Sachliche Zuständigkeit - Die Strafgewalt des Strafrichters

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird wegen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) vor dem Strafrichter angeklagt. Im Verfahren stellt sich heraus, dass zugleich eine lebensgefährdende Behandlung vorlag (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB). Er wird zu zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. A rügt mit der Revision, das Schöffengericht sei zuständig gewesen.

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Einordnung des Falls

Sachliche Zuständigkeit - Die Strafgewalt des Strafrichters

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Revision hat Erfolg, wenn das Tatgericht sachlich unzuständig war.

Ja, in der Tat!

Die Revision ist begründet, wenn das Urteil auf dem Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung, einer verfahrensrechtlichen oder einer sachlichrechtlichen Gesetzesverletzung beruht (§ 337 StPO). Nach § 6 StPO ist die sachliche Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Daraus wird hergeleitet, dass die sachliche Zuständigkeit eine Verfahrensvoraussetzung darstellt.
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2. Man unterscheidet zwischen sachlicher, örtlicher und funktioneller Zuständigkeit. Nur die sachliche Zuständigkeit ist eine Verfahrensvoraussetzung und von Amts wegen zu prüfen (§ 6 StPO).

Ja!

Sachliche Zuständigkeit ist die Verteilung der Strafsachen auf die verschiedenen Spruchkörper (Amtsgericht, Landgericht, Oberlandesgericht) des ersten Rechtszuges nach ihrer Art und Schwere. Nur sie ist von Amts wegen zu prüfen (§ 6 StPO) und damit Verfahrensvoraussetzung. Die örtliche Zuständigkeit beantwortet die Frage, in welchem Bezirk das im ersten Rechtszug zuständige Gericht liegt. Den Begriff der funktionellen Zuständigkeit ist nicht explizit im Gesetz geregelt. Hierunter werden alle Zuständigkeitsregelungen zusammengefasst, die nicht zur sachlichen oder örtlichen Zuständigkeit gehören. Etwa die Frage, ob beim Landgericht eine allgemeine oder eine besondere Strafkammer zuständig ist. Fehler der örtlichen und funktionellen Zuständigkeit kann man mit der Verfahrensrüge geltend machen.

3. Da eine Strafe unter vier Jahren verhängt wurde, ist hier das Amtsgericht sachlich zuständig.

Genau, so ist das!

Das Amtsgericht ist für Strafsachen zuständig, bei denen die zu erwartenden Strafe vier Jahre nicht übersteigt (§ 24 Abs. 1 Nr. 2, § 74 Abs. 1 S. 1 GVG). Für die Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit kommt es darauf an, ob der Tatrichter nach den Urteilsfeststellungen bei zutreffender Beurteilung der Tat zuständig war. Entsprechend der Urteilsfeststellungen wurde A zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Damit war das Amtsgericht sachlich zuständig.

4. Ob der Strafrichter oder das Schöffengericht zuständig ist, betrifft nur die Frage der funktionellen Zuständigkeit und stellt somit keine Verfahrensvoraussetzung dar.

Nein, das trifft nicht zu!

Strafrichter und Schöffengericht sind zwar Spruchkörper des gleichen Gerichts, jedoch im Sinne der Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit zwei verschiedene Gerichte. Der Strafrichter ist gegenüber dem Schöffengericht ein Gericht niederer Ordnung. Dies liegt darin begründet, dass dem Strafrichter und dem Schöffengericht unterschiedliche Rechtsfolgengewalt eingeräumt wird (vgl. § 25 GVG). Ob der Strafrichter oder das Schöffengericht zuständig ist, ist somit eine Frage der sachlichen Zuständigkeit.

5. Hätte der Strafrichter das Verfahren während des Hauptverfahrens an das Schöffengericht abgeben müssen, da sich die Straferwartung geändert hat?

Nein!

Der Strafrichter ist grundsätzlich nurbei einer Straferwartung von bis zu zwei Jahren sachlich zuständig (§ 25 Nr. 2 GVG). Die Strafgewalt des Amtsgerichts reicht aber bis zu vier Jahren (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 GVG). Dies gilt für den Strafrichter und das Schöffengericht. Ist die Sache vor dem Strafrichter eröffnet, muss dieser die Sache nicht an das Schöffengericht verweisen, auch wenn die Strafe zwei Jahre übersteigt.Der Strafrichter war hier sachlich zuständig. Die Revision hat keinen Erfolg. Anders nur, wenn der Strafrichter seine Zuständigkeit zum Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung objektiv willkürlich angenommen hat. In diesem Fall wiegt der Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 GG) so schwer, dass eine Verhandlung vor dem Strafrichter nicht mehr gerechtfertigt werden kann.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Mareici

Mareici

30.12.2023, 12:07:50

Also die Frage, ob der

Strafrichter

oder das

Schöffengericht

zuständig ist, ist eine Frage der sachlichen Zuständigkeit, weil dem

Strafrichter

weniger Rechtsfolgengewalt zugeteilt ist und er daher ein Gericht niederer Ordnung gegenüber dem

Schöffengericht

darstellt. Entscheidet der

Strafrichter

aber über seine Rechtsfolgengewalt hinaus, ändert das nichts an seiner Zuständigkeit, wenn die Rechtsfolgengewalt des Amtsgericht von 4 Jahren Freiheitsstrafe nicht überschritten wird. Also hat die interne Verteilung der Rechtsfolgengewalt eine untergeordnete Bedeutung? Ich verstehe leider nicht so ganz, warum einerseits mit der unterschiedlichen Rechtsfolgengewalt der Spruchkörper die sachliche Zuständigkeit betroffen sein soll, es im Ergebnis aber doch nicht darauf ankommt...Vielleicht könnt ihr mir da weiterhelfen :-) Vielen Dank schon mal!

GEI

Geithombre

14.6.2024, 15:07:12

Wenn ich es recht verstanden habe, ist es wie folgt: Im Grundsatz gilt bei Straferwartung vor HV

Strafrichter

bis 2 Jahre,

Schöffengericht

2–4 Jahre. Wenn jetzt in der HV neue Umstände offenbar werden, die eine höhere Straferwartung begründen (für uns dann § 265 StPO im Protokoll wichtig), kann der ursprünglich zuständige

Strafrichter

weiter urteilen, solange das Strafmaß nicht 4 Jahre überschreitet. Das kann natürlich nur gelten, solange es sich weiterhin um ein Vergehen handelt, so wie im obigen Fall den §

224 StGB

. Es müsste daher also 1) ursprünglich eine Straferwartung bis max. 2 Jahre bestanden haben 2) in der HV durch neue Erkenntnisse eine höhere Strafe bis max. 4 Jahre zu verhängen sein, ohne dass jedoch nun ein Verbrechen abgeurteilt wird. -> dann ist die eigentlich fehlende Zuständigkeit des

Strafrichter

s unschädlich, hat mit Sicherheit einen ökonomisch-zweckmäßigen Hintergrund.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

16.10.2024, 11:23:24

Hallo @[Mareici](208178), @[Geithombre](138034) hat Deine Frage hier schon sehr gut beantwortet. Der Gesetzgeber hat sich entschlossen, zwischen der Zuständigkeit von

Strafrichter

n und

Schöffengericht

en zu differenzieren. Das dürfte sinnvoll sein, um "kleinere" Kriminalität von nur einem Richter abhandeln zu lassen, der sich auch heute noch um den Großteil verfolgten Straftaten kümmert. Weil sich der Gesetzgeber aber ebenfalls entschlossen hat,

Strafrichter

und

Schöffengericht

beide dem Amtsgericht zuzuordnen, gilt der Strafbann des Amtsgerichts nach § 24 II GVG für beide als Obergrenze. Die interne Aufteilung, wie sie ua § 25 Nr 2 GVG vorgibt, soll eben nicht dazu führen, dass der

Strafrichter

bei Fällen zwischen 2 und 4 Jahren nachträglich nach § 270 I 1, 1. Hs StPO ans

Schöffengericht

verweisen muss. Früher wurde das durchaus diskutiert und von verschiedenen OLG unterschiedlich gesehen. Der BGH hat aber schon vor Jahrzehnten klargestellt, dass auch die

Strafgewalt

des

Strafrichter

s bis 4 Jahre geht (BGH NJW 1961, 2316). Wen die ausgetauschten Argumente und die historischen Hintergründe interessieren (der BGH argumentiert ua mit einer Verordnung von 1924), der kann sich diese Entscheidung gerne mal anschauen. Zu Prüfungszwecken reicht es aber völlig, wenn einem diese Besonderheit des Verhältnisses von

Strafrichter

und

Schöffengericht

bewusst ist. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team


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