Referendariat: Prozessrecht & Klausurtypen

Die ZVR-Klausur

„Verlängerte Vollstreckungsabwehrklage“

Anspruch auf Herausgabe der gepfändeten Sache gegen den Ersteigerer? (§ 985 BGB, §§ 812ff. BGB)

Anspruch auf Herausgabe der gepfändeten Sache gegen den Ersteigerer? (§ 985 BGB, §§ 812ff. BGB)

22. Februar 2025

5,0(42 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

S hat die titulierte Forderung des G gegen sie bereits bezahlt. Dennoch wird auf Gs Antrag hin ihre Kuckucksuhr wirksam gepfändet und von E ersteigert. Nach der Erlösauskehr erhält S die vollstreckbare Ausfertigung. S möchte eine Klage auf Herausgabe der Uhr erheben. ‌

Diesen Fall lösen 0,0 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Anspruch auf Herausgabe der gepfändeten Sache gegen den Ersteigerer? (§ 985 BGB, §§ 812ff. BGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. S muss ihre Herausgabeklage gegen G richten, denn dieser ist Besitzer der Kuckucksuhr.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach der öffentlichen Versteigerung wird die versteigerte Sache dem Ersteigerer, also demjenigen, der den Zuschlag erhalten hat, gegen Bezahlung der gebotenen Summe übergeben (§ 817 Abs. 2 ZPO). Den Zuschlag erhält der Meistbietende (§ 817 Abs. 1 S. 1 ZPO) E ist der Ersteigerer bzw. der Meistbietende, dem der Zuschlag erteilt wurde. Die Kuckucksuhr muss ihm bereits gegen Bezahlung der von ihm gebotenen Summe übergeben worden sein. Andernfalls hätte keine Auszahlung des Versteigerungserlöses erfolgen können. Die Klage auf Herausgabe der Uhr wäre daher gegen E zu richten. Die Prüfung von Herausgabeansprüche des „zu spät kommenden Vollstreckungsschuldners“ gegen den Ersteigerer wie die Prüfung des „zu spät kommenden Dritten“ gegen den Ersteigerer. Mehr dazu hier .
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Im Rahmen der Begründetheit musst Du einen Anspruch der S aus § 985 BGB gegen E prüfen. Müsste S dafür noch Eigentümerin der Kuckucksuhr sein?

Ja, in der Tat!

Eine Klage der S auf Herausgabe der Kuckucksuhr hätte Aussicht auf Erfolg, wenn diese zulässig und begründet ist. I.R.d. Begründetheit stellt sich die Frage, ob S überhaupt einen Anspruch auf Herausgabe der Uhr hat. Der Eigentümer kann von dem Besitzer die Herausgabe der Sache verlangen (§ 985 BGB). Inhaber eines Herausgabeanspruchs aus § 985 BGB kann also nur der Eigentümer sein. Ein Anspruch des S gegen E auf Herausgabe der Kuckucksuhr aus § 985 BGB kann nur dann bestehen, wenn S noch deren Eigentümer ist. Zunächst war S der Eigentümer der Kuckucksuhr.

3. Durch die Übergabe der Kuckucksuhr an E könnte dieser das Eigentum daran erworben haben (§ 817 Abs. 2 ZPO).

Ja!

In der Versteigerung wird dem Meistbietenden, dem der Zuschlag erteilt wurde (§ 817 Abs. 1 ZPO), die ersteigerte Pfandsache gegen Bezahlung der gebotenen Summe übergeben (§ 817 Abs. 2 ZPO). Nach der gemischten Theorie (h.M. + BGH) erwirbt er hierdurch das Eigentum an der Pfandsache, sofern diese verstrickt ist. Nach der öffentlich-rechtlichen Theorie kommt es zum Eigentumserwerb, wenn ein Pfändungspfandrecht an der Pfandsache besteht, welches jedoch nach dieser Theorie ohnehin mit jeder Verstrickung entsteht. Im Ergebnis kommt es also nach beiden Theorien nur auf die Verstrickung bzw. die Wirksamkeit der Pfändung an. S hat durch die Übergabe der Kuckucksuhr nur dann das Eigentum daran erworben, wenn diese auch verstrickt war bzw. wenn die Pfändung wirksam war.

4. E hat also nur dann Eigentum an der Kuckucksuhr erworben, wenn diese verstrickt war. Ist dies der Fall?

Genau, so ist das!

Eine wirksame Pfändung führt zur Verstrickung des gepfändeten Gegenstands. Auch eine fehlerhafte Pfändung ist grundsätzlich wirksam, wenn auch anfechtbar. Eine Pfändung ist nur dann unwirksam/nichtig, wenn sie an einem besonders schweren Verfahrensfehler leidet. Die Pfändung der Kuckucksuhr war wirksam, sodass Verstrickung eingetreten ist. Mit der Übergabe der Uhr an E hat dieser damit das Eigentum erworben (§ 817 Abs. 2 ZPO). Daher hat S keinen Herausgabeanspruch aus § 985 BGB gegen E.

5. Zwar hat S keinen Anspruch aus § 985 BGB, sie könnte aber einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB gegen E haben. Hat E Besitz und Eigentum an der Uhr durch Leistung der S erlangt (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Wenn Du einen Anspruch aus § 985 BGB ablehnst, solltest Du immer auch noch an die §§ 812ff. BGB denken. Wer durch die Leistung eines anderen etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB). Eine Leistung im Sinne des § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. E hat durch einen Hoheitsakt (§ 817 Abs. 2 ZPO) und damit nicht durch eine Leistung des S, sondern in sonstiger Weise (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB) Eigentum und Besitz an der Kuckucksuhr erlangt.

6. Ein Anspruch des S gegen E aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB auf Rückübertragung von Eigentum und Besitz an der Kuckucksuhr setzt voraus, dass E beides rechtsgrundlos erlangt hat. Ist dies der Fall?

Nein!

Wer in sonstiger Weise auf Kosten eines anderen etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet (§ 812 Abs. 1 S. 1 BGB). Bei einer öffentlichen Versteigerung wird dem Meistbietenden der Zuschlag erteilt (§ 817 Abs. 1 S. 1 ZPO), wodurch ein öffentlich-rechtlicher, kaufähnlicher Vertrag entsteht (§§ 817 Abs. 1 S. 3 ZPO, 156 BGB). E hat in sonstiger Weise (durch Hoheitsakt) auf Kosten des S Eigentum und Besitz an der Kuckucksuhr erlangt. Der durch den Zuschlag zustande gekommene Vertrag (§§ 817 Abs. 1 S. 3 ZPO, 156 BGB) bildet jedoch einen Rechtsgrund für die Vermögensverschiebung. Nochmal: Herausgabeansprüche des „zu spät kommenden Vollstreckungsschuldners“ gegen den Ersteigerer scheitern aus den gleichen Gründen wie Herausgabeansprüche des „zu spät kommenden Dritten“ gegen den Ersteigerer. Die Prüfungen sind identisch.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!

Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen