+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A möchte in der Stadt S ein Einkaufszentrum errichten, kann aber die nach der Landesbauordnung erforderlichen Parkplätze für Kfz nicht errichten. S und A schließen einen schriftlichen Vertrag, wonach S die erforderliche Baugenehmigung mit Ausnahmebewilligung erteilt, wenn A sich im Gegenzug finanziell am Bau eines Parkhauses in S beteiligt.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen
unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
...Wird geladen
Einordnung des Falls
Abgrenzung verwaltungsrechtlicher und privatrechtlicher Vertrag bei sog. Mischverträgen (Schwerpunkttheorie)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Für die Zuordnung eines Vertrags zum öffentlichen oder privaten Recht kommt es entscheidend auf den Gegenstand des Vertrags an. Bezieht sich der Vertrag zwischen A und S ausschließlich auf die Erteilung der Ausnahmebewilligung?
Nein, das ist nicht der Fall!
Bei der Zuordnung eines Vertrags zum öffentlichen oder privaten Recht bietet es sich an, dass Du dir zuerst – zumindest gedanklich – vor Augen führst, worin genau die konkreten Leistungspflichten bestehen. Ein Vertrag kann aus einem Hauptregelungsgegenstand mit einer konkreten Leistung und einer darauf bezogenen konkreten Gegenleistung bestehen (= einpoliger Vertrag). Demgegenüber kann er aber auch aus mehreren Vereinbarungen bestehen, die für sich genommen verschiedenen Rechtsgebieten zuzuordnen sind (= mehrpoliger Vertrag), aber nach dem Willen der Vertragsparteien ein einheitliches Ganzes bilden. Die vertragliche Vereinbarung zwischen A und S beinhaltet einerseits die Erteilung der Ausnahmebewilligung und andererseits die finanzielle Beteiligung an dem Bau eines Parkhauses.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.
2. As Verpflichtung, eine Zahlung für das Parkhaus an S zu leisten, ist privatrechtlicher Natur. Ist i.S.d. Schwerpunkttheorie der gesamte Vertrag dem Privatrecht zuzuordnen?
Nein!
Ein Vertrag ist dann öffentlich-rechtlich, wenn das öffentliche Recht den Gegenstand des Vertrags prägt (sog. Gegenstandstheorie). Dabei wird der Vertrag einheitlich betrachtet. Berührt der Vertrag auch einen Sachverhalt, der das Privatrecht bestimmt (sog. Mischvertrag), kommt es nach der sog. Schwerpunkttheorie (BVerwG und h.L.) auf den Schwerpunkt des Vertrags an. Es ist maßgeblich, welche Teile des Vertrags ihn überwiegend prägen. Der Schwerpunkt des Vertrags liegt darin, dass A der rechtmäßige Bau des Einkaufszentrums ermöglicht wird. Dass A sich hierfür verpflichtet, eine Zahlung an S zu tätigen, gibt dem Vertrag nicht sein Gepräge. Im Ergebnis macht es also i.d.R. keinen Unterschied, ob Du den Vertrag als einpoligen oder mehrpoligen Vertrag einstufst. Du solltest daher auch nicht zu viel Zeit bei der Einordnung verlieren. Es sollte für die Klausur vollkommen ausreichen, wenn Du das Thema so wie in diesem Hinweis geschehen darstellst.
3. Mit dem Vertrag hat sich S dazu verpflichtet, eine Baugenehmigung und die erforderliche Ausnahmeregelung von den Vorschriften der Landesbauordnung zu erteilen. Ist diese Verpflichtung dem öffentlichen-Recht zuzuordnen?
Ja, in der Tat!
Zur Unterscheidung, ob ein privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Vertrag vorliegt, kommt es darauf an, ob der Vertragsgegenstand dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist ist nicht. Bei mehreren Vereinbarungen kann es vorkommen, dass diese verschiedenen Rechtsgebieten zuzuordnen sind. Du solltest dann (zumindest gedanklich) einmal genau prüfen, welcher Teil des Vertrags öffentlich-rechtlicher Natur ist. Mit dem Vertrag hat sich S dazu verpflichtet, eine Baugenehmigung und die erforderliche Ausnahmeregelung von den Vorschriften der (öffentlich-rechtlichen) Landesbauordnung (= Baudispens) zu erteilen. Dieser Teil des Vertrags wird also durch das öffentliche Recht geprägt.
4. Neben der Erteilung eines Baudispens durch S beinhaltet der Vertrag auch, dass A eine Zahlung für das Parkhaus an S leistet. Ist As Verpflichtung – für sich genommen – ebenfalls öffentlich-rechtlicher Natur?
Nein!
As Verpflichtung, eine Zahlung an S zu tätigen, ist für sich genommen nicht durch das öffentliche Recht, sondern das Privatrecht geprägt.
Ein (öffentlich-rechtlicher) Vertrag kann auch Vereinbarungen enthalten, die privatrechtlicher Natur sind. In der Regel ist der Vertrag aber dennoch einheitlich zu beurteilen. Das bedeutet, dass sich die Rechtsnatur des Vertrags nach dem Schwerpunkt des Vertrags richtet (Schwerpunkttheorie). Die Schwerpunkttheorie stammt von der früheren Rspr. des BGH. Ein Vertrag sollte in seine einzelnen Bestandteile aufgespalten werden, sofern kein eindeutiger Schwerpunkt zu ermitteln war. In der Konsequenz waren also verschiedene Rechtswege eröffnet. Mit der Einführung des § 17a Abs. 2 S. 1 GVG ist diese Rspr. überholt. Einheitliche Verträge werden nach der Rspr. des BVerwG und der h.L. nicht mehr aufgespalten.
5. Nach der Schwerpunkttheorie ist ein Vertrag als gemischt privat-öffentlich-rechtlicher Vertrag einzuordnen, wenn der Vertrag beide Rechtsgebiete berührt.
Nein, das ist nicht der Fall!
Ein einheitlicher Vertrag soll grundsätzlich nicht aufgespalten werden. Der Vertrag muss vielmehr dem Rechtsgebiet zugeordnet werden, der den Hauptregelungsgegenstand des Vertrags bildet. Die Frage ist also: Welche Vereinbarung prägt den Vertrag vorrangig? Es gibt damit innerhalb eines Vertrags keine „gemischten privat-öffentlichen Rechtsverhältnisse“, die zur Folge hätten, dass einzelnen Rechte und Pflichten aus dem Vertrag dem Privatrecht, andere dem Verwaltungsrecht zugeordnet werden Die Schwerpunkttheorie in ihrer heutigen Form kannst Du dir als „Ergänzung“ zur Gegenstandstheorie vorstellen: Nach der Gegenstandstheorie ist ein Vertrag öffentlich-rechtlicher Natur, wenn der Vertragsgegenstand (überwiegend) durch das öffentliche Recht geprägt ist. Die Schwerpunkttheorie stellt klar, dass der Vertragsgegenstand i.d.R. einheitlich nach dem Schwerpunkt des Vertrags einzuordnen ist und nicht in mehrere Gegenstände aufgeteilt wird.