Unzulässige Ablehnung von Beweisanträgen, §§ 244 Abs. 3-6, 245 Abs. 2 StPO


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Angeklagter A stellt den Antrag: „Ich beantrage, Z, wohnhaft Fuchsstraße 24, 14050 Berlin über die Tatsache zu vernehmen, dass ich am 27.05.2023 zwischen 15:30 Uhr und 17:30 Uhr mit Z zusammen das Bundesligafinale schaute und deshalb nicht am Tatort gewesen sein kann.” Das Gericht lehnt dies ab. As Anwesenheit am sei Tatort bereits bewiesen.

Einordnung des Falls

Unzulässige Ablehnung von Beweisanträgen, §§ 244 Abs. 3-6, 245 Abs. 2 StPO

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Stellt ein Verfahrensbeteiligter einen Beweisantrag (§ 244 Abs. 3 S. 1 StPO) und wird dieser zu Unrecht abgelehnt, kann dies in der Revision gerügt werden.

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Ja!

Das Gericht kann einen Beweisantrag nur aus den Gründen der § 244 Abs. 3 bis 6 StPO bzw. des § 245 Abs. 2 StPO ablehnen. Missachtet es diese Vorschriften, kann dies in der Revision gerügt werden. Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller (1) ernsthaft verlangt, (2) Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, (3) die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, (4) durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und (5) dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll (Konnexität).

2. A hat ernsthaft verlangt, über eine bestimmt behauptete Tatsache, welche die Schuld- und Straffrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel Beweis zu erheben.

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Genau, so ist das!

Der Antragsteller muss für einen Beweisantrag zunächst ernsthaft verlangen, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, zu erheben.A verlangte, über die hinreichend bestimmt bezeichnete Tatsache Beweis zu erheben, er habe sich zum Tatzeitpunkt an einem anderen Ort als dem Tatort aufgehalten. Trifft dies zu, kann er nicht der Täter sein, damit ist die Schuldfrage betroffen. Er benennt den Zeugen Z als Beweismittel samt seiner ladungsfähigen Anschrift. Das Beweismittel ist damit auch hinreichend bestimmt bezeichnet.

3. Der Antragsteller muss begründen, warum der Zeuge geeignet ist, die behauptete Tatsache zu beweisen (Konnexität). Muss die Begründung immer ausführlich und ausdrücklich erfolgen?

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Nein, das trifft nicht zu!

Dem Antrag muss nach § 244 Abs. 3 S. 1 StPO zu entnehmen sein, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll (Konnexität). An die Begründungspflicht dürfen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Häufig ergibt sich die Konnexität bereits aus den Umständen.Dass Z als Beweismittel geeignet ist, ergibt sich daraus, dass er wahrnahm, dass A mit ihm zusammen Fußball schaute. Es ist erkennbar dass Z As behaupteten Aufenthaltsort bestätigen kann. Einer weitergehenden Begründung bedarf es nicht. Ein Beweisantrag (§ 244 Abs. 3 S. 1 StPO) liegt also vor.

4. Der Z ist nicht anwesend und muss erst noch geladen werden. Richtet sich die Ablehnung des Beweisantrages nach § 245 Abs. 2 StPO?

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Nein!

§ 245 Abs. 2 StPO regelt die Ablehnung präsenter Beweismittel, also insbesondere der geladenen und erschienenen Zeugen. Eine Ablehnung bereits präsenter Zeugen ist naturgemäß nur unter strengeren Voraussetzungen zulässig, als die Ablehnung von nicht präsenten Beweismitteln. Denn nicht präsente Beweismittel müssen erst noch herbeigeschafft werden und beeinträchtigen deshalb die Prozessökonomie stärker. Die Ablehnung nicht präsenter Beweismittel richtet sich nach § 244 Abs. 3 bis 6 StPO.Da Z erst geladen werden muss und damit kein präsentes Beweismittel isrt, misst sich die Ablehnung des Beweisantrages nach § 244 Abs. 3 bis 6 StPO.

5. Das Gericht hat die Vernehmung des Z rechtmäßig mit der Begründung abgelehnt, die Anwesenheit As am Tatort sei bereits bewiesen (§ 244 Abs. 3 S. 3 Nr. 3 StPO).

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Nein, das ist nicht der Fall!

Gemäß § 244 Abs. 3 S. 3 Nr. 3 StPO kann ein Beweisantrag abgelehnt werden, wenn die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist. Dies ist der Fall, wenn das Gericht von der Richtigkeit der Beweistatsache aufgrund des bisherigen Ergebnisses der Beweisaufnahme schon so überzeugt ist, dass es sie dem Urteil ohne weitere Beweisaufnahme zugrunde legen will.Achtung, Stolperfalle: Der Beweisantrag kann nur abgelehnt werden, wenn das Gericht die behauptete Tatsache als bewiesen erachtet. Hier erachtet es aber gerade das Gegenteil der Beweistatsache, nämlich As Anwesenheit am Tatort für erwiesen. Dem muss A natürlich durch die Beweisführung entgegenwirken können. Die Ablehnung des Antrags war unzulässig.Diese Problematik wird gerne in Klausuren eingebaut, da sie die Prüflinge darauf testet, ob sie sorgfältig mit dem Gesetzeswortlaut arbeiten. Baue deine Klausur immer streng am Gesetzeswortlaut auf, so vermeidest du Flüchtigkeitsfehler.

6. A kann erfolgreich in Revision gehen (§ 337 StPO).

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Ja, in der Tat!

Das Gericht verletzte mit der fehlerhaften Anwendung des § 244 Abs. 3 S. 3 Nr. 3 StPO eine Verfahrensnorm. Da eine Entlastung As durch Zs Aussage nicht von vorneherein ausgeschlossen ist und A durch die Ablehnung auch in seinem Rechtskreis betroffen, also beschwert ist, kann er erfolgreich in Revision gehen.

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