Öffentliches Recht
VwGO
Anfechtungsklage
Abgrenzung Inhaltsbestimmung / Nebenbestimmung; isolierte Anfechtung
Abgrenzung Inhaltsbestimmung / Nebenbestimmung; isolierte Anfechtung
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
R möchte neben ihrem Wohnhaus einen Pferdestall errichten. Sie beantragt eine Baugenehmigung für einen Stall. Die zuständige Behörde genehmigt den Bau des Stalls unter der Maßgabe, dass zuvor alle Nachbarn der R dem Bau zustimmen. R will gegen das Zustimmungserfordernis vorgehen.
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Einordnung des Falls
Abgrenzung Inhaltsbestimmung / Nebenbestimmung; isolierte Anfechtung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren klagt R. Statthaft ist die Anfechtungsklage, wenn R gegen einen Verwaltungsakt vorgehen will. Nebenbestimmungen sind Verwaltungsakte.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Bei der Maßgabe, dass R die Zustimmung der Nachbarn einholen muss, handelt es sich um eine Inhaltsbestimmung.
Nein, das trifft nicht zu!
3. Die Frage, ob eine Nebenbestimmung unabhängig vom Hauptverwaltungsakt angefochten werden kann (= isolierte Anfechtbarkeit), ist umstritten.
Ja!
4. Nach der herrschenden Lehre ist die isolierte Anfechtungsklage bei Nebenbestimmungen ausnahmslos statthaft.
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Die Baugenehmigung ist ohne das Zustimmungserfordernis offenkundig rechtswidrig. Eine isolierte Anfechtung des Zustimmungserfordernisses ist deshalb ausgeschlossen.
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Paul
22.1.2024, 10:44:39
müsste man nicht noch die Art der Bedingung feststellen? also ob es sich um eine auflösende oder aufschiebende handelt. nur bei der auflösenden könnte ja die iso. AK statthaft sein, da bei Wegfall der aufschiebenden Bedingung der vA nicht wirksam wird.
vivien_ti
22.5.2024, 15:53:46
Geht es bei der hM nach der
Nebenbestimmungen grundsätzlich isoliert anfechtbar sind, nicht nur um die logische Teilbarkeit vom HauptVA? Und meines Erachtens kommt es doch auf die
materielle Teilbarkeitin der
Begründetheitdurch die neue Rspr. gar nicht mehr an?
Maximilian Puschmann
23.5.2024, 09:42:59
Hallo vivientisch, in der Zulässigkeit ist gemäß der Rechtsprechung grundsätzlich jede
Nebenbestimmungisoliert anfechtbar. Ausnahmsweise soll laut der Rechtsprechung eine
isolierte Anfechtungsklageschon nicht zulässig sein, wenn die isolierte Aufhebbarkeit der
Nebenbestimmungoffenkundig ausgeschlossen ist. Trotzdem würde man in der Examensklausur hier die anderen Meinungen ansprechen und diskutieren, um Problembewusstsein zu zeigen. In der
Begründetheitkommt es auch nach der neueren Rechtsprechung darauf an, dass der Grundverwaltungsakt in sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann. Die neue Rechtssprechung bzw. die Einigung der Senate durch das Einlenken des 4. Senats im Beschl. v. 12.10.2022, BVerwG 8 AV 1.22, zielt auf die Problematik, dass der zurückbleibende Grundverwaltungsakt rechtswidrig ist, diese Rechtswidrigkeit jedoch nicht kausal auf dem Wegfall der
Nebenbestimmungberuht. Hier herrscht nun Einigkeit, dass die Anfechtungsklage dann dennoch begründet ist. Hierzu gut und kompakt folgende Literaturempfehlung: https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bverwg-senat-isolierte-anfechtung-
nebenbestimmungen-verwaltungsakt-rechtswidrig-streit/ Beste Grüße Max - Für das Jurafuchs-Team
Lorenz
18.7.2024, 18:32:21
Zunächst heißt es, dass
Nebenbestimmungen gemäß hL und BVerfG anfechtbar sind. Danach ist die Frage dann aber, ob immer eine
Anfechtbarkeitmöglich ist, um dies dann zu verneinen mit Hinweis auf die eine Ausnahme bei offensichtlicher Rechtswidrigkeit.
Linne_Karlotta_
19.7.2024, 12:16:00
Hallo Lorenz, danke für Deine Rückmeldung. Die Aufgabe stellt zunächst einmal den Grundsatz dar: „Nach einer vierten Ansicht (BVerwG und hL) sollen
Nebenbestimmungen GRUNDSÄTZLICH anfechtbar sein.“ um dann die von Dir angesprochene Ausnahme aufzuzeigen. Diese Darstellung ist m.E. gängig und sinnvoll. Ich habe jetzt aber in der Aufgabe noch deutlicher gemacht, dass es sich um einen Grundsatz handelt, von dem Ausnahmen gemacht werden können. Ich hoffe, ich habe Dir damit weitergeholfen. Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team
<isa_hh>
12.8.2024, 11:32:12
Ich hätte vielmehr § 36 Abs. 1 angenommen und dass eine Zustimmung doch schon gar nicht verlangt werden kann? Ich verstehe irgendwie den Bogen zu § 36 Abs. 2 nicht und wieso überhaupt isoliert angefochten werden muss ..
Linne_Karlotta_
12.8.2024, 14:58:18
Hallo @[
en zur Baugenehmigung nur nach Maßgabe des § 36 Abs. 1 VwVfG rechtmäßig sein können, weil es es sich bei der Entscheidung, ob eine Baugenehmigung erteilt wird, um eine gebundene Entscheidung handelt. Allerdings können auch
Nebenbestimmungen, die nach Maßgabe des § 36 Abs. 1 VwVfG erlassen werden einer Art von
Nebenbestimmungaus § 36 Abs. 2 VwVfG zugeordnet werden. § 36 Abs. 2 VwVfG ist nämlich nicht nur die Grundlage für den Erlass von
Nebenbestimmungen bei Ermesssensentscheidungen, sondern enthält auch die Legaldefinitionen der gängigen
Nebenbestimmungen. Diese gelten auch für § 36 Abs. 1 VwVfG. Eine Zuordnung zu einer der aufgezählten
Nebenbestimmungen ist natürlich nicht zwingend. Es kann Dir aber in der Klausur bei der Einordnung einer Regelung als
Nebenbestimmunghelfen. Es ist in den Klausuren üblich, die Art der
Nebenbestimmungzu nennen. Aus diesem grund taucht § 36 Abs. 2 VwVfG in unserem Fall auf, nicht, weil sich die
Rechtmäßigkeitder
Nebenbestimmungnach dieser Norm richtet. Die
Rechtmäßigkeitder
Nebenbestimmungbeleuchten wir in diesem Fall gar nicht, weswegen wir auch keine Zuordnung zu § 36 Abs. 1 VwVfG vornehmen. Vorliegen kam es uns allein darauf an, die Frage des Rechtsschutzes gegen
Nebenbestimmungen zu beleuchten. Hier gelten sowohl für Fälle des § 36 Abs. 1 VwVfG als auch § 36 Abs. 2 VwVfG diesselben Grundüberlegungen. Zu Deiner Frage, warum die isolierte
Anfechtbarkeitin diesem konkreten Fall auch relevant ist: Nur, weil die
Behördedie
Nebenbestimmungnicht erlassen „durfte“, ändert dies ja erst einmal nichts daran, dass sie es (wirksam) getan hat (für eine Nichtigkeit der
Nebenbestimmunggibt es hier keine Anhaltspunkte). Der Adressat muss die
Nebenbestimmungalso trotzdem „aus der Welt schaffen“. In diesem Zusammenhang stellt sich dann also die Frage, ob auf Neuerlass der begehrten Genehmigung geklagt werden muss (= Verpflichtungsklage) oder allein die rechtswidrige
Nebenbestimmungangegriffen werden kann (= Anfechtungsklage). Die letzte Variante ist für den Kläger in der Regel vorteilhafter, weil die Begünstigung (hier: Baugenehmigung) bestandskräftig werden kann. Müsste auf den Neuerlass der Baugenehmigung geklagt werden, so wäre es ja z.B. denkbar, dass das Gericht i.R.d. Verfahrens zu dem Schluss kommt, dass tatsächlich gar kein Anspruch auf Erlass der begehrten Genehmigung besteht. In diesem Fall würde der Kläger mit leeren Händen ausgehen. Ficht er nur die
Nebenbestimmungan, so wirkt sich die Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung nicht zu seinen Ungunsten aus, sofern
materielle Teilbarkeitzwischen der Baugenehmigung und der
Nebenbestimmungbesteht. Schaue dir dazu gerne noch die anderen Aufgaben in diesem Kapitel an und melde Dich bei weiteren Unklarheiten. Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team
_Andor_
28.8.2024, 19:21:23
In der Aufgabenbestellung wird pauschal behauptet, dass
Nebenbestimmungen die Voraussetzungen von § 35 S. 1 VwVfG erfüllten und daher Verwaltungsakte seien. Dies ist in seiner Pauschalität unzutreffend und wird bezüglich einzelner
Nebenbestimmungen teils mehr, teils weniger bestritten. Ein Hinweis auf den Streitstand/die Streitstände wäre m.E. sinnvoll.
Zlatan1328
5.11.2024, 13:20:21
So wie ich es mit dem Skript von Prof. Kersten verstanden habe, hat das BVerwG die alte Rspr aufgegeben: Früher war die Anfechtungsklage unbegründet, wenn zwar die
Nebenbestimmungrechtswidrig war, der Hauptverwaltungsakt ohne die
Nebenbestimmungaber auch rechtswidrig war. Inzwischen ist dann die Klage troztdem begründet, die
Rechtmäßigkeitdes Haupt VA ist nämlich nicht Gegenstand der Klage und die
Behördekann den Haupt VA nach § 48 VwVfG zurücknehmen.