Referendariat

Die Revisionsklausur im Assessorexamen

Begründetheit II: Verletzungen des Verfahrensrechts (Verfahrensrüge)

Abwesenheit des Verteidigers - Ausbleiben des Pflichtverteidigers (§ 145 Abs. 1 S. 1 StPO)

Abwesenheit des Verteidigers - Ausbleiben des Pflichtverteidigers (§ 145 Abs. 1 S. 1 StPO)

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird vor dem Landgericht verurteilt. Am letzten Prozesstag erschien seine Verteidigerin krankheitsbedingt nicht. Das Gericht bestellte spontan einen im Zuschauerraum sitzenden Verteidiger, nachdem dieser einmal die Akte (3 Bände) durchblätterte und kurz Rücksprache mit A hielt.

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Einordnung des Falls

Abwesenheit des Verteidigers - Ausbleiben des Pflichtverteidigers (§ 145 Abs. 1 S. 1 StPO)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Es lag ein Fall der notwendigen Verteidigung vor (§ 140 StPO).

Ja!

Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor, wenn zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet. Da vorliegend die Verhandlung vor dem Landgericht stattfand, lag ein Fall der notwendigen Verteidigung vor.
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2. Bleibt ein notwendiger Verteidiger in der Hauptverhandlung aus, hat das Gericht dem Angeklagten immer einen anderen Verteidiger zu bestellen (§ 145 Abs. 1 S. 1 StPO).

Nein, das ist nicht der Fall!

Grundsätzlich hat das Gericht so zu verfahren (§ 145 Abs. 1 S. 1 StPO). Es kann aber auch eine Aussetzung der Verhandlung beschließen (§ 145 Abs. 1 S. 2 StPO). Die Entscheidung, wie es handelt, trifft das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Zweck des § 145 Abs. 1 StPO ist dabei nicht die Verfahrenssicherung, sondern die Wahrung des Rechts des Angeklagten auf eine effektive und angemessene Verteidigung. Daran muss sich das Tatgericht orientieren und eine Entscheidung treffen, die den Verteidigungsinteressen des Angeklagten gerecht wird.

3. Das Urteil war hier wegen eines Verstoßes gegen § 145 Abs. 1 StPO rechtsfehlerhaft.

Ja, in der Tat!

Ob das Gericht einen neuen Verteidiger bestellt oder das Verfahren aussetzt, entscheidet es nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Entscheidung ist vom Revisionsgericht nur auf die Einhaltung der Ermessensgrenzen zu kontrollieren.Aus der sehr kurzen Vorbereitung des Verteidigers bei einem offenbar großen Umfang der Hauptverhandlung (3 Aktenbände, mehrere Verhandlungstage) wird deutlich, dass das Gericht sein Ermessen nicht im Hinblick auf den Normzweck ausübte. Eine solche Vorbereitung konnte den Verteidiger nicht einmal annähernd auf den Stand des Verfahrens bringen und eine effektive Verteidigung gewährleisten. Unabhängig von der Einschätzung des neuen Verteidigers forderte die Fürsorgepflicht des Gerichts eine Aussetzung.Erklärt der neu bestellte Verteidiger selbst, dass die Vorbereitungszeit nicht reicht, ist die Verhandlung zwingend zu unterbrechen oder auszusetzen (§ 145 Abs. 3 StPO).

4. Nach § 338 Nr. 5 StPO wird das Beruhen des Urteils auf dem Fehler vermutet.

Nein!

Das Beruhen des Urteils wird nach § 338 Nr. 5 StPO nur vermutet, wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit des notwendigen Verteidigers stattgefunden hat. Eine Bestellung zum Pflichtverteidiger ist erfolgt. Dass das Gericht dies nicht in der vorliegenden Form hätte tun dürfen, spielt für die Anwendbarkeit des § 338 Nr. 5 StPO keine Rolle. Es liegt damit bloß ein relativer Revisionsgrund vor. A muss darlegen, dass das Urteil auf dem Verstoß gegen § 145 Abs. 1 StPO beruht, was aber aufgrund der kurzen Vorbereitungszeit und dem umfassenden Aktenmaterial (3 Bände), dem sich der neue Verteidiger ausgesetzt sah, gelingen dürfte. Es liegt nahe, dass er sich bei längerer Vorbereitungszeit besser auf den Prozess vorbereitet hätte.
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