Öffentliches Recht

VwGO

Vorläufiger Rechtsschutz (§§ 80, 80a VwGO)

(Keine) Einlegung der Anfechtungsklage in der Hauptsache?

(Keine) Einlegung der Anfechtungsklage in der Hauptsache?

22. Februar 2025

6 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Behörde B ordnet an, dass Restaurantbetreiberin G ihr Restaurant schließen muss. B erklärt den Bescheid für sofort vollziehbar und gibt ihn am 01.03. bekannt. Am 05.03. stellt G stellt beim Gericht einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, vergisst aber, Anfechtungsklage zu erheben.

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Einordnung des Falls

(Keine) Einlegung der Anfechtungsklage in der Hauptsache?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Statthaft ist vorliegend ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 VwGO.

Ja, in der Tat!

Da B gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung angeordnet hat, ist ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 VwGO statthaft.
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2. Konnte G ihren Eilantrag vor Erhebung der Anfechtungsklage einlegen (§ 80 Abs. 5 S. 2 VwGO)?

Ja!

§ 80 Abs. 5 S. 2 VwGO erlaubt es dem Antragsteller ausdrücklich, den Eilantrag bereits vor Erhebung der Anfechtungsklage zu stellen. Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, wann der Antragsteller die Anfechtungsklage spätestens zu stellen hat. Diese Frage ist umstritten. § 80 Abs. 5 S. 2 VwGO trifft hierzu keine Regelung. Diese Problematik sprichst Du in der Klausur i.R.d. Rechtsschutzbedürfnisses an.

3. Am 15.03. will das Gericht die Entscheidung im Eilverfahren treffen. Ist es unproblematisch, dass G zum diesem Zeitpunkt noch keine Anfechtungsklage erhoben hat?

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach dem Grundsatz des § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO entfalten Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Wenn kraft Gesetzes oder behördlicher Anordnung die aufschiebende Wirkung entfällt, kann das Gericht diese nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO anordnen bzw. wiederherstellen. Das ist aber denklogisch nur möglich, wenn bereits ein Rechtsbehelf in der Hauptsache existiert, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet bzw. wiederhergestellt werden könnte. Wenn weder Widerspruch noch Anfechtungsklage erhoben wurde, liefe die Anordnung des Suspensiveffekts ins Leere, da es keinen Anknüpfungspunkt für die aufschiebende Wirkung gibt. Mit diesem „Substrat“-Argument kannst Du in der Klausur das Rechtsschutzbedürfnis ablehnen. In der Praxis würde das Gericht in der Regel dem Antragsteller einen entsprechenden Hinweis (§ 86 Abs. 3 VwGO) geben.

4. Müsste G spätestens zum Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung die Anfechtungsklage erheben, um den systematischen Zusammenhang zwischen Anfechtungsklage und aufschiebender Wirkung zu wahren?

Ja, in der Tat!

Existiert kein Rechtsbehelf, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet bzw. wiederhergestellt werden könnte, liefe die gerichtliche Eilentscheidung ins Leere. Um diesen systematischen Bruch zu vermeiden, verlangt die h.M., dass der Betroffene spätestens im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung den Rechtsbehelf in der Hauptsache eingelegt hat. Nur dann existiert ein Rechtsbehelf, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet bzw. wiederhergestellt werden kann. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (15.03.) hat G noch keine Anfechtungsklage erhoben. Nach der h.M. wäre Gs Antrag mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig.

5. Das Gericht will die Eilentscheidung am 15.03. treffen. Führt das Erfordernis der h.M. dazu, dass sich Klagefrist (§ 74 Abs. 1 S. 2 VwGO) der G verkürzt?

Ja!

Nach § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO kann die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden. B hat den Bescheid dem G am 01.03. bekannt gegeben. Ihre Klagefrist läuft damit gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO eigentlich bis zum 01.04. Verlangt man, dass G spätestens zum Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung die Anfechtungsklage erheben muss (h.M.), verkürzt sich die gesetzliche vorgesehene Frist um die Hälfte. Dieses Problem zeigt sich besonders bei einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung. Dann gilt gemäß § 58 Abs. 2 VwGO eine Jahresfrist. Mit der h.M. würde sich die Klagefrist der G von einem Jahr auf zwei Wochen verkürzen.

6. Mit der h.M. ist Gs Klagefrist verkürzt. Könnte man dies als Grund anführen, um von der h.M. abzuweichen?

Genau, so ist das!

Die Rechtsbehelfsfristen für Widerspruch (§ 70 Abs. 1 VwGO) und Anfechtungsklage (§ 74 Abs. 1 VwGO) betragen jeweils einen Monat. Wenn die gerichtliche Eilentscheidung bereits vor Ablauf der Monatsfrist ergeht und man mit der h.M. fordert, dass der Hauptsacherechtsbehelf spätestens zum Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung erhoben werden muss, verkürzt sich für den Betroffenen die Frist für die Erhebung von Widerspruch oder Anfechtungsklage. Eine Ansicht hält es dafür für zulässig, dass der Rechtsbehelf in der Hauptsache nach der gerichtlichen Eilentscheidung erhoben wird. Es gelten aber weiterhin die allgemeinen Fristen. Zudem kann der Betroffene nicht sicher wissen, wann das Gericht die Eilentscheidung treffen wird, was zu Rechtsunsicherheit für ihn führt. Nach dieser Ansicht kann G die Anfechtungsklage auch nach der gerichtlichen Eilentscheidung am 15.03. erheben.

7. Erscheint die Verkürzung der Rechtsbehelfsfristen mit Blick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG) problematisch?

Ja, in der Tat!

Die Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG) umfasst auch den Zugang zu vorläufigem Rechtsschutz. Der Zugang zu gerichtlichen Verfahren kann durch formelle Voraussetzungen (z.B. Form und Frist) eingeschränkt werden, darf aber nicht in „unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert” (BVerfGE 10, 264, 268) werden. Die Antragsfrist der G wird durch die h.M. um die Häfte verkürzt. Es ließe sich durchaus argumentieren, dass G der Zugang zum Gericht in „unzumutbarer” Weise erschwert wird. Da die Erfolgsaussichten des Eilantrags jedoch maßgeblich von den Erfolgsaussichten der Hauptsache abhängen, muss sich der Antragsteller ohnehin mit den Erfolgsaussichten in der Hauptsache befassen, wenn er seinen Antrag stellt. Es ist keine unzumutbare Belastung, für G zusätzlich die Anfechtungsklage bis zum 15.03. zu erheben.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JoWo

JoWo

6.2.2025, 10:20:07

Zweimal „stellt“ …Am 05.03. stellt G stellt beim Gericht einen Antrag auf…

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

6.2.2025, 17:13:11

Hallo JoWo, vielen Dank für Deinen Hinweis! Wir haben den Fehler auf unsere Liste gesetzt und werden ihn im nächsten Korrekturgang beheben. Deine Aufmerksamkeit hilft uns, die Qualität unserer Inhalte hochzuhalten. Wir werden diesen Thread als erledigt markieren, sobald wir den Fehler behoben haben. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team

JoWo

JoWo

6.2.2025, 10:45:49

Liebes JF-Team, Ich glaube, dass da ein „des“ fehlt. Erscheint die Verkürzung der Rechtsbehelfsfristen mit Blick auf die Garantie “des” effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG) problematisch? Danke :)

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

6.2.2025, 17:13:21

Hallo JoWo, vielen Dank für Deinen Hinweis! Wir haben den Fehler auf unsere Liste gesetzt und werden ihn im nächsten Korrekturgang beheben. Deine Aufmerksamkeit hilft uns, die Qualität unserer Inhalte hochzuhalten. Wir werden diesen Thread als erledigt markieren, sobald wir den Fehler behoben haben. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team


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