Öffentliches Recht

Verwaltungsrecht AT

Der öffentlich-rechtliche Vertrag

Einordnung von „Mischverträgen“; Schwerpunkt- vs. Trennungstheorie

Einordnung von „Mischverträgen“; Schwerpunkt- vs. Trennungstheorie

19. Mai 2025

8 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Camila (C) schließt mit der Gemeinde G einen Kaufvertrag über ein Grundstück, das im Eigentum der Gemeinde steht. Im Gegenzug für einen besonders niedrigen Kaufpreis verpflichtet sich C in dem Kaufvertrag, das Grundstück innerhalb der nächsten acht Jahre entsprechend den bauplanerischen Ziele der Gemeinde zu nutzen.

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Einordnung des Falls

Einordnung von „Mischverträgen“; Schwerpunkt- vs. Trennungstheorie

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Abgrenzung von privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Verträgen richtet sich nach h.M. danach, welches Rechtsgebiet den Gegenstand des Vertrags prägt.

Ja, in der Tat!

Die Verwaltung kann sowohl öffentlich-rechtliche als auch privatrechtliche Verträge abschließen. Eine Abgrenzung ist erforderlich, um zu beurteilen, ob die §§ 54ff. VwVfG einschlägig sind. Im Übrigen ist die Einordnung des Vertrages auch wichtig, um den richtigen Rechtsweg zu beschreiten. Liegt ein rein privatrechtlicher Vertrag vor, ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet (vgl. §§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO, 13 GVG). Ein Vertrag ist öffentlich-rechtlich, wenn der Vertragsgegenstand dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist (Gegenstandstheorie). Für die Einordnung des Vertrags zwischen C und G ist entscheidend, nach welchem Rechtsgebiet der Vertragsgegenstand zu beurteilen ist. Nach einem T.d.L. soll ein öffentlich-rechtlicher Vertrag sogar schon immer dann vorliegen, wenn nur einer der Regelungsgegenstände des Vertrags öffentlich-rechtlich ist.
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2. Gegenstand des Vertrags ist vor allem Verkauf des Grundstücks. Wird dieser vorrangig durch das öffentliche Recht geprägt?

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Vertrag ist öffentlich-rechtlich, wenn der Vertragsgegenstand dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist (Gegenstandstheorie). Der Vertrag zwischen C und G ist (vor allem) darauf gerichtet, dass sich G verpflichtet, der C das Eigentum an dem Grundstück zu übertragen. Hierbei handelt es sich um einen zivilrechtlichen Kaufvertrag (§ 433 Abs. 1 BGB). Der Vertrag wird also durch das Privatrecht geprägt.

3. Der Schwerpunkt des Vertrags ist privatrechtlich, sodass hier insgesamt kein öffentlich-rechtlicher Vertrag vorliegt.

Ja, in der Tat!

Nach der früheren Rechtsprechung des BGH waren Mischverträge nur dann einheitlich zu behandeln, wenn ein eindeutiger Schwerpunkt der vertraglichen Vereinbarung festgestellt werden konnte (ursprüngliche Schwerpunkttheorie). War dies nicht der Fall, so sollte der Vertragsgegenstand aufgeteilt werden. In der Konsequenz waren dann zwei verschiedene Rechtswege für die beiden Vereinbarungen eröffnet. In der heutigen Rspr. des BVerwG und auch in der h.L. findet eine Aufspaltung eines einheitlichen Vertrags nicht mehr statt (Grundsatz der Einheitlichkeit). Die Verpflichtung der C gibt dem zivilrechtlichen Vertrag kein völlig anderes Gepräge. Der Schwerpunkt des Vertrags liegt auf dem privatrechtlichen Kaufvertrag, sodass es sich nicht um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag handelt. Verträge sollten nach dem BVerwG nur dann aufgespalten werden, wenn es sich um zwei völlig verschiedene Regelungskomplexe handelt, die in keinem Zusammenhang zueinander stehen. In diesem Fall fehlt es an einem einheitlichen Vertragsgegenstand.

4. Cs Verpflichtung betrifft zumindest auch Regelungsbereiche des öffentlichen Rechts.

Ja, in der Tat!

Es kann Verträge geben, die sowohl Sachverhalte des öffentlichen als auch des privatrechtlichen Bereichs betreffen. Diese Verträge werden auch „Mischverträge“ genannt. C verpflichtet sich, das Grundstück im Sinne der bauplanerischen Ziele der G zu nutzen. Diese Ziele werden durch öffentlich-rechtliche Bauleitpläne (§§ 1ff. BauGB) festgesetzt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Juraddicted

Juraddicted

4.11.2024, 13:07:18

Durch den Grundsatz der Einheitlichkeit wird also auch bei einem offensichtlichen Schwerpunkt nichts mehr aufgeteilt- es sei denn, dass es sich um zwei völlig verschiedene (auch gleichwertige) Bereiche handelt? Gibt es dafür ein Beispiel? Vielen Dank :)

HARD

hardymary

4.12.2024, 16:37:03

Ich habe gelernt, dass - sobald eine wesentliche Vertragspflicht als öffentlich-rechtlich einzustufen ist, ist der gesamte Vertrag als öffentlich-rechtlich einzustufen und einheitlich vor dem Verwaltungsgericht zu behandeln. Man also gar nicht so sehr mit einem Schwerpunkt argumentiert. Wird das hier nur abgelehnt, weil die Verpflichtung des C als nicht wesentlich bezeichnet wird?

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

26.4.2025, 13:24:19

Hallo @[hardymary](202321), das Meinungsbild ist hier zunächst leider nicht besonders klar und selbst das BVerwG nimmt die Einordnung nicht immer nur anhand der hier dargestellten Grundsätze vor (näher zum Ganzen Detterbeck, Allg VerwR, Rn 786 mwN). Woher das von Dir Gelernte genau kommt und was dahinter steht, kann ich Dir nicht ganz genau sagen, dafür müsstest du mehr ins Detail gehen. Möglicherweise ist sogar das Gleiche wie in unserer Darstellung gemeint, wenn man EINE wesentliche Vertragspflicht als DIE wesentliche Vertragspflicht versteht. Bei Stelkens/Bonk/Sachs/Siegel, VwVfG, 10. Aufl 2023, § 54 Rn 56 heißt es zB: "Bei gemischten Vertr, die sowohl ör als auch privatrechtliche Elemente enthalten, ist maßgebend, welche Teile des Vertr ihm das Gepräge geben (

Schwerpunkttheorie

); dabei ist abzustellen auf die vertraglich vereinbarten Rechte und Pflichten, die aus der Sicht eines verständigen Betrachters die inhaltlich wichtigsten Vereinbarungen, gewissermaßen den wesentlichen Kern des Vertrags bilden." Das klingt mE doch recht ähnlich. Von einem TdL wird allerdings auch vertreten, dass wir schon dann einen öffentlich-rechtlichen Vertrag haben, wenn "nur ein einziger vertraglicher

Regelungsgegenstand

das öffentliche Recht betrifft" (Detterbeck, Allg VerwR, Rn 786, Fn 24 mwN). Möglicherweise ist auch das die Ansicht, die Du gelernt hast. Wir haben sie jetzt zumindest in einem Vertiefungshinweis kurz erwähnt. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

FTE

Findet Nemo Tenetur

31.1.2025, 17:33:22

Was wäre denn ein realistisches Klausurszenario? Also weiß ich, wenn ich ne ÖR Klausur schreibe, dass es eigentlich ein Gegenstand des ÖR sein muss? Oder kann man an dieser Stelle auch “rausfliegen” und dann irgendwie anders (aber wie?) weitermachen?

schwemmely

schwemmely

25.2.2025, 16:53:59

Würdest du rausfliegen, müsstest du im Hilfsgutachten weitergehen :) D.h., dass in einer Klausur wirst du wohl eher zu dem Ergebnis kommen, dass der Vertrag öffentlich-rechtlicher Natur ist. Da man normalerweise nicht die Klausur von Anfang an im Hilfsgutachten zu prüfen hat.

FTE

Findet Nemo Tenetur

27.2.2025, 12:40:26

@[schwemmely](114183), danke für deine Antwort. Genau darauf zielte meine Frage (die ich wohl nicht präzise genug formuliert hatte) ab, ob es neben dem Hilfsgutachten noch einen anderen Weg gibt. Da, genau wie du gesagt hast, das Hilfsgutachten idR ja nicht der vom Klausursteller intendierte Weg ist, und wenn es keinen anderen gibt, dann weiß ich ja in der ÖR Klausur schon, dass es im Ergebnis ein Gegenstand des ÖR sein muss. Das wiederum würde ja bedeuten, dass ich das Ergebnis der Abgrenzung eigentlich immer schon kenne und es insofern bei dieser Frage stets nur um die ordentliche Herleitung würde gehen können. Und ich wollte nun wissen, ob diese Schlussfolgerung stimmt/in welcher Form die Abgrenzung sonst in der Klausur auftauchen könnte/was der Mehrwert dann wäre

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

26.4.2025, 11:51:50

Hallo @[Findet

Nemo Tenetur

](254807), der Hinweis von @[schwemmely](114183) ist schon genau richtig: Eine gut gestellte Klausur wird kaum darauf ausgelegt sein, dass es direkt zu Beginn ins Hilfsgutachten geht. So gesehen wird das Ergebnis der Abgrenzung in der Tat häufig klar sein. Ausnahmen kann es aber immer geben und diejenigen, die Eure Klausuren erstellen, bringen teilweise ordentlich Fantasie mit, wenn sie bestimmte Sachen prüfen wollen, ohne das Ergebnis quasi vorweg zu nehmen. Ich habe spontan kein Beispiel für die Abgrenzung zwischen öffentlich-rechtlichem Vertrag und privatrechtlichem Vertrag, aber eines für eine ZivilR-Klausur mit IPR-Einstieg (keine bloße Zusatzfrage). Das war eine Übungsklausur im Klausurenkurs vor dem 1. Examen, konkret in Betracht kam österreichisches oder deutsches Recht. Eigentlich sollte klar sein, dass wir materiell im deutschen Recht landen, sonst wären wir ja statt im BGB im ABGB (Österreich) und könnten die Klausur nicht lösen. Nun stand aber unter der Klausur sinngemäß der Bearbeitervermerk: "Falls Sie zum Ergebnis kommen, dass österreichisches

materielles Recht

anwendbar ist, tun Sie so, als sei es inhaltlich deckungsgleich zum deutschen Recht und die Normen identisch." Das kann natürlich auch bloß der Hinweis an diejenigen mit dem Ergebnis "Österreich" sein, die Klausur an der Stelle nicht abzubrechen. Das sollte aber ohnehin klar sein, denn man wäre dann nach einem Bruchteil der Zeit fertig und hätte die materiellen Probleme des Falls mit keinem Wort angesprochen. Dementsprechend konnte man also nicht sicher wissen, welches Recht materiell anwendbar ist. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

FTE

Findet Nemo Tenetur

26.4.2025, 14:14:19

Danke!


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