Zivilrecht

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Entscheidungen von 2021

Feststellungsinteresse bei negativer Feststellungsklage

Feststellungsinteresse bei negativer Feststellungsklage

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Assessorexamen

B stellt der K Verzugszinsen in Höhe von €1.000 in Rechnung. K wehrt sich hiergegen und beantragt vor Gericht, festzustellen, dass dieser Zinsanspruch nicht besteht. B hält die Klage für unzulässig.

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Einordnung des Falls

Feststellungsinteresse bei negativer Feststellungsklage

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Gericht hat alle Zulässigkeitsvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Damit eine Klage zulässig ist, müssen (1) die Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen und (2) dürfen keine Prozesseinreden (auch sachurteilshindernde Einreden genannt) bestehen. Sachurteilsvoraussetzungen werden in jeder Verfahrenslage von Amts wegen geprüft, Prozesseinreden dagegen nur nach entsprechender Rüge des Beklagten. Fehlt eine Sachurteilsvoraussetzung oder ist eine begründete Prozesseinrede erhoben, wird die rechtshängige Klage durch Prozessurteil als unzulässig abgewiesen. Es gibt primär drei Prozesseinreden: Fehlende Prozesskostensicherheit (§ 113 ZPO), Fehlende Kostenerstattung nach Klagerücknahme (§ 269 Abs. 6 ZPO) und bestehende Schiedsvereinbarung (§ 1032 ZPO).
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2. Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Feststellungsklage (§ 256 Abs. 1 ZPO) sind von Amts wegen zu prüfende Sachurteilsvoraussetzungen.

Ja, in der Tat!

Es gibt allgemeine Sachurteilsvoraussetzungen, die für alle Klagen gelten und besondere Sachurteilsvoraussetzungen, die für bestimmte Klagearten zusätzlich gelten. Besondere Sachurteilsvoraussetzungen der Feststellungsklage sind (§ 256 Abs. 1 ZPO): (1) Feststellungsfähiges Rechtsverhältnis und (2) Feststellungsinteresse. Beide betreffen den Streitgegenstand. Die Sachurteilsvoraussetzungen betreffen stets entweder das Gericht (zB Rechtswegeröffnung, Zuständigkeit), die Parteien (z.B. Partei-, Prozess, und Postulationsfähigkeit) oder den Streitgegenstand (z.B. Bestimmtheit, entgegenstehende Rechtshängigkeit, Rechtsschutzbedürfnis).

3. Fehlt eine der beiden besonderen Sachurteilsvoraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO, kann eine Feststellungsklage stets nur als unzulässig abgewiesen werden (Prozessurteil).

Nein!

Das Fehlen einer Sachurteilsvoraussetzung führt grundsätzlich zur Klageabweisung durch Prozessurteil. Eine Ausnahme hiervon gilt für das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis und dessen Ausprägung als Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO). Fehlt dieses, ergeht gleichwohl ein Sachurteil, wenn die Klage in der Sache abweisungsreif ist. Hat K kein Feststellungsinteresse, ist ihre Klage aber in der Sache ohnehin abweisungsreif, wird sie nicht nur als unzulässig, sondern auch als unbegründet abgewiesen. Sofern die Klage als unbegründet abgewiesen wird, kann sie vom Kläger nicht erneut erhoben werden (entgegenstehende Rechtskraft).

4. Ansprüche sind feststellungsfähige Rechtsverhältnisse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO.

Genau, so ist das!

Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO ist jede gegenwärtige Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache, die ein subjektives Recht enthält oder ein solches begründen kann. Auch einzelne sich aus einem solchen Rechtsverhältnis ergebende subjektive Rechte und Pflichten sind feststellungsfähig (BGH NJW 2000, 2280). Dies gilt insbesondere für Ansprüche (§ 194 Abs. 1 BGB) (BGH NJW 1984, 1556). Da der Rechtsprechung zufolge ein Anspruch kein Rechtsverhältnis ist, sondern erst die Folge eines solchen, ist es an sich präziser von einem feststellungsfähigen Gegenstand zu sprechen.

5. Ist der potentielle Anspruch der B gegen K auf Zahlung von Verzugszinsen (§ 288 Abs. 1 S. 1 BGB) ein feststellungsfähiger Gegenstand (§ 256 Abs. 1 ZPO)?

Ja, in der Tat!

Ansprüche, die sich aus einem Rechtsverhältnis ergeben, sind nach ständiger Rechtsprechung feststellungsfähige Gegenstände. BGH: Auch vom Bestand einer Hauptforderung abhängige Nebenforderungen seien isoliert feststellungsfähige Gegenstände (RdNr. 16). Ein Anspruch der B auf Verzugszinsen (§ 288 Abs. 1 S. 1 ZPO) ist als materiell-rechtliche Nebenforderung selbstständig feststellungsfähig.

6. Die Klage der K ist eine negative Feststellungsklage.

Ja!

Begehrt der Kläger die Feststellung, dass der feststellungsfähige Gegenstand besteht (§ 256 Abs. 1 Var. 1 ZPO), so handelt es sich um eine positive Feststellungsklage. Begehrt der Kläger die Feststellung, dass der feststellungsfähige Gegenstand nicht besteht (§ 256 Abs. 1 Var. 2 ZPO), so handelt es sich um eine negative Feststellungsklage. K begehrt die Feststellung, dass B gegen sie keinen Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen hat (§§ 194 Abs. 1, 288 Abs. 1 S. 1 ZPO). Die Unterscheidung zwischen positiver und negativer Feststellungsklage ist primär terminologischer Natur.

7. Ein Feststellungsinteresse der K kann sich daraus ergeben, dass B sie bereits zur Zahlung von Verzugszinsen aufgefordert hat (§ 256 Abs. 1 ZPO).

Genau, so ist das!

Ein Feststellungsinteresse besteht, wenn einem subjektiven Recht des Klägers eine gegenwärtige Gefahr oder Ungewissheit droht und das erstrebte Urteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen. Eine solche Gefahr besteht jedenfalls dann, wenn sich der Beklagte eines Anspruchs gegen den Kläger berühmt (RdNr. 14). Die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der K (Art. 2 Abs. 1 GG) ist dadurch gefährdet, dass V ihr gegenüber den Zinsanspruch geltend gemacht hat.

8. Das erstrebte Urteil entfaltet keine Rechtskraft im Hinblick auf die Hauptforderung. Fehlt es K deshalb an dem notwendigen Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO)?

Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Das Feststellungsinteresse müsse ausschließlich in Bezug auf den Gegenstand des Feststellungsbegehrens bestehen (RdNr. 16). Gegenstand des Feststellungsbegehrens ist die Nebenforderung der B (§ 288 Abs. 1 S. 1 BGB). Die zugrunde liegende Hauptforderung der B nimmt zwar als bloße Vorfrage an der materiellen Rechtskraft nicht teil (§ 322 ZPO). Ob insoweit weiter Streit droht, ist jedoch irrelevant. Maßgeblich ist, dass ein Feststellungsurteil die wegen der Nebenforderung drohende Gefahr beseitigen könnte. Die Vorinstanz hatte noch argumentiert, K gehe es „eigentlich“ nur um die weiterhin streitige Hauptforderung. Da die Klage insoweit ungeeignet sei, die Gefahr der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit vollständig zu beseitigen, hatte sie ein Feststellungsinteresse verneint.

9. Die besonderen Sachurteilsvoraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO liegen vor.

Ja!

Die besonderen Sachurteilsvoraussetzungen einer Feststellungsklage sind: (1) Feststellungsfähiges Rechtsverhältnis und (2) Feststellungsinteresse. Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis ist jede gegenwärtige Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache, die ein subjektives Recht enthält oder ein solches begründen kann. Auch einzelne subjektive Rechte wie Ansprüche sind feststellungsfähige Gegenstände. Ein Feststellungsinteresse besteht, wenn einem subjektiven Recht des Klägers eine gegenwärtige Gefahr oder Ungewissheit droht und das erstrebte Urteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen. Beide Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MAX

Maxi97

11.1.2023, 04:25:53

Die vorletzte Frage, die anscheinend auch das Problem des Falles darstellt ist für mich persönlich jedenfalls nicht verständlich genug (vielleicht bin ich zu dumm :D). Wäre es möglich das Problem nochmal zu erklären? Vielen Dank.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

11.1.2023, 11:35:47

Hallo Maxi97, danke für deine Frage. Genau dafür ist das Forum ja da :) Die letzte Frage fasst nochmal zusammen, was zuvor geprüft wurde. Die besonderen Sachurteilsvoraussetzungen einer

Feststellungsklage

sind (1) Feststellungsfähiges Rechtsverhältnis und (2) Feststellungsinteresse. Vorliegend ist das feststellungsfähige Rechtsverhältnis das (Nicht-) Bestehen des Zinsanspruchs, auch wenn es sich um einen von einer Hauptforderung abhängigen Anspruch handelt. Des weiteren müsste das Feststellungsinteresse gegeben sein. Bei einer negativen

Feststellungsklage

, ist dieses gegeben wenn der Beklagte einen Anspruch geltend macht, den der Kläger bestreitet. Die Beklagte macht hier die Zinsforderung geltend. Es ist auch unschädlich, dass sich das Feststellungsinteresse hier auf eine Nebenforderung und nicht auf eine Hauptforderung bezieht. Durch wird nicht die Gefahr für die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der Klägerin beseitigt. Genau diese Gefahr begründet das Feststellungsinteresse. Die letzte Frage sollte genau diese beiden besonderen Sachurteilsvoraussetzungen insbesondere mit Blick auf eine Nebenforderung nochmal zusammenfassen. Ist es nun verständlich? Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

PPAA

Philipp Paasch

15.1.2023, 00:07:13

Hallo, gibt es eigentlich eine wirkliche Unterscheidung zwischen Prozessvoraussetzungen und Sachentscheidungsvoraussetzungen oder ist das wieder alles umstritten? Habe zumindest Unterschiedliches gelesen.

ASA

asanzseg

26.2.2023, 13:13:44

Hi @[Philipp Paasch](173758)! Der Unterschied ist eigentlich rein terminologischer Natur. Der Begriff Sachurteilsvoraussetzung stellt nur klar, dass das Gericht erst in der Sache (deshalb Sachurteil) entscheiden darf, wenn diese vorab von ihm geprüft worden sind! thats it :)

PPAA

Philipp Paasch

26.2.2023, 23:25:37

@[asanzseg](206214) super, vielen Dank für die Antwort. Hättest du auch eine Quelle dazu? :-)

AND

Andreas

15.4.2023, 22:20:57

Warum steht der negativen

Feststellungsklage

nicht die

Leistungsklage

der anderen Partei entgegen? Normalerweise lässt diese doch das Feststellungsinteresse entfallen oder?:D

AND

Andreas

15.4.2023, 22:21:57

Oh die Zinsen wurden wohl noch gar nicht eingeklagt, mein Fehler!


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