtungs- und nicht der Anfechtungsklage prüfen. Wenn Du also erst die Anfechtungsklage komplett durchprüfst und diese erst am Ende wegen der offensichtlichen

Rechtswidrig

keit ablehnst, musst Du erneut die Zulässigkeit der

Verpflichtungsklage

prüfen – auch, wenn Du hier oft nach oben verweisen können wirst, kann diese Prüfung schnell unübersichtlich werden und Dich unnötig viel Zeit kosten. Letztlich ist es wichtig, dass Du das Problem überhaupt siehst und die Ansichten dazu nennst. Unter welchem Punkt Du dies genau prüfst, ist zweitrangig. Ich hoffe, ich konnte Dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team


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