Öffentliches Recht

VwGO

Vorläufiger Rechtsschutz (§§ 80, 80a VwGO)

§ 80a Abs. 3 S. 2 VwGO: Rechtsgrund- oder Rechtsfolgenverweisung? (str.)

§ 80a Abs. 3 S. 2 VwGO: Rechtsgrund- oder Rechtsfolgenverweisung? (str.)

9. Juni 2025

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Bauherr B ist großer Star Wars-Fan. Er möchte ein Haus in Form des Todessterns errichten. Nachbar N will gegen die erteilte Baugenehmigung vorgehen. N wendet sich an das Verwaltungsgericht, ohne vorher mit der zuständigen Behörde Kontakt aufzunehmen.

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Einordnung des Falls

§ 80a Abs. 3 S. 2 VwGO: Rechtsgrund- oder Rechtsfolgenverweisung? (str.)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. N erhebt Anfechtungsklage und legt einen Eilantrag ein. Ist ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 1 VwGO) statthaft?

Genau, so ist das!

Bei § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO ist zu unterscheiden: in den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1-3a VwGO ist ein Antrag auf Anordnung der wiederherstellenden Wirkung statthaft, in den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO ist ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung statthaft. N wendet sich mit seiner Anfechtungsklage gegen die dem B erteilte Baugenehmigung. Nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB entfaltet seine Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung. Daher ist ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung statthaft. Da hier zudem ein Dreipersonenverhältnis vorliegt, richtet sich der Antrag nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 1 VwGO.
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2. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis entfällt, wenn dem Kläger ein einfacherer oder schnellerer Weg zur Verfügung steht, sein Klageziel zu erreichen.

Ja, in der Tat!

Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis ist eine Zulässigkeitsvoraussetzung, die für sämtliche Verfahrensarten gilt. Es besagt, dass die Inanspruchnahme der Gerichte nur zulässig ist, wenn der Kläger bzw. Antragsteller ein von der Rechtsordnung anerkanntes („rechtsschutzwürdiges”) Interesse an der gerichtlichen Klärung des Sachverhalts hat. Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt, wenn der Kläger sein Ziel auf einfachere oder schnellere (außergerichtliche) Weise erreichen kann. Denn in diesem Fall ist eine Inanspruchnahme der Gerichte nicht notwendig. Auf das Rechtsschutzbedürfnis gehst Du in der Klausur nur tiefer ein, wenn Anhaltspunkte bestehen, dass es nicht vorliegen könnte. Einen fehlenden Antrag bei der Behörde solltest Du im Rahmen von §§ 80, 80a VwGO immer kurz thematisieren.

3. N hat keinen Antrag bei der Behörde gestellt. Ist nach dem Wortlaut des § 80a Abs. 3 S. 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 6 S. 1 VwGO in unserem Fall ein behördliches Vorverfahren notwendig?

Nein!

Der Wortlaut des § 80 Abs. 6 S. 1 VwGO, welcher hier über § 80a Abs. 3 S. 2 VwGO herangezogen werden kann, setzt nur in den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO (öffentliche Abgaben und Kosten) einen vorherigen Antrag bei der Behörde voraus. Im Umkehrschluss lässt sich daraus ableiten, dass in den anderen Fällen des § 80 Abs. 2 VwGO ein Antrag bei der Behörde nicht erforderlich ist. Vorliegend geht es um einen Fall von §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO, welcher vom Wortlaut des § 80 Abs. 6 S. 1 VwGO nicht erfasst ist. Die Frage, ob das Rechtsschutzbedürfnis entfällt, wenn der Antragsteller zuvor keinen Antrag bei der Behörde gestellt hat, ist ein „Klausurklassiker“, den Du auf dem Schirm haben solltest. Aufhänger für dieses „Problem“ ist die Frage, wie weit die Verweisung aus § 80a Abs. 3 S. 2 VwGO auf § 80 Abs. 6 S. 1 VwGO geht.

4. Fälle in Abgaben- und Kostensachen, bei denen ein Dritter betroffen ist, sind praktisch kaum vorstellbar. Spricht das dafür, den Anwendungsbereich des § 80a Abs. 3 S. 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 6 S. 1 VwGO über den Wortlaut hinaus auszuweiten?

Genau, so ist das!

Ob neben den in § 80a Abs. 3 S. 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 6 S. 1 VwGO geregelten Fällen ein Antrag bei der Behörde erforderlich ist, ist umstritten. Eine Konstellation, in der eine Abgabe- oder Kostensache (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO) Drittwirkung entfaltet, ist kaum vorstellbar. Wenn man den Anwendungsbereich des § 80a Abs. 3 S. 2 VwGO auf diese Fälle beschränken würde, käme die Norm praktisch nie zur Anwendung. Eine Ansicht versteht § 80a Abs. 3 S. 2 VwGO daher als Rechtsfolgenverweisung und verlangt bei § 80a Abs. 3 VwGO stets ein (erfolglos) durchgeführtes Vorverfahren. Nach dieser Ansicht wäre der Eilantrag des N unzulässig. Dem Eilantrag fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, da N sich vorher an die Behörde hätte wenden müssen.

5. Spricht die Garantie effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG) ebenfalls dafür, den Anwendungsbereich des § 80a Abs. 3 S. 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 6 S. 1 VwGO über den Wortlaut hinaus auszuweiten?

Nein, das trifft nicht zu!

Die Rechtsweggarantie umfasst die Effektivität des gerichtlichen Rechtsschutzes. Im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes bedeutet das, dass gerichtlicher (Eil-)Rechtsschutz nicht zu spät kommen darf, wenn sonst für den Bürger schwere, unzumutbare Nachteile entstehen. Wenn in besonders eilbedürftigen Fällen ein vorheriges Verfahren bei der Behörde erforderlich ist, kann der gerichtliche Rechtsschutz zu spät kommen, was im Einzelfall mit Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG problematisch sein kann. Die in § 80a Abs. 3 S. 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 6 S. 2 VwGO geregelten Ausnahmen greifen hier oft nicht. Insbesondere kann (wie in unserem Fall) der Beginn der Bauarbeiten nicht als „Vollstreckung“ i.S.v. § 80 Abs. 6 S. 2 Nr. 2 VwGO verstanden werden.

6. Bei der Auslegung des § 80a Abs. 3 S. 2 VwGO ist auch dessen Entstehungsgeschichte einzubeziehen.

Ja!

§ 80a VwGO wurde als Teil des 4. VwGOÄndG (VwGO-Änderungsgesetz) eingefügt. In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 11/7030, 25) heißt es, dass „eine Ausdehnung der Regelung [§ 80 Abs. 6 S. 1 VwGO] „über den Bereich der Abgabenangelegenheiten hinaus nicht in Betracht kommt“. Begründet wird dies mit der „besonderen Eilbedürftigkeit“, die der Gesetzgeber in den anderen Fällen (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 – 4 VwGO) sieht. Daher handelt es sich nach h.M. bei der Verweisung § 80a Abs. 3 S. 2 VwGO auch auf § 80 Abs. 6 VwGO um ein Redaktionsversehen. § 80a Abs. 3 S. 2 VwGO ist nach der h.M. eine Rechtsgrundverweisung, mit der Folge, dass nur in den Fällen des § 80 Abs. 6 VwGO ein vorheriger Antrag bei der Behörde nötig ist. Somit fehlt es im Ergebnis nicht am Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers, wenn dieser keinen entsprechenden Antrag bei der Behörde gestellt hat. Du musst (und solltest) den Streit in der Klausur nicht so ausführlich führen. Es reicht, wenn Du den Streit kurz nennst und mit ein, zwei knappen Argumenten der h.M. folgst.
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