(Un)Zulässigkeit einer Wahlpflicht

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Um etwas gegen die geringe Wahlbeteiligung an den Bundestagswahlen zu unternehmen, wird im Parlament ein Gesetzesentwurf diskutiert, der eine Wahlpflicht für alle Bürger ab 18 Jahren vorsieht. Abgeordnete A ist der Ansicht, dass ein solches Gesetz verfassungswidrig wäre.

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Einordnung des Falls

(Un)Zulässigkeit einer Wahlpflicht

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das geplante Gesetz könnte gegen die Wahlrechtsgrundsätze verstoßen. Enthält Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG ein explizites Verbot einer Wahlpflicht?

Nein, das ist nicht der Fall!

Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG enthält unter anderem den Grundsatz der Freiheit der Wahl. Die Ausgestaltung des Wahlsystems muss daher gewährleisten, dass kein Zwang oder Druck auf die Entschließungsfreiheit des Wählenden ausgeübt wird. Nach dem Wortlaut der Norm enthält diese kein ausdrückliches Verbot einer Wahlpflicht.
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2. Es ist umstritten, ob die Freiheit der Wahl auch die Freiheit enthält, nicht zu wählen.

Ja, in der Tat!

Während das „Wie“ der Wahlen unumstritten frei ausgestaltet sein muss, ist es fraglich, ob auch das „Ob“ der Wahl nach Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG frei sein muss. Aus der Freiheit der Wahl könnte sich auch die Freiheit der „Nicht-Wahl“ ergeben, sodass eine Wahlpflicht verfassungswidrig wäre.

3. Nach einer Ansicht wäre eine Wahlpflicht nicht verfassungswidrig, solange die Wählenden anonym einen unausgefüllten Wahlzettel abgeben können.

Ja!

Ob eine Wahlpflicht mit Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar ist, ist umstritten. Nach einer Ansicht würde eine Wahlpflicht (im Sinne einer Wahlbeteiligungspflicht) nicht gegen den Grundsatz der Freiheit der Wahl verstoßen. Solange die Wählenden sich frei dazu entschließen können, einen unausgefüllten Wahlzettel abzugeben, seien sie nicht dazu gezwungen, eine Wahl zu treffen. Dies müsse jedoch dadurch sichergestellt werden, dass die Wahl weiterhin geheim getroffen werden kann. Ist dies der Fall, wäre eine Wahlpflicht nur eine „formelle“ Pflicht, zur Wahlurne zu gehen, aber nicht, tatsächlich zu wählen.In einigen europäischen Länder, z.B. Belgien, Griechenland, Luxemburg und Italien, gibt es eine Wahlpflicht.

4. Nach der Gegenauffassung enthält die Freiheit der Wahl auch die „negative Wahlbeteiligungsfreiheit“.

Genau, so ist das!

Nach dieser Auffassung betrifft der Grundsatz der freien Wahl nicht nur das „Wie“, sondern auch das „Ob“ der Wahl. „Freiheit“ in einer Demokratie umfasse bereits vom Wortsinn her auch die Entscheidung, nicht an einer Wahl teilzunehmen. Dieser Ansicht ist auch das BVerfG: das Recht auf eine Stimmabgabe „frei von Zwang“ sei unverzichtbare organisatorische Voraussetzung des demokratischen Staates i.S.d. Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG.

5. Selbst, wenn in der Wahlpflicht ein Verstoß gegen Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG liegen würde, wäre dieser jedenfalls durch das Ziel der höheren Wahlbeteiligung gerechtfertigt.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Freiheit der Wahl ist zwar ein besonders bedeutsamer Wahlrechtsgrundsatz, gilt aber nicht absolut. Z.B. beschreiben die §§ 108-108b StGB in verfassungsmäßiger Weise, unter welchen Voraussetzungen eine staatliche, politische oder wirtschaftliche Druckausübung zulässig ist. Sieht man das „Ob“ der Wahl von Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG geschützt, so wäre die Einführung einer Wahlpflicht eine besonders starke Beeinträchtigung. Diese wäre - wenn überhaupt - nur durch einen verfassungsrechtlich besonders wichtigen Grund zu rechtfertigen. Bei dem Ziel, die Wahlbeteiligung zu steigern, könnte man zwar an eine Förderung der Demokratie denken. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Menschen, die nicht wählen wollen, einen leeren Stimmzettel abgeben, sodass die Wahlpflicht kein geeignetes Mittel ist, um die Demokratie zu fördern. Dies ist eine klassische Aufgabenstellung, bei der es vor allem darauf ankommt, dass Du das Problem erkennst und fundiert die Argumente abwägen kannst. Welche Meinung Du vertrittst, ist letztlich egal.
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