Nachträgliche Gesamtstrafenbildung - Härteausgleich II

27. November 2024

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A wird wegen Raubes (§ 249 Abs. 1 StGB) zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt. Davor hatte er einen Mord (§ 211 StGB) begangen. Dafür wird er später zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Das Tatgericht erwähnt das erste Urteil nicht, da A die dortige Strafe schon verbüßt hat.

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Einordnung des Falls

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung - Härteausgleich II

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Urteil ist rechtsfehlerhaft, da das Tatgericht aus den beiden Freiheitsstrafen eine nachträgliche Gesamtstrafe bilden musste und dies unterlassen hat (§ 55 Abs. 1 StGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Voraussetzung der nachträglichen Gesamtstrafenbildung ist unter anderem, dass das erste Urteil zum Zeitpunkt der Verkündung des hiesigen Urteils noch nicht vollstreckt ist. Vollstreckt ist eine Freiheitsstrafe, wenn sie verbüßt ist. Da A die Freiheitsstrafe aus dem früheren Urteil wegen des Raubes bereits verbüßt hat, ist zum Zeitpunkt des jetzigen Urteils wegen Mordes die erste Verurteilung nicht mehr gesamtstrafenfähig. Das Tatgericht musste keine Gesamtstrafe bilden.
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2. Das Urteil ist aber rechtsfehlerhaft, da das Gericht einen Härteausgleich in der Strafzumessung vornehmen musste.

Nein!

Ein Härteausgleich ist vorzunehmen, wenn dem Angeklagten kompensationslos die Vorteile der Gesamtstrafenbildung vorenthalten werden. Dieser Umstand muss grundsätzlich in der Strafzumessung berücksichtigt werden. Die Gerichte sind aber weiter an Recht und Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Verhält sich das Tatgericht nicht dazu, liegt regelmäßig ein Darstellungsfehler vor. Mord ist mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht. Eine Abweichung kommt hier aber nur in den gesetzlich geregelten Fällen (z.B. § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB) in Betracht. Ein Härteausgleich kann in der Strafzumessung deshalb ausnahmsweise nicht stattfinden, da dies dem System der Strafzumessungsnormen widersprechen würde. Folglich durfte der Raub bei der Strafzumessung unberücksichtigt bleiben.

3. Da im vorliegenden Urteil eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt wird, musste das Gericht keinen Härteausgleich vornehmen. Das Urteil ist rechtsfehlerfrei.

Nein, das ist nicht der Fall!

Auch bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe ist ein Härteausgleich vorzunehmen, jedoch im Rahmen der „Vollstreckungslösung”. Hier findet nach § 51 Abs. 1 StGB analog eine Anrechnung auf die Mindestverbüßzeit der Freiheitsstrafe (§ 57a Abs. 1 StGB) statt. Dies hat zur Folge, dass die lebenslange Freiheitsstrafe nicht erst nach 15 Jahren, sondern schon früher zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Diese Anrechnung muss das Tatgericht im Tenor der Entscheidung ausdrücklich aussprechen und genau beziffern. Lerne in Zusammenhängen! Die Vollstreckungslösung wendet der BGH aus denselben Gründen auch im Rahmen der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung an.

4. Das Revisionsgericht hebt das Urteil infolge des Fehlers auf und verweist es zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück (§ 354 Abs. 2 StPO).

Nein, das trifft nicht zu!

Das Revisionsgericht kann in der Sache selbst entscheiden (§ 354 Abs. 1 StPO analog). Treffen lebenslange und zeitige Freiheitsstrafe aufeinander, wird auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt (§ 54 Abs. 1 S. 1 StGB). Damit der Angeklagte nicht schlechter steht, muss die Anrechnung hier in voller Höhe der verbüßten Strafe erfolgen. Denn genau diese Strafe wäre bei einer Gesamtstrafe nicht vollstreckt worden. Da kein Raum für weitere Strafzumessungserwägungen bleibt, kann das Revisionsgericht selbst entscheiden.Das Revisionsgericht spricht also aus, dass ein Jahr der Mindestverbüßungsdauer der lebenslangen Strafe als vollstreckt gilt. Eine Ausnahme von der Vollanrechnung macht der BGH, wenn die Aufklärung der Tat über lange Zeit wegen noch nicht vorhandener technischer Mittel nicht möglich war. Hier lägen die Gründe für die getrennte Aburteilung außerhalb der Justiz und müssten nicht kompensiert werden.
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