Referendariat

Die zivilrechtliche Urteilsklausur

Entscheidungsgründe

Verlust der Aktivlegitimation durch Veräußerung des Beklagten

Verlust der Aktivlegitimation durch Veräußerung des Beklagten

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K erhebt Klage gegen B auf Herausgabe eines E-Bikes (§ 985 BGB), dass er diesem geliehen hatte. Kurz darauf übereignet und übergibt B das E-Bike an seine Cousine C. Diese weiß weder etwas von dem Prozess, noch ahnt sie, dass B nicht Eigentümer des E-Bikes ist.

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Einordnung des Falls

Verlust der Aktivlegitimation durch Veräußerung des Beklagten

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K ist nach wie vor Eigentümer des E-Bikes.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten bzw. der gutgläubige Erwerb ist in den §§ 932ff. BGB geregelt. Scheitert eine nach § 929 S. 1 BGB erfolgte Veräußerung lediglich an der Berechtigung, so ist die Übereignung trotzdem wirksam, wenn ein Verkehrsgschäft vorliegt, der Erwerber gutgläubig war (§ 932 Abs. 1 S. 1 BGB) und die Sache nicht abhanden gekommen ist. B hat als Nichtberechtigter über das E-Bike verfügt. C ahnte jedoch nichts von der fehlenden Eigentümerstellung des B. K ist das Fahrrad auch nicht abhanden gekommen. C hat das Eigentum somit gutgläubig von B erworben (§§ 929 S. 1, 932 BGB).
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2. B hat damit auch eine streitbefangene Sache veräußert.

Ja, in der Tat!

Eine Sache ist streitbefangen, wenn durch ihre Veräußerung der Kläger nicht mehr aktivlegitimiert bzw. der Beklagte nicht mehr passivlegitimiert ist. B hat seinen Besitz am E-Bike an C übertragen. Der Besitz des Anspruchsgegners ist jedoch Anspruchsvoraussetzung des Herausgabeanspruchs aus § 985 BGB. Durch die Besitzübertragung hat B somit seine Passivlegitimation verloren, wobei die fehlende Passivlegitimation über § 265 Abs. 2 S. 1 ZPO überwunden wird.

3. Obwohl nun C Eigentümerin des E-Bikes ist, ist K weiterhin aktivlegitimiert.

Nein!

Aktivlegitimiert ist derjenige, der Inhaber des geltend gemachten Rechts ist. K macht einen Anspruch aus § 985 BGB geltend. Inhaber eines solchen Anspruchs ist jedoch der Eigentümer der Sache. Durch die wirksame Übereignung an C hat K sein Eigentum und damit zugleich seine Aktivlegitimation verloren.

4. Bei Veräußerung der streitbefangenen Sache durch den Beklagten ist umstritten, ob § 265 Abs. 2 S. 1 ZPO auch die Aktivlegitimation des Kläger aufrechterhält.

Genau, so ist das!

Die Veräußerung der streitbefangenen Sache soll auf den Prozess ohne Einfluss bleiben (§ 265 Abs. 2 S. 1 ZPO). Die Norm ist unstreitig anwendbar, wenn der Kläger eine Sache veräußert und dadurch seine Prozessführungsbefugnis verlieren würde oder wenn der Beklagte eine Sache veräußert und dadurch seine Passivlegitimation verliert. Wenn jedoch durch Veräußerung des Beklagten zugleich die Aktivlegitimation des Klägers verloren geht, ist die Rechtsfolge umstritten: Wendet man § 265 Abs. 2 S. 1 ZPO auf den Kläger an, wäre die Klage weiterhin begründet. Der Beklagte wäre antragsgemäß zu verurteilen. Lehnt man die Anwendbarkeit des § 265 Abs. 2 S. 1 ZPO auf den Kläger ab, so wäre die Klage mangels Aktivlegitimation als unbegründet abzuweisen.

5. Vertritt man, dass Ks Aktivlegitimation über § 265 Abs. 2 S. 1 ZPO aufrecht erhalten wird und B antragsgemäß verurteilt würde, würde sich die Rechtskraft dieses Urteils auch auf C erstrecken.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach § 325 Abs. 1 Alt. 1 ZPO wirkt ein Urteil grundsätzlich nicht nur für und gegen die Parteien des Rechtsstreits, sondern auch für und gegen diejenigen Personen, die nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit deren Rechtsnachfolger geworden sind. Eine Ausnahme hierzu normiert § 325 Abs. 2 ZPO: Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts zugunsten derjenigen, die Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten, gelten entsprechend. Dies bedeutet, dass bei Gutgläubigkeit des Rechtsnachfolgers keine Rechtskrafterstreckung stattfindet. Sie muss sich sowohl auf die fehlende Eigentümerstellung des Veräußernden, als auch auf den laufenden Prozess erstrecken („doppelte Gutgläubigkeit“). Als C Rechtsnachfolgerin des B wurde, wusste sie weder von dessen fehlende Berechtigung noch von dem laufenden Prozess. Daher würde sich die Rechtskraft des Urteils nicht auf C erstrecken.

6. Selbst wenn man Ks fehlende Aktivlegitimation also als unbeachtlich ansieht, könnte K von C nach Abschluss des Prozesses nicht die Rückgabe seines E-Bikes erzwingen.

Ja!

Eine vollstreckbare Ausfertigung kann auch gegen denjenigen Rechtsnachfolger des in dem Urteil bezeichneten Schuldners und denjenigen Besitzer der in Streit befangenen Sache, gegen die das Urteil nach § 325 ZPO wirksam ist, erteilt werden (§ 727 Abs. 1 ZPO). Der für eine solche Titelumschreibung zuständige Urkundsbeamte (§ 724 Abs. 2 ZPO) prüft hierfür zwar nur, ob die Voraussetzungen des § 325 Abs. 1 ZPO vorliegen und nicht, ob die Ausnahme des § 325 Abs. 2 ZPO greift. Der Rechtsnachfolger kann die Ausnahme aber durch Erinnerung gegen die erteilte Vollstreckungsklausel (§ 732 ZPO) geltend machen. K könnte den Titel zwar zunächst auf C umschreiben. C kann anschließend jedoch ihre „doppelte Gutgläubigkeit“ durch eine Klauselerinnerung einwenden. Da eine Vollstreckung gegen C somit nicht möglich ist, wäre der erstrittene Titel gegen B somit letztlich nutzlos.

7. Könnte K einer Klageabweisung als unbegründet entgehen, wenn man die Anwendung von § 265 Abs. 2 S. 1 ZPO auf den Kläger ablehnt?

Genau, so ist das!

Ks Klage gegen B war ursprünglich zulässig und begründet und wurde durch die Veräußerung des B an C nach Rechtshängigkeit unzulässig (fehlende Prozessführungsbefugnis des K) und unbegründet (fehlende Aktivlegitimation des K). Somit liegen die Voraussetzungen für eine erfolgreiche (einseitige) Erledigungserklärung vor, bei der es sich um eine stets zulässige Klageänderung handelt. Alternativ kann K seine Klage auch auf Schadensersatz (§ 989 BGB) oder Erlösherausgabe (§ 816 Abs. 1 BGB) umstellen. Da der Titel, den K gegen B erlangen würde, ohnehin nutzlos ist, und K eine Kostentragung auch durch eine Erledigungserklärung (bzw. Umstellung auf Schadensersatz/Erlösherausgabe) vermeiden kann, spricht einiges dagegen, die Aktivlegimation des Klägers über § 265 Abs. 2 S. 1 ZPO zu fingieren. Zugleich wird dann vermieden, dass Urteile ergehen, die mit der wahren Rechtslage offensichtlich nicht im Einklang stehen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

PI

Pit

7.7.2024, 12:03:22

Moin, meines Erachtens, bedarf es der folgenden Konkretisierungen in der Aufgabe: 1. Hinsichtlich der Frage, die Ergänzung, dass die (einseitige) Erledigungserklärung für den Kläger günstiger ist. - Denn zurzeit wirkt die Frage etwas unvollständig. 2. Hinsichtlich der Vertiefung, dass eine Anwendung des § 265 II 1 ZPO auf die

Aktivlegitimation

des Kläger *abgelehnt* wird, da der Titel nutzlos ist, zu Ergebnissen führt, die nicht mit der tatsächlichen Rechtslage übereinstimmen und die Klageänderung/ Umstellung des Antrags auf prozessökonimischer ist. Danke :)


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