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Entscheidungen von 2022

Ersatzpflicht der Vorverkaufsstelle bei pandemiebedingt abgesagtem Konzert

Ersatzpflicht der Vorverkaufsstelle bei pandemiebedingt abgesagtem Konzert

9. Mai 2023

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs-Illustration zum Fall zur Ersatzpflicht der Vorverkaufsstelle bei pandemiebedingt abgesagtem Konzert (BGH, Urt. v. 13.7.2022 – VIII ZR 317/21): Ein Mann kauft im Internet Konzerttickets. Dieses Konzert wird jedoch pandemiebedingt abgesagt. Geld erhält der Mann nicht zurück.

E betreibt eine Ticket-Vorverkaufsstelle und verkauft für verschiedene Veranstalter Tickets. K kauft bei E im Dezember 2019 ein Konzertticket für Oasis, dass er von E auch erhält. Kurz darauf wird das für April 2020 geplante Konzert coronabedingt abgesagt. Veranstalterin V bietet K als Ersatz einen Wertgutschein an. K lehnt ab und verlangt von E Rückzahlung des Ticketkaufpreises.

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Einordnung des Falls

Der BGH hatte zu entscheiden, ob bei einem pandemiebedingt abgesagtem Konzert eine Ersatzpflicht der Vorverkaufsstelle bestehe oder nicht. Der BGH verneinte eine Ersatzpflicht nach § 313 Abs. 1 S. 1 BGB. Das Festhalten am Vertrag sei schon deshalb nicht unzumutbar, weil die Veranstalterin (V) bereit war, für die Absage der Veranstaltung einzustehen. K erhielt als Ersatz für die ausgefallene Veranstaltung einen Wertgutscheine . Für K habe damit eine ihm zumutbare Möglichkeit der vollständigen Entschädigung für den Ausfall der Veranstaltung bestanden. Der Gutschein stellte eine vollständige Kompensation dar, da nach dem 31.12.2021 die Auszahlung verlangt werden konnte (ARt. 240 § 5 Abs. 5 Nr. 2 EGBGB).

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Haben E und K einen Kaufvertrag über das Ticket als Recht geschlossen (§ 453 Abs. 1 BGB)?

Ja, in der Tat!

Ein Kaufvertrag kann nicht nur über Sachen, also körperliche Gegenstände (§ 90 BGB) zustandekommen. Denn die Vorschriften über den Sachkauf finden auch auf den Kauf von Rechten entsprechende Anwendung (§ 453 Abs. 1 S. 1 BGB). E und K haben sich über den Kauf eines Tickets für das Oasis-Konzert geeinigt. Hierdurch kauft K primär das Recht auf Teilnahme an der Veranstaltung und nicht „die Karte“. Das Teilnahmerecht wird durch die Eintrittskarte lediglich verkörpert (kleines Inhaberpapier, § 807 BGB). Wesensmerkmal des kleinen Inhaberpapiers ist, dass jeder, der die Urkunde in den Händen hält, das in ihr verkörperte Recht ausüben kann.
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2. Kann K von dem Kaufvertrag mit E zurücktreten, weil das Konzert abgesagt wurde?

Nein!

Der Rücktritt vom Kaufvertrag (§ 437 Nr. 2, 323, 326 Abs. 5, 346 BGB) setzt u.a. voraus, dass der Kaufgegenstand bei Gefahrübergang (§§ 446f. BGB) mangelhaft (§§ 434f. BGB) war. E hat ihre eigene Leistungspflicht – Übergabe und Übereignung des Tickets – und damit den Kaufvertrag vollständig mangelfrei erfüllt. Die Veranstalterin als Ausstellerin des Tickets war ab dann verpflichtet, die Veranstaltung durchzuführen und K die Teilnahme zu gewähren (§§ 807, 793 Abs. 1 S. 1 BGB). Zum Zeitpunkt des Kaufes gab es noch keine coronabedingte Konzertabsage. Dieser Umstand trat erst nach Gefahrübergang (§ 446 BGB) ein und begründet somit keinen Rücktritt.

3. Haftet E kaufvertraglich nicht für die Konzertabsage?

Genau, so ist das!

E hat ihre Pflichten als Vorverkaufsstelle vollumfänglich erfüllt. Im Zeitpunkt des Gefahrübergangs (Übereignung des Tickets) lag kein Mangel vor; E hat auch im Übrigen nicht schlecht erfüllt. Für das Konzert selbst und dessen Absage ist E nicht verantwortlich, weil sie nur als Kommissionärin (§ 383 HGB) oder Handelsvertreterin (§ 84 HGB) die Tickets im Auftrag des Veranstalters vertreibt, die Veranstaltung aber selbst nicht durchführt.

4. Kann K den Vertrag gegenüber E als Fernabsatzgeschäft widerrufen und Kaufpreisrückzahlung verlangen (§§ 312g Abs. 1, 355 Abs. 1, 3 S. 1, 357 BGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Widerruft ein Verbraucher (§ 13 BGB) wirksam einen Fernabsatzvertrag (§ 312c BGB), hat der Unternehmer (§ 14 BGB) den Kaufpreis zurückzugewähren (§§ 312g Abs. 1, 355 Abs. 1, 3 S. 1, 357 BGB). Ein Widerrufsrecht ist aber ausgeschlossen für Verträge zur Erbringung von Dienstleistungen im Zusammenhang mit Freizeitbetätigungen, die für die Erbringung einen spezifischen Termin vorsehen (§ 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB). BGH: Der Kaufvertrag habe das Zugangsrecht zu einer auf einen bestimmten Zeitpunkt terminierten Freizeitbetätigung - einer Konzertveranstaltung - zum Gegenstand und werde deshalb – auch im Falle des Rechtskaufs – von § 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB erfasst (RdNr. 46).

5. Steht K ein Widerrufsrecht zu, weil er nicht darüber belehrt wurde, dass ein Widerruf ausgeschlossen ist?

Nein!

Der Unternehmer hat den Verbraucher darüber zu informieren, dass ihm nach § 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB ein Widerrufsrecht nicht zusteht (§ 312d Abs. 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB). BGH: Die fehlende Information über ein nicht bestehendes Widerrufsrecht führe aber nicht zum Entstehen eines Widerrufsrechts. Dies widerspräche dem Willen des Gesetzgebers, der für diese spezielle Konstellation ein Widerrufsrecht gerade nicht für angezeigt hielt (RdNr. 47).

6. Kann ein Verbraucher wegen der fehlenden Information einen Anspruch auf Aufhebung des Vertrags gem. §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 249 Abs. 1 BGB haben?

Genau, so ist das!

BGH: Durch die Information solle dem Verbraucher vor Augen geführt werden, dass er – anders als im Regelfall bei Fernabsatzverträgen – den Vertrag nicht widerrufen kann, sondern durch seine Erklärung eine unwiderrufliche Bindung an den Vertrag entsteht. Das Unterlassen einer Information hierüber stelle eine Pflichtverletzung i.S.d. § 280 Abs. 1 BGB dar. Ein Vertragsaufhebungsanspruch (§ 249 Abs. 1 BGB) könne daraus aber nur bei Kausalität der Pflichtverletzung für den (unerwünschten) Vertrag folgen. Der Verbraucher müsse also vortragen, dass er den Rechtskaufvertrag bei zutreffender Belehrung nicht abgeschlossen hätte (RdNr. 48).

7. Wenn die Voraussetzungen der Störung der Geschäftsgrundlage erfüllt sind, ist nicht nur eine Vertragsanpassung, sondern ggf. auch ein Rücktritt vom Vertrag möglich?

Ja, in der Tat!

Nach § 313 Abs. 1 BGB kann eine Vertragsanpassung verlangt werden, wenn sich (1) die Geschäftsgrundlage nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat, (2) die Parteien den Vertrag bei Kenntnis hiervon nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten und (3) einem Teil das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zumutbar ist. § 313 Abs. 3 S. 1 BGB sieht vor, dass statt einer Anpassung auch ein Rücktritt vom Vertrag in Betracht kommt, wenn eine Anpassung nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist.

8. Scheidet § 313 BGB wegen des Vorrangs des Gewährleistungsrechts aus?

Nein!

Die kaufrechtliche Mängelhaftung schließt § 313 BGB grundsätzlich aus. Denn sonst würde die differenzierte Risikoverteilung der §§ 434 ff. BGB durch § 313 BGB unterlaufen. BGH: Ein Vorrang bestehe aber nur, soweit der maßgebliche Umstand (1) überhaupt geeignet ist, entsprechende Mängelansprüche auszulösen und (2) bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorhanden ist (RdNr. 58). Die Erwartung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind keine Eigenschaft des Kaufgegenstands, die Mängelansprüche auslösen könnte. Der Umstand war auch nicht bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorhanden.

9. Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags zwischen E und K geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert (§ 313 Abs. 1 S. 1 BGB)?

Genau, so ist das!

Die Geschäftsgrundlage besteht aus den bei Vertragsschluss bestehenden gemeinsamen Vorstellungen der Parteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf dieser Vorstellung aufbaut. BGH: Beiderseitige Erwartung bei dem Ticketkauf sei gewesen, dass sich bis zum Konzert die grundlegenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen Großveranstaltungen zulässig waren, nicht etwa aufgrund einer Pandemie ändern würden (sog. große Geschäftsgrundlage). Diese Erwartung sei nachträglich schwerwiegend gestört worden, indem hoheitliche Veranstaltungsverbote beschlossen wurden. (RdNr. 62)

10. Bei Kenntnis hätten E und K den Vertrag nicht geschlossen. Ist K ein Festhalten am Vertrag zudem unzumutbar i.S.v. § 313 Abs. 1 BGB?

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Unzumutbarkeit liegt nicht schon bei jeder einschneidenden Veränderung der bei Vertragsabschluss bestehenden oder gemeinsam erwarteten Verhältnisse vor. Hierfür ist vielmehr erforderlich, dass ein Festhalten an dem Vertrag für die betroffene Person zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führen würde. BGH: Das Festhalten am Vertrag sei schon deshalb nicht unzumutbar, weil die Veranstalterin (V) bereit war, für die Absage der Veranstaltung einzustehen. K erhielt als Ersatz für die ausgefallene Veranstaltung einen Wertgutschein. Für K habe damit eine ihm zumutbare Möglichkeit der vollständigen Entschädigung für den Ausfall der Veranstaltung bestanden.Der Gutschein stellte eine vollständige Kompensation dar, da nach dem 31.12.2021 die Auszahlung verlangt werden konnte (Art. 240 § 5 Abs. 5 Nr. 2 EGBGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

rivertamdea

rivertamdea

8.2.2023, 07:40:49

Unmöglichkeit?

rivertamdea

rivertamdea

8.2.2023, 07:41:36

Liegt hier nicht ein

absolutes Fixgeschäft

vor und die Leistung ist unmöglich geworden, so dass auch die Gegenleistung verweigert werden kann?

MEL

meliiiis

8.2.2023, 09:14:42

E schuldet hier nur die Bereitstellung der Tickets. Die

Leistungspflicht

aus dem Vertrag ist E bereits nachgekommen, weshalb hier meiner Meinung nach keine Unmöglichkeit vorliegt.

JO

JohnSmith

10.2.2023, 11:21:35

Test

Isabell

Isabell

8.2.2023, 11:58:21

Mir fehlen hier die Daten wann was getätigt und bekannt wurde, um der Argumentation des BGHs vollständig folgen zu können.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

13.2.2023, 17:05:56

Hallo Isabell, danke für deine Rückmeldung. Die Daten sind hier - abgesehen von der angegebenen Reihenfolge der Handlungen - nicht relevant. Ich nehme an, du möchtest darauf hinaus, dass es relevant ist zu welchem Zeitpunkt im Pandemieverlauf die Absage erfolgt ist. Allerdings hat der BGH argumentiert, dass das Angebot eines Wertgutscheins in Höhe des Ticketpreises zwar nicht die Entfallene Geschäftsgrundlage entfallen lässt, mangels

Unzumutbarkeit

der § 313 Abs. 1 BGB dennoch nicht greift. Wir haben die Daten zum besseren Verständnis ergänzt. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Pilea

Pilea

20.10.2023, 20:15:23

Macht es hier einen Unterschied, ob es den Einzelpersonen verboten wird, eine Großveranstaltung zu besuchen, oder ob den Veranstaltern das Veranstalten untersagt wurde?

Cosmonaut

Cosmonaut

13.1.2024, 16:27:20

Hallo, mE Nein, da hier grundsätzlich darauf abgestellt wurde, dass sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geändert haben (die betreffen sowohl Einzelperson als auch Veranstalter).

NAT

NathalieK

5.11.2023, 20:27:05

Es wurde doch bereits davor ein Schadensersatzanspruch bejaht, wegen Verletzung der mangelnden Belehrung. Wieso wurde nachträglich noch auf

§ 313 BGB

eingegangen?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

7.11.2023, 11:29:57

Hallo NathalieK, danke für deine Frage! Die Rechtsfolge des

§ 313 BGB

ist eine andere. Während du richtig sagst, dass ein Schadensersatz bereits bejaht wurde ist § 315 BGB entweder auf Vertragsanpassung oder auf Rücktritt gerichtet. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

AN

An

16.11.2023, 08:41:57

Liebe @[

Nora Mommsen

](178057) müsste es in deiner Antwort nicht § 313 heißen?

NI

Nikudo

10.1.2024, 10:42:42

Ich habe den Punkt auch nicht verstanden. Deswegen habe ich Mal in das zitierte Urteil geschaut und folgende Passage in Rn. 57 zu dem etwaigen Schadensersatzanspruch wegen unterlassener Belehrung gefunden: „Ein allenfalls in Betracht kommender Schadensersatzanspruch wegen einer pflichtwidrig unterlassenen Information ist bereits nicht streitgegenständlich. Ohnehin hat der Kläger nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts auch nicht vorgetragen, dass er den Rechtskaufvertrag nicht abgeschlossen hätte, wenn er zutreffend darüber belehrt worden wäre, dass ein Widerrufsrecht nicht besteht. Dies wäre indes Voraussetzung eines etwaigen Schadensersatzanspruchs.“ Dem Urteil zu Folge scheitert der Schadensersatzanspruch an zwei Punkten: 1. Der Schadensersatz ist nicht streitgegenständlich gewesen. Dieser Punkt erschließt sich mir nicht so ganz, weil der Satz im luftleeren Raum ohne Begründung steht. Der Streitgegenstand setzt sich aus dem Lebenssachverhalt und dem Antrag zusammen. Ich denke, dass der Kläger zu wenig für den Schadensersatzanspruch vorgetragen hat oder der Antrag schlicht nicht auf Schadensersatz gerichtet ist. Falls ich mich in diesem Punkt irre, bitte korrigieren :) 2. Es liegt kein kausaler Schaden vor, weil der Käufer auch bei Belehrung über das mangelnde Widerrufsrecht den Vertrag geschlossen hätte. Deswegen stellt der Rechtskauf (Ticketpreise) keinen kausalen Schaden dar. Der Punkt ist einleuchtend und führt dazu, dass der Schadensersatzanspruch scheitert.


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