Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2024

Vorbringen bzgl. unverschuldeter Säumnis im Einspruchstermin

Vorbringen bzgl. unverschuldeter Säumnis im Einspruchstermin

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Assessorexamen

B wird vom Landgericht Frankfurt (Oder) durch Versäumnisurteil zur Zahlung von €40.000 verurteilt. B legt Einspruch ein. Zum Einspruchstermin schickt sie ihre Anwältin A. A erkrankt auf der Fahrt zum Termin und muss die Weiterfahrt abbrechen. Gegen B ergeht deshalb ein 2. Versäumnisurteil.

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Einordnung des Falls

Vorbringen bzgl. unverschuldeter Säumnis im Einspruchstermin

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Einspruch gegen ein erstes Versäumnisurteil ist nur zulässig, wenn die Säumnis unverschuldet erfolgt (§§ 338 ff. ZPO).

Nein!

Bei der Zulässigkeit eines Einspruchs sind lediglich (1) Statthaftigkeit (§ 338 ZPO), (2) Wahrung der Einspruchsfrist (§ 339 ZPO) und (3) Einhaltung der Form (§ 340 ZPO) zu prüfen. Zu 1: Der Einspruch ist gegen ein erstes echtes Versäumnisurteil statthaft. Das Versäumnisurteil muss dafür aufgrund der Säumnis gegen den Säumigen ergehen. Durch den Einspruch wird der Prozess in die Lage vor Eintritt der Säumnis zurückversetzt (§ 342 ZPO). Vorsicht! Bei der Prüfung eines Einspruchs prüfst Du nur dessen Zulässigkeit, nicht dessen Begründetheit! Vielmehr sind nach dem zulässigen Einspruch die Zulässigkeit und Begründetheit der Klage zu prüfen: I. Zulässigkeit des Einspruchs II. Zulässigkeit der Klage III. Begründetheit der Klage
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2. Auch gegen das hier ergangene zweite Versäumnisurteil ist ein Einspruch statthaft.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Einspruch gegen ein Versäumnisurteil ist nach § 338 ZPO nur gegen ein erstes echtes Versäumnisurteil statthaft. Der (erneute) Einspruch ist nicht statthaft, wenn der Beklagte auch im Einspruchstermin säumig ist und daraufhin ein Versäumnisurteil ergeht, durch das der Einspruch verworfen wird, sog. zweites Versäumnisurteil (vgl. § 345 ZPO).Da Bs Prozessvertreterin A für sie nicht beim Einspruchstermin erschien, wurde ihr Einspruch durch ein zweites Versäumnisurteil verworfen. Hiergegen kann sich B nicht mehr mit dem Einspruch wehren.Nicht vergessen, vor dem Landgericht herrscht Anwaltszwang (§ 78 Abs. 1 ZPO)! Selbst wenn B selbst also anwesend gewesen wäre, so wäre sie mangels Postulationsfähigkeit im Prozess säumig.

3. Gegen ein zweites Versäumnisurteil sind keine weiteren Rechtsmittel statthaft.

Nein, das trifft nicht zu!

Während gegen ein erstes Versäumnisurteil nur der Einspruch zulässig ist (vgl. §§ 514 Abs. 1, 565 ZPO), steht dem Säumigen gegen ein zweites Versäumnisurteil die Berufung (§ 514 Abs. 2 ZPO) bzw. Revision (§ 565 ZPO iVm § 514 Abs. 2 ZPO) offen.B kann somit versuchen, das zweite Versäumnisurteil mit der Berufung anzugreifen.Die Berufung gegen das zweite Versäumnisurteil ist streitwertunabhängig statthaft (§ 514 Abs. 2 S. 2 ZPO). Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift beim Berufungsgericht eingelegt (§ 519 Abs. 1 ZPO). Die Frist hierfür beträgt grundsätzlich einen Monat ab Zustellung des Urteils (§ 517 ZPO).

4. Muss das Berufungsgericht prüfen, ob der gegen B gerichtete Zahlungsanspruch tatsächlich besteht und durchsetzbar ist (§ 514 Abs. 2 ZPO)?

Nein!

Der Berufungskläger kann grundsätzlich seine Berufung darauf stützen, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (vgl. § 513 ZPO). Anders ist dies bei der Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil. Die Berufung hiergegen kann lediglich darauf gestützt werden, dass der Berufungskläger den Einspruchstermin unverschuldet versäumt hat (§ 514 Abs. 2 S. 1 ZPO). War dies der Fall, wird die Sache unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Ausgangsgericht zurückverwiesen (§ 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 ZPO).Das Berufungsgericht hat hier also einzig und allein zu prüfen, ob B im Termin unverschuldet nicht vertreten war.Aufgepasst! Anders ist dies nach der Rechtsprechung des BGH bei der Säumnis nach Einspruch gegen einen Vollstreckungsbescheid. Hier wird u.a. auch die Schlüssigkeit des zugrunde liegenden Anspruchs geprüft, weshalb dies in jüngerer Zeit ein beliebter Prüfungsklassiker ist. Mehr dazu in unserem Kurs ZR Urteilsklausur.

5. Die Frage, ob ein Fall der unverschuldeten Säumnis vorlag, ist erst bei der Begründetheit der Berufung zu prüfen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass bei Erlass des angefochtenen Versäumnisurteils kein Fall der schuldhaften Versäumung vorgelegen hat. Dies ist aber nicht erst bei der Begründetheit zu prüfen. Von der Schlüssigkeit der entsprechenden Darlegung hängt bereits die Zulässigkeit des Rechtsmittels ab. Der Sachverhalt, der die Zulässigkeit des Rechtsmittels rechtfertigen soll, ist vollständig und schlüssig innerhalb der Frist der Berufungsbegründung vorzutragen. Ist der Vortrag diesbezüglich nicht hinreichend substantiiert, wird die Berufung als unzulässig verworfen (§ 522 Abs. 1 S. 2 ZPO).

6. An einer schuldhaften Säumnis der B fehlt es schon deshalb, weil nicht B, sondern ihre Anwältin A den Termin verpasst hat.

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Partei ist nicht nur für eigenes Verschulden verantwortlich, sondern muss sich auch das Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.Sofern A den Termin schuldhaft versäumte, muss B sich dies zurechnen lassen, sodass die Berufung keinen Erfolg hätte.Die Zurechnung ist auf das Verschulden der Bevollmächtigten beschränkt. Fehler von Mitarbeitern der Bevollmächtigten können nicht unmittelbar der Partei zugerechnet werden (insb. ist § 278 BGB auf das Prozessrecht nicht anwendbar). Stellen sich die Fehler Dritter aber als eigene Fehler der Prozessbevollmächtigten dar (zB mangelhafte Instruktion, Überwachung), so kommt eine Zurechnung dennoch in Betracht.

7. Allein der Vortrag, dass A auf der Fahrt zum Gericht unerwartet erkrankt ist, genügt, um schlüssig darzulegen, dass die Säumnis hier unverschuldet erfolgte.

Nein!

Im Hinblick auf das Verschulden gilt § 276 BGB entsprechend, sodass jede Form von Vorsatz und Fahrlässigkeit erfasst ist. Dabei gilt ein objektivierter Maßstab, sodass die üblicherweise allgemein zu erwartende Sorgfalt einer ordentlichen Prozesspartei bzw. die standesübliche Sorgfalt eines ordentlichen Rechtsanwalts zu wahren ist. BGH: Eine schuldhafte Säumnis liege auch dann vor, wenn ein Verfahrensbevollmächtigter, der kurzfristig und unvorhersehbar an der Wahrnehmung eines Termins gehindert ist, nicht alles ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, um dem Gericht rechtzeitig seine Verhinderung mitzuteilen und hierdurch eine Verlegung oder Vertagung des Termins zu ermöglichen (RdNr. 10).Hinsichtlich ihrer Erkrankung ist A weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Eine unverschuldete Säumnis liegt aber dennoch nur vor, wenn sie alles Mögliche und Zumutbare unternommen hat, um das Gericht rechtzeitig über ihre Erkrankung zu unterrichten. Lerne in Zusammenhängen: Der Begriff des Verschuldens begegnet Dir auch beim Wiedereinsetzungsantrag (§ 233 ZPO)!

8. Um das fehlende Verschulden schlüssig darzulegen, genügt der Vortrag, dass A vor dem um 10 Uhr stattfindenden Termin mehrmals erfolglos versucht habe, das Gericht zu kontaktieren.

Nein, das ist nicht der Fall!

BGH: Die bloße Behauptung mehrerer erfolgloser Kontaktversuche vor 10:00 Uhr sei so pauschal und ungenau, dass nicht beurteilt werden könne, ob A ausreichende Bemühungen entfaltet habe, um ihrer Obliegenheit, dem Gericht rechtzeitig ihre Verhinderung mitzuteilen, nachgekommen sei (RdNr. 13).

9. Das fehlende Verschulden kann aber durch die eidesstattliche Versicherung von As stets zuverlässiger Büromitarbeiterin schlüssig dargelegt werden, dass diese „mehr als 30 Minuten versucht habe, jemanden zu erreichen, bevor sie um 11 Uhr mit der zuständigen Richterin verbunden worden war“.

Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Aus dem Vortrag ergebe sich bereits nicht schlüssig, dass die Mitarbeiterin noch vor Beginn des Termins um 10 Uhr versucht habe, Kontakt aufzunehmen. Das nachträgliche Bemühen, die Information über die Verhinderung der Verfahrensbevollmächtigten weiterzugeben, genüge indes nicht (RdNr. 15).Im zugrundeliegenden Fall war auch der genaue Zeitpunkt des Gesprächs mit der Richterin nicht angegeben worden. Allerdings sollte das Gespräch mit der RIchterin erst nach der um 10:55 Uhr abgeschlossenen Verhandlung stattgefunden haben. Zieht man eine halbe Stunde ab, so ist dadurch nicht dargelegt, dass der erste Anruf vor 10 Uhr erfolgte.

10. Um das fehlende Verschulden schlüssig darzulegen, hätte B konkrete Angaben zum Ablauf von As Fahrt und insbesondere im Hinblick auf die konkreten Versuche der Kontaktaufnahme machen müssen.

Ja!

Bei kurzfristiger und unvorhershebarer Verhinderung liegt eine unverschuldete Säumnis nur dann vor, wenn alles Mögliche und Zumutbare getan wurde, um das Gericht rechtzeitig über die Verhinderung zu unterrichten. BGH: Um zu prüfen, ob alles Mögliche und Zumutbare unternommen worden war, hätte es insbesondere Angaben dazu bedurft, wann genau und wie oft A unter welcher Telefonnummer versucht habe, das Gericht über ihre Verhinderung in Kenntnis zu setzen. Nur dann hätte geprüft werden können, ob die Meldung hinreichend rechtzeitig erfolgt sei bzw. ob nicht eventuell die Wahl einer falschen Telefonnummer dazu geführt habe, dass das Gericht nicht erreichbar war. Die Entscheidung zeigt einmal mehr, welch hohe Hürden der BGH bezüglich des fehlenden Verschuldens anlegt. Da das Verschulden gerade im zweiten Examen in zahlreichen Klausurklassikern relevant wird (Wiedereinsetzungsantrag, § 233 ZPO; zweites VU, § 514 Abs. 2 ZPO; Anwaltsverschulden, § 85 Abs. 2 ZPO), lohnt es sich, hier sattelfest zu sein.
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