Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2022

Geld zurück bei geschlossenen Fitnessstudios

Geld zurück bei geschlossenen Fitnessstudios

9. Mai 2023

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs-Illustration zum Fall zu Geld zurück bei geschlossenen Fitnessstudios (BGH, Urt. v. 04.05.2022 – XII ZR 64/21): Kunde M steht vor dem wegen Covid-19 geschlossenen Fitnessstudio und denkt "Deswegen soll ich zahlen?".

M schließt mit V einen Jahresvertrag über eine Fitnessstudiomitgliedschaft ab dem 01.12.19. Während der coronabedingten Schließung (16.3.20-4.6.20) zieht V die Beiträge weiter ein. M kündigt und fordert Rückzahlung. Eine der Schließungszeit entsprechende Vertragsverlängerung lehnt M ab.

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Einordnung des Falls

Geld zurück bei geschlossenen Fitnessstudios

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Liegt bei einem Vertrag über die Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio in der Regel ein typengemischter Vertrag vor (§§ 535ff., 611ff. BGB)?

Genau, so ist das!

Typengemischte Verträgen enthalten Elemente von verschiedenen Vertragstypen. Sie werden grundsätzlich den Regelungen unterstellt, in deren Bereich der Schwerpunkt des Vertrages liegt (BGH, NJW-RR 2017, 622). Ein Fitnessstudio-Vertrag kann dienstvertragliche Elemente enthalten, wenn z.B. Kurse durch Fitnesstrainer angeboten werden. Der Schwerpunkt liegt indes in der Regel auf der Gewährung des Gebrauchs der Räumlichkeiten und Fitnessgeräte (=mietvertragliches Element). Unabhängig von der vertraglichen Einordnung liegt jedenfalls ein Dauerschuldverhältnis vor, bei dem dem Kunden ein Recht zur außerordentlichen Kündigung zusteht (§§ 626 Abs. 1, 543 Abs. 1, 314 Abs. 1 BGB).
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2. Kann M die im Schließungszeitraum gezahlten Monatsbeiträge schon aufgrund der als wirksam anzusehenden Kündigung zurückverlangen?

Nein, das trifft nicht zu!

Durch eine Kündigung wird das Vertragsverhältnis mit ex-nunc-Wirkung aufgelöst. Zu einer Rückabwicklung kommt es nicht. Bei in Vollzug gesetzten Dauerschuldverhältnissen verdrängt die Kündigung den Rücktritt (Rechtsgedanke §§ 313 Abs. 3 S. 2, 323 Abs. 1 S. 1 BGB). Eine Rückabwicklung auch hinsichtlich der störungsfrei erbrachten Leistungen ist i.d.R. nicht interessengerecht. Ausnahmsweise besteht ein Rücktrittsrecht, wenn eine vollständige Rückabwicklung unschwer möglich und nach Interessenlage sachgerecht ist (BGH, NJW 2002, 1870).

3. Könnte M ein Rückzahlungsanspruch zustehen, wenn die Leistungspflicht des V aus § 535 Abs. 1 BGB während der coronabedingten Schließung unmöglich geworden ist (§§ 326 Abs. 1 S. 1, Abs. 4, 346 Abs. 1 BGB)?

Ja!

Der Rückzahlungsanspruch setzt voraus: (1) Gegenseitiger Vertrag, (2) Bewirken der Gegenleistung, (3) Untergang des ursprünglich entstandenen Anspruchs auf die bewirkte Gegenleistung (§ 326 Abs. 1 BGB), (4) Keine Anspruchserhaltung (z.B. § 326 Abs. 2 BGB). Auf den ersten Blick scheint der Anspruch nach erklärtem Rücktritt (§§ 326 Abs. 5, 346 Abs. 1 BGB) neben § 326 Abs. 4 BGB überflüssig zu sein. Bedeutsam ist die Rücktrittsmöglichkeit jedoch bei Teilleistungen, wenn der Gläubiger an der noch möglichen Restleistung kein Interesse hat (beachte aber § 323 Abs. 5 BGB).

4. War V die Erbringung seiner Leistungspflicht während der coronabedingten Schließung unmöglich (§ 275 Abs. 1 BGB), sodass sein Mietzinsanspruch entfiel (§ 326 Abs. 1 S. 1 BGB)?

Genau, so ist das!

Unmöglichkeit ist die dauerhafte Nichterbringbarkeit des Leistungserfolges durch den Schuldner. Rechtliche Unmöglichkeit liegt vor, wenn ein geschuldeter Erfolg aus Rechtsgründen nicht herbeigeführt werden kann oder darf. Während der Schließungsanordnung zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie konnte V dem M die vertragsgemäße Nutzung des Fitnessstudios nicht gewähren. Die Leistungspflicht aus § 535 Abs. 1 BGB war V rechtlich unmöglich. Sein Anspruch aus § 535 Abs. 2 BGB entfiel daher (§ 326 Abs. 1 S. 1 BGB).

5. Lag, da das Fitnessstudio Anfang Juni wieder öffnen durfte, jedoch nur ein Fall „vorübergehender Unmöglichkeit“ vor?

Nein, das trifft nicht zu!

In diesem Fall wäre die Leistungspflicht analog § 275 Abs. 1 BGB vorübergehend undurchsetzbar. Die vorübergehende ist aber dauernder Unmöglichkeit gleichzustellen, wenn ein weiteres Zuwarten dem Gläubiger wegen Vertragszweckgefährdung unzumutbar ist. Dies ist bei absoluten Fixgeschäften der Fall. Zweck eines Fitnessstudios ist die regelmäßige sportliche Betätigung, sodass gerade die fortlaufende Öffnung bedeutsam ist. Für den Schließungszeitraum ist die Nutzungsgewährung wegen Zeitablaufs daher nicht nachholbar. Sie war nicht bloß vorübergehend unmöglich.

6. Kann V M jedoch einen Anspruch auf Vertragsanpassung dahingehend entgegenhalten, dass die Vertragslaufzeit sich um die Zeit der Schließung verlängert (§ 313 Abs. 1 BGB)?

Nein!

Dafür müsste die Regelungen zur Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB) anwendbar sein. Als Ausnahme vom Grundsatz pacta sunt servanda ist § 313 BGB subsidiär. Ergibt sich aus (ergänzender) Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) oder aus Gesetz die Folge einer Vertragsstörung, so ist kein Raum für die Anpassung vertraglicher Verpflichtungen. Die vorliegende Vertragsstörung ist bereits durch die Vorschriften über die Unmöglichkeit der Leistung (§§ 275, 326 BGB) geregelt. § 313 BGB ist nicht anwendbar.

7. Scheidet ein Anspruch des V auf Vertragsanpassung (§ 313 Abs. 1 BGB) auch deshalb aus, weil mit Art. 240 § 5 Abs. 2 EGBGB eine speziellere Vorschrift besteht?

Genau, so ist das!

§ 313 Abs. 1 BGB ist als Ausnahmevorschrift dann nicht anwendbar, wenn der Gesetzgeber das Risiko einer Geschäftsgrundlagenstörung erkannt und gesetzlich geregelt hat. Um Betreiber vor einer womöglich existenzgefährdenden Rückzahlungspflicht wegen coronabedingter Schließungen zu schützen, wurde mit Art. 240 § 5 Abs. 2 EGBGB die „Gutscheinlösung“ eingeführt. Diese schließt aber zugleich eine anderweitige Vertragsanpassung - wie hier von V begehrt - aus. M hätte sich nur auf einen Wertgutschein einlassen müssen. In diesem Fall hätte M das Geld erst zurückfordern können, wenn er den Gutschein bis zum 31.12.2021 nicht eingelöst hat (Art. 240 § 5 Abs. 5 EGBGB).

8. Steht damit M ein Anspruch auf Rückzahlung der während des Schließungszeitraums eingezogenen Beiträge zu (§§ 326 Abs. 1 S. 1, Abs. 4, 346 Abs. 1 BGB)?

Ja, in der Tat!

Dies setzt voraus: (1) Gegenseitiger Vertrag, (2) Bewirken der Gegenleistung, (3) Untergang des ursprünglich entstandenen Anspruchs auf die bewirkte Gegenleistung (§ 326 Abs. 1 BGB), (4) Keine Anspruchserhaltung (z.B. § 326 Abs. 2 BGB). Der Fitnessstudiovertrag ist ein gegenseitiger Vertrag. M hat im Schließungszeitraum die Miete gezahlt. Da V die Öffnung des Fitnessstudios vom 16.3.20 bis 4.6.20 rechtlich unmöglich war, entfiel sein Anspruch aus § 535 Abs. 2 BGB. M kann damit den auf den Schließungszeitraum fallenden Mietanteil zurückverlangen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

LAR

lars485

14.5.2022, 22:58:33

Bei Dauerschuldverhältnissen tritt ja wie anfangs gezeigt grundsätzlich die Kündigung an die Stelle des Rücktritts. Wie genau leite ich mir dann dogmatisch her, dass sich der Rückzahlungsananspruch aus dem Rücktritt mit

Unmöglichkeit

ergibt, statt der Kündigung? Liegt hier bereits einer der Ausnahmefälle vor, wo es sachgerecht ist bei einem DauerSV zurückzutreten?

NJGHD

NJGHD

15.5.2022, 17:00:39

Ergibt sich der Anspruch nicht aus 326 iv, d.h. ohne rucktritt? So lese ich die lösung.

LAR

lars485

15.5.2022, 17:14:05

mit 346 i bgb (rücktritt)

EL

el_bollo

15.5.2022, 20:00:23

Aber 346 I BGB wird nur genannt, weil

326 IV BGB

auf diesen verweist, nicht weil der Rücktritt erklärt wurde.

LAR

lars485

15.5.2022, 22:24:17

aber müssen dann nicht die voraussetzungen des 346 vorliegen? @[el_bollo](166943) also ich zweifel nicht die richtigkeit an, frage mich vielmehr wie ich das in der klausur darstelle.

EL

el_bollo

16.5.2022, 06:26:01

Nein, es handelt sich um eine Rechtsfolgen- nicht um eine Rechtsgrundverweisung. Dass der Rücktritt gerade nicht erklärt werden muss, zeigt auch die Tatsache, dass

326 IV BGB

nicht auf 349 BGB verweist.

LAR

lars485

16.5.2022, 11:34:47

ahhhh, got it! danke Dir? @[el_bollo](166943)

LAR

lars485

16.5.2022, 11:35:18

Dir!*

CR7

CR7

25.6.2022, 09:42:32

Zurzeit gibt es viele Studios, die eine Preiserhöhung schon dadurch durchsetzen wollen, dass die Mitglieder das Drehkreuz des Studios passieren. Daher fände ich es richtig cool, wenn ihr diesen Fall in den BGB-AT Kurs zur Willenserklärung hinzufügen könntet. 😀🙏🏻

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

30.6.2022, 12:14:59

Hallo A.F, hierzu haben wir in der Tat schon Fälle erstellt. Diese findest du über das Suchfeld bzw. Über folgenden Link: https://applink.jurafuchs.de/2rLbN5olhrb Beste Grüße, Lukas

IS

IsiRider

17.5.2023, 10:51:56

Auf welchen Zeitpunkt der Vertragsstörung stellt man ab? Erster Tag, letzter Tag? Ex ante, ex post? Es konnte ja keiner wissen, wir lange der Zustand andauern würde. Die Gutscheinlösung finde ich für M aber nicht interessengerecht. Wie gestaltet sich in der Praxis die Auszahlung bei Nichteinlösung bis zum Ende des Jahres? Ich kann mir vorstellen, dass sich Fitnessstudios da nicht drauf einlassen wollten.

ALE

Aleks_is_Y

27.5.2024, 10:02:13

Der Fall ist zwar schon etwas älter, aber für mich wird nicht ganz deutlich, warum

§ 313 BGB

hier keine Anwendung findet. Ich finde die Erklärung könnte da etwas tiefgehender sein.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

27.5.2024, 16:53:52

Hallo Aleks_is_y, danke für deine Frage! Im Grunde gibt es zwei verschieden Punkte, bei denen

§ 313 BGB

nicht anwendbar ist. Zum einen geht es um die Frage der im Schließungszeitraum trotzdem gezahlten Beiträge. Es liegt ein

gegenseitiger Vertrag

vor, auf den die Vorschrift über

Unmöglichkeit

und Wegfall der Leistungspflicht/Gegenleistung anwendbar sind. Durch die

Unmöglichkeit

der Zuverfügungstellung des Fitnessstudios (

typengemischter Vertrag

) ist auch die Zahlungspflicht des M entfallen. Es handelt sich zwar um von den Parteien unvorhersehbare Umstände, es gibt aber eine gesetzliche Regelung wer das Risiko wie zu tragen hat, sodass eine Vertragsänderung nicht in Betracht kommt. Zum anderen kann sich V aber auch nicht auf eine Vertragsänderung in Form einer Verlängerung des Vertrags um die Schließungszeit berufen und damit letztendlich doch die entsprechenden Monatsbeiträge verlangen, da der Gesetzgeber in Art. 240 Abs. 1 EGBGB eine entsprechende Regelung für den konkreten Fall vorgesehen hat.

§ 313 BGB

greift aber nur, wenn sich die Vertragsumstände derart geändert haben, dass beide Parteien nicht damit gerechnet haben und deshalb auch keine Regelung getroffen wurde und keine gesetzliche Regelung vorliegt. Es muss also eine Lücke in der Risikoverteilung bestehen. Diese besteht nicht, da eine gesetzliche Regelung geschaffen wurde. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

ALE

Aleks_is_Y

27.5.2024, 16:58:45

Super, vielen Dank für deine schnelle Antwort! Direkte Anschlussfrage, die ich eigentlich auch schon ursprünglich stellen wollte: Ich lese jetzt aus deiner Antwort heraus, dass wenn keine gesetzliche Grundlage (Art. 240 EGBGB) geschaffen worden wäre, möglicherweise Raum für

§ 313 BGB

gewesen wäre. Habe ich das richtig verstanden?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

27.5.2024, 17:42:44

Hallo Aleks_is_y, gerne! Es gibt dazu tatsächlich Fälle in der aktuellen Rechtsprechung. Die findest du u.a. hier: https://applink.jurafuchs.de/w3QDk3KyWJb. Dort ist genau aufgedröselt wieso und unter welchen Voraussetzungen es zur Anwendung des

§ 313 BGB

kommt. Auch in diesem Fall geht es um

§ 313 BGB

mit Nachweisen zu weiterer BGH Rechtsprechung in der Thematik. https://applink.jurafuchs.de/WTlCfLUyWJb Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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