+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T bucht 2019 zu einem nicht stornierbaren Tarif ein Hotelzimmer bei H für die Zeit vom 14.05.-16.05.2020. Weil die Regierung am 06.05.2020 ankündigt, das Beherbergungsverbot im Rahmen der COVID-Pandemie drei Wochen zu verlängern, „storniert“ T per Mail die Buchung und verlangt das gezahlte Entgelt zurück.
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Einordnung des Falls
Hotelkosten bei Beherbergungsverbot wegen Corona-Pandemie (BGH, Urteil vom 6. März 2024 - VIII ZR 363/21)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T und H haben einen Beherbergungsvertrag geschlossen.
Ja, in der Tat!
Den Vertrag zwischen einem Beherbergungsbetrieb und einem Gast nennt man auch Beherbergungsvertrag. Dieser ist ein gemischter Vertrag, der Komponenten eines Miet-, Kauf-, Verwahrungs-, Dienst- und Werkvertrags enthalten kann. Da die Beherbergung den Kern des Vertrags bildet, ist das Mietrecht als dominierende Komponente anwendbar.
Durch Ts Buchungsprozess im Jahr 2019 ist davon auszugehen, dass ein wirksamer Beherbergungsvertrag zwischen T und H zustande gekommen ist. H ist verpflichtet, T ihr gebuchtes Hotelzimmer während der vereinbarten Mietzeit zum Gebrauch zu überlassen (§ 535 Abs. 1 S. 1 BGB). T muss H dafür ein Beherbergungsentgelt zahlen.
Wenn der Sachverhalt keine genauen Angaben zum Vertragsschluss enthält, so liegt hier kein Schwerpunkt der Bearbeitung. Es reicht in diesen Fällen, wenn Du kurz feststellst, dass (und welcher) Vertrag zwischen den Parteien zustande gekommen ist.
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2. Das vorliegend anwendbare Mietrecht räumt in § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB dem Mieter ein Recht zur fristlosen Kündigung ein. Ist deswegen Ts Rücktritt nach den Regelungen des allgemeinen Leistungsstörungsrechts (§ 346 Abs. 1 BGB) ausgeschlossen?
Nein!
In bestimmten Fällen musst Du Dich vor der eigentlichen Prüfung einer Norm zunächst fragen, ob die Regelungen überhaupt anwendbar sind. Diesen Punkt musst Du nur ansprechen, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass dies nicht der Fall sein könnte, insbesondere, wenn speziellere Normen in Betracht kommen. § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB räumt dem Mieter bei Nichtgewährung des vertragsgemäßen Gebrauchs der Mietsache das Recht zur fristlosen Kündigung ein. BGH: Dadurch sei die Anwendung der Vorschriften des allgemeinen Leistungsstörungsrechts nicht ausgeschlossen. Diese Kündigungsmöglichkeit - die bereits vor Vollzug des Mietvertrags bestehe - solle die Rechte des Mieters gegenüber den allgemeinen Vorschriften erweitern. Sie ersetze das Rücktrittsrecht des Mieters jedenfalls dann nicht, wenn der Vertrag noch nicht in Vollzug gesetzt und die Mietsache noch nicht überlassen wurde (RdNr. 23f.). T hat die E-Mail an H vor Beginn des Vertragszeitraums gesendet. H hatte das Hotelzimmer zu diesem Zeitpunkt T noch nicht überlassen. T steht damit der Rücktritt nach dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht offen.
3. Für die Rücktrittserklärung reicht es aus, wenn T zum Ausdruck gebracht hat, sie wolle nicht länger am Vertrag festhalten. Hat T danach den den Rücktritt vom Beherbergungsvertrag erklärt?
Genau, so ist das!
Der Rücktritt erfordert nach § 349 BGB eine Erklärung gegenüber dem anderen Teil (= Rücktrittserklärung). Hierbei handelt es sich um eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärungen, die nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) auszulegen ist.
Ausdrücklich hat T den Rücktritt nicht erklärt. Indem sie aber in ihrer Mail vom 06.05.2020 das im Voraus gezahlte Beherbergungsentgelt zurückforderte, hat sie aber konkludent zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht mehr an dem Vertrag festhalten und diesen rückabwickeln wolle. Alles zum Rücktritt findest Du hier in unserem Kurs zum allgemeinen Schuldrecht. 4. Zudem müsste ein Rücktrittsgrund gegeben sein. Sieht § 326 Abs. 5 BGB einen solchen für den Fall der Unmöglichkeit der Leistung vor?
Ja, in der Tat!
Wenn der Schuldner nach § 275 Abs. 1-3 BGB nicht zu leisten braucht, entfällt gemäß § 326 Abs. 1 BGB sein Anspruch auf die Gegenleistung. In der Folge besteht ein Schuldverhältnis ohne Pflicht zu Leistung und Gegenleistung. Um dieses Schuldverhältnis rückabzuwickeln, sieht § 326 Abs. 5 BGB ein Rücktrittsrecht vor: Braucht der Schuldner nach § 275 Abs. 1-3 BGB nicht zu leisten, kann der Gläubiger zurücktreten. Auf den Rücktritt findet § 323 BGB entsprechende Anwendung, wobei eine Fristsetzung entbehrlich ist. Die grundsätzlich nach § 323 Abs. 1 BGB erforderliche Fristsetzung soll ermöglichen, dass der Schuldner zunächst die Chance bekommt, die Leistung doch noch vertragsgemäß zu erbringen. Ist die Leistung jedoch unmöglich, so kann dieser Zweck der Fristsetzung von vornherein nicht erreicht werden. Es wäre daher sinnlos, eine Fristsetzung vom Gläubiger zu verlangen.
5. Durch das dreiwöchige Beherbergungsverbot ist die Leistungserbringung von H zumindest vorübergehend rechtlich unmöglich. Ist die vorübergehende Unmöglichkeit der Leistungserbringung ausdrücklich in § 275 Abs. 1 BGB geregelt?
Nein!
Bei der vorübergehenden Unmöglichkeit handelt es sich um einen gesetzlich nicht geregelten Leistungsstörungstyp. Denn eine Unmöglichkeit i.S.d. § 275 Abs. 1 BGB liegt nur vor, wenn der Leistungspflicht ein dauerhaftes und unüberwindbares Hindernis entgegensteht. Eine zeitweilige Nichterbringbarkeit der Leistung führt nicht direkt zum Ausschluss der Leistungspflicht. Eine rechtliche Unmöglichkeit liegt vor, wenn ein geschuldeter Erfolg aus Rechtsgründen nicht herbeigeführt werden kann oder darf.
Auf den geschlossenen Beherbergungsvertrag findet Mietrecht Anwendung. H wäre es auch tatsächlich möglich, T ihr gebuchtes Hotelzimmer während der vereinbarten Zeit zum Gebrauch zu überlassen (§ 535 Abs. 1 S. 1 BGB). Allerdings ist dies H aufgrund des behördlichen Beherbergungsverbots zeitweilig nicht gestattet und somit vorübergehend rechtlich unmöglich. Alles zur Unmöglichkeit nach § 275 BGB kannst Du hier wiederholen. 6. § 275 Abs. 1 BGB regelt, dass ein zeitweiliges Erfüllungshindernis in jedem Fall mit einem dauerhaften Erfüllungshindernis gleichzusetzen ist.
Nein, das ist nicht der Fall!
Unmöglichkeit i.S.v. § 275 Abs. 1 BGB umfasst zunächst nur die Fälle, in denen der Leistungspflicht ein dauerhaftes und unüberwindbares Hindernis entgegensteht. Jedoch ist nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ein zeitweiliges Erfüllungshindernis einem dauernden dann gleichzuachten, wenn durch das Hindernis die Erreichung des Vertragszwecks in Frage gestellt ist und der einen oder anderen Partei bei billiger Abwägung der beiderseitigen Belange nicht mehr zugemutet werden könnte, die Leistung dann noch zu fordern oder zu erbringen (RdNr. 32).
Ist das Beherbergungsverbot nach diesen Voraussetzungen mit einer dauernden Unmöglichkeit gleichzusetzen, so könnte dahinstehen, ob ein absolutes Fixgeschäft vorliegt. Bei einem absoluten Fixgeschäft ist die Einhaltung der Leistungszeit derart wichtig ist, dass die Leistung nur zu einem bestimmten Zeitpunkt, danach aber überhaupt nicht mehr erbracht werden kann. Die Nichteinhaltung der Leistungszeit würde also die Unmöglichkeit der Leistung begründen. Das absolute Fixgeschäft kannst Du in diesem Fall wiederholen. 7. In Ts Fall ist durch das Beherbergungsverbot die Erreichung des Vertragszwecks in Frage gestellt und T kann nicht zugemutet werden, an dem Vertrag festzuhalten. Liegen damit die vom BGH aufgestellten Voraussetzungen einer als dauernd zu behandelnden Unmöglichkeit vor?
Ja, in der Tat!
Ein zeitweiliges Erfüllungshindernis ist nach Rspr. des BGH einem dauernden dann gleichzuachten, wenn durch das Hindernis die Erreichung des Vertragszwecks in Frage gestellt ist und der einen oder anderen Partei bei billiger Abwägung der beiderseitigen Belange nicht mehr zugemutet werden könnte, die Leistung dann noch zu fordern oder zu erbringen.
BGH: T hat das Zimmer für einen kalendermäßig konkret bestimmten Zeitraum gebucht und habe so zum Ausdruck gebracht, dass sich ihr Interesse an der Nutzung auf diese Leistungszeit bezieht. Zudem sei es für T nicht zumutbar gewesen, weiterhin an den Beherbergungsvertrag gebunden zu bleiben, weil aufgrund der besonderen Situation der weltweiten Pandemie nicht absehbar war, ob und wann die Überlassung von Hotelzimmern an Gäste wieder erlaubt sein würde (RdNr. 33ff.) Somit ist das Erfüllungshindernis mit einem dauerhaften Hindernis i.S.v. § 275 Abs. 1 BGB gleichzusetzen.
Die Frage, ob ein absolutes Fixgeschäft vorliegt, ist somit im vorliegenden Fall unerheblich. 8. Der Rücktritt ist ausgeschlossen, wenn für das Leistungshindernis allein oder weit überliegend verantwortlich ist (§ 323 Abs. 6 Alt. 1 BGB). Hat T danach durch die Wahl des nicht stornierbaren Tarifs das Risiko der Unmöglichkeit der Beherbergung auf sich genommen?
Nein!
Nach § 323 Abs. 6 Alt. 1 BGB ist der Rücktritt ausgeschlossen, wenn der Gläubiger für den Umstand, der ihn zum Rücktritt berechtigen würde, allein oder weit überwiegend verantwortlich ist. Eine gleiche Verantwortlichkeit oder ein leichtes Überwiegen der Verantwortlichkeit des Gläubigers genügt nicht. Die Mitverantwortlichkeit muss vielmehr ein solches Gewicht haben, dass ein etwaiger Schadensersatzanspruch nach § 254 BGB vollständig ausgeschlossen wäre.
Aus der Wahl des nicht stornierbaren Tarifs kann man schließen, dass der T nicht ein über die gesetzlichen Regelungen hinausgehendes Rücktrittsrecht „ohne Angabe von Gründen“ eingeräumt werden sollte. Anhaltspunkte dafür, dass die T dadurch das Risiko einer aufgrund behördlicher Beschränkungen wie dem Beherbergungsverbot nicht möglichen Übergabe des gebuchten Hotelzimmers hätte übernehmen wollen, gab es jedoch keine (RdNr. 52).
9. Eine Verantwortlichkeit der T für das touristische Beherbergungsverbot ergibt sich aber aus § 537 Abs. 1 S. 1 BGB.
Nein, das ist nicht der Fall!
Eine Verantwortlichkeit des Gläubigers im Sinne des § 323 Abs. 6 Alt. 1 BGB kann sich auch aus einer besonderen Gefahrtragungsregelung ergeben. Eine solche ist nach überwiegender Ansicht § 537 Abs. 1 S. 1 BGB.
Nach § 537 Abs. 1 S. 1 BGB trägt der Mieter das Verwendungsrisiko der Mietsache: Kann oder will er die Mietsache aus Gründen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen, nicht nutzen, muss er trotzdem die vereinbarte Miete bezahlen.
Der BGH ließ die Frage, ob § 537 Abs. 1 S. 1 BGB eine solche Gefahrtragungsregel ist, offen. Das Beherbergungsverbot ist nämlich schon kein in der Person des Reisenden - vorliegend der T - liegender Grund. Es wurde zur Bekämpfung der COVID-10-Pandemie nach epidemiologischen Gesichtspunkten ausgewählt und knüpfte weder an die Person des einzelnen Gastes noch an solche des Mietobjekts an (RdNr. 58ff.).
10. § 323 Abs. 1 setzt grundsätzlich eine fällige Leistungspflicht voraus. Ist der Rücktritt immer ausgeschlossen, wenn es an dieser Fälligkeit fehlt (vgl. § 323 Abs. 4 BGB)?
Nein, das trifft nicht zu!
Grundsätzlich setzt § 323 Abs. 1 BGB eine fällige Leistungspflicht voraus. Ausnahmsweise kann der Gläubiger aber schon vor Fälligkeit zurücktreten (§ 323 Abs. 4 BGB), wenn offensichtlich ist, dass die Voraussetzungen des Rücktritts eintreten werden. Dazu muss mit, an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass der Schuldner seine Leistung nicht rechtzeitig erbringen und auch nicht innerhalb einer angemessenen Nachfrist nachholen kann (= antizipierter Vertragsbruch) (vgl. RdNr. 43f.).
Hs Leistungspflicht war zum Zeitpunkt von Ts Rücktritt zwar noch nicht fällig. Angesichts der Ankündigung der Landesregierung, dass bestehende behördliche Beherbergungsverbot zu verlängern, was zeitlich auch Ts Reise betrifft, war aber beiden Parteien klar, dass die H ihre am 14.05.2020 fällig werdende Pflicht zur Bereitstellung des Zimmers nicht werde erfüllen dürfen. T konnte deshalb bereits vor Fälligkeit zurücktreten (RdNr. 43ff.).
11. T steht ein Anspruch auf Rückzahlung des von ihr bereits gezahlten Beherbergungsentgelts zu (§§ 346 Abs. 1, 326 Abs. 5, 323 Abs. 4 BGB).
Ja!
T ist mit ihrer Mail wirksam nach §§ 326 Abs. 5, 323 Abs. 4 BGB vom Beherbergungsvertrag zurückgetreten. Sie hat also gemäß § 346 Abs. 1 BGB einen Anspruch gegen H auf Rückzahlung des von ihr bereits gezahlten Beherbergungsentgelts.
BGH: Die H kann dem Rückabwicklungsbegehren der Klägerin auch nicht unter Berufung auf die Bestimmung zur Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB) entgegenhalten, der Vertrag sei dahingehend anzupassen, dass der Reisezeitraum verschoben wird. Denn die Folgen der vorliegend in Rede stehenden Vertragsstörung sind abschließend in den Vorschriften über die Unmöglichkeit der Leistung geregelt (RdNr. 64f.)