Ablehnung wegen Befangenheit - Grundfall, § 24 StPO

22. November 2024

4,7(4.553 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T bestreitet in seiner Einlassung den vorgeworfenen Raub. Der Vorsitzende V fährt ihn heftig an, er solle „die Wahrheit ausspucken”. Den „Quatsch”, den er hier erzähle, glaube ihm kein Mensch. Das Gericht verwirft sodann As gestelltes Ablehnungsgesuch (§ 24 Abs. 1 StPO) und verurteilt ihn wegen Raubes.

Diesen Fall lösen 74,9 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Ablehnung wegen Befangenheit - Grundfall, § 24 StPO

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden (§ 24 Abs. 2 StPO). Bestimmt sich die Frage, ob die Besorgnis der Befangenheit besteht, allein nach As subjektivem Eindruck?

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO). Dies ist der Fall, wenn der Ablehnende bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter ihm gegenüber eine innere Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Es kommt nicht auf die subjektive Sicht des Angeklagten an, sondern ob ein vernünftiger Angeklagter bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Zweifel an der Unparteilichkeit hat.In der Kommentierung des Meyer-Goßner zu § 24 StPO findest du zahlreiche Fallgruppen und Beispiele, an denen du deine Argumentation aufbauen kannst.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Wirkt ein im Sinne des § 24 Abs. 2 StPO befangener Richter an der Verhandlung mit, stellt dies ohne Weiteres einen revisiblen Verfahrensfehler dar.

Nein, das trifft nicht zu!

Anders als bei einem Ausschluss kraft Gesetzes (§§ 22, 23 StPO) liegt der Verfahrensfehler nicht allein in der Mitwirkung eines befangenen Richters am Prozess. § 24 Abs. 1 Alt. 2 StPO sieht vor, dass der Angeklagte die Möglichkeit hat, den befangenen Richter abzulehnen. Erachtet das Tatgericht die Besorgnis der Befangenheit für begründet, scheidet der abgelehnte Richter vom Verfahren aus. Voraussetzung für eine erfolgreiche Revision ist deshalb in jedem Fall ein rechtzeitig gestelltes Ablehnungsgesuch gegen den befangenen Richter.

3. Die Verwerfung seines Ablehnungsgesuchs kann A nur zusammen mit dem Urteil angreifen (§ 28 Abs. 2 StPO).

Ja!

Wird das Ablehnungsgesuch verworfen, ist die sofortige Beschwerde statthaft (§ 28 Abs. 2 S. 1 StPO). Wird ein Ablehnungsgesuch gegen einen erkennenden Richter verworfen, kann dies nur in der Revision geltend gemacht werden (§ 28 Abs. 2 S. 2 StPO). Erkennende Richter sind alle Richter, die zur Urteilsfindung berufen sind. Dies soll Missbrauch und Verfahrensverzögerungen vermeiden. Seiner Natur nach bleibt das Rechtsmittel aber eine Beschwerde und wird vom Revisionsgericht auch so geprüft. Der Vorsitzende ist vorliegend erkennender Richter. Die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs ist damit nur zusammen mit dem Urteil in der Revision angreifbar (§ 28 Abs. 2 S. 2 StPO).Wird ein Gesuch gegen einen nicht erkennenden Richter verworfen, ist dies dagegen gesondert angreifbar (§ 28 Abs. 2 S. 1 StPO).

4. Ein revisibler Verfahrensfehler liegt hier vor, wenn As Ablehnungsgesuch zu Unrecht verworfen wurde.

Genau, so ist das!

Wird die Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs mit der Revision angegriffen, liegt ein Verfahrensfehler vor, wenn der abgelehnte Richter an der Verhandlung mitwirkt und das Ablehnungsgesuch zu Unrecht verworfen wurde. Dies ist der Fall, wenn (1) das Tatgericht das Gesuch willkürlich oder unter grundlegender Verkennung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) nach § 26a StPO als unzulässig verworfen hat oder (2) das Gesuch sachlich begründet war. Da das Revisionsgericht nach Beschwerdegrundsätzen prüft, kann es auch eigene Tatsachenfeststellungen treffen und sein Ermessen an die Stelle des Ermessens des Tatgerichts setzen.

5. Ist As zulässiges Ablehnungsgesuch, sachlich begründet, sodass ein ein revisibler Verfahrensfehler vorliegt (§ 24 Abs. 2 StPO)?

Ja, in der Tat!

Ein Verfahrensfehler liegt vor, wenn ein begründetes Ablehnungsgesuch verworfen wird und der Abgelehnte am Prozess mitwirkt. Ein Ablehnungsgesuch ist begründet, wenn aus Sicht eines vernünftigen Angeklagten ein Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Richters gerechtfertigt erscheint (§ 24 Abs. 2 StPO).Ein solcher Grund kann in Vs Verhalten in der Verhandlung liegen, aus dem hervorgeht, dass er von der Schuld des A schon endgültig überzeugt ist. Durch Vs Reaktion auf As Einlassung zeigt er, dass er diese nicht unvoreingenommen entgegennahm. Zwar muss das Gericht der Einlassung des A nicht glauben. Es muss diese aber auf Grundlage der gesamten Verhandlung würdigen (vgl. § 261 StPO). Es besteht die begründete Befürchtung einer Vorverurteilung, wenn V das Vorbringen des A in dieser Weise abtut.

6. Wurde ein Ablehnungsgesuch zu Unrecht verworfen und wirkt der abgelehnte Richter bei der Entscheidung mit, ergibt sich aus § 338 Nr. 2 StPO ein absoluter Revisionsgrund.

Nein!

Nach § 338 Nr. 2 StPO wird das Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensfehler vermutet, wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war. Dies betrifft nur die Fälle der §§ 22, 23 StPO. Der Vorsitzende ist hier nicht kraft Gesetzes ausgeschlossen, sondern wurde nach § 24 Abs. 1, 2 StPO abgelehnt. Dieser Fall wird von § 338 Nr. 2 StPO nicht erfasst.

7. Ein absoluter Revisionsgrund liegt hier aber nach § 338 Nr. 3 StPO vor.

Genau, so ist das!

Ein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 3 StPO liegt vor, wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch (1) entweder für begründet erklärt war oder (2) mit Unrecht verworfen wurde.V wirkte an der Hauptverhandlung mit und As Ablehnungsgesuch wurde zu Unrecht als unbegründet verworfen. Nach § 338 Nr. 3 StPO wird deshalb unwiderleglich vermutet, dass das Urteil auf Vs fehlerhafter Mitwirkung beruht.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Nocebo

Nocebo

16.7.2024, 12:27:57

Warum ist das Ablehnungssuch hier begründet? Der Richter hat nicht geäußert, er sei von der Täterschaft überzeugt. Sondern nur, dass der Angeklagte aufhören solle, "Quatsch" zu erzählen. Bei einer absolut abwegigen Einlassung erscheint mir das keine Befangenheit zu begründen.

EN

Entenpulli

12.8.2024, 14:56:18

Leuchtet mir ohne die Aussage zu kennen und nicht zu wissen, ob er sich nicht vlt erst eingelassen hat, nachdem schon zahlreiche Beweise das Gegnteil ergeben haben, auch nicht ein.

DRCS

DrCS

21.9.2024, 13:57:38

@[Nocebo](222699) @[Entenpulli](169608) Bei der Prüfung der sachlichen

BEgründetheit

des Ablehnungsgesuchs kommt es nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich befangen ist, sondern ob man aufgrund verständiger Würdigung davon ausgehen kann, dass der Richter bereits eine innere Haltung eingenommen hat, die ggf. seine Unparteilichkeit störend beeinflussen könnte. Mit seinen Äußerungen, es handele sich dabei um "Quatsch" und der zugleich nachdrücklichen Bekräftigung, der Angeklagte solle doch endlich die Wahrheit erzählen, besteht bei verständiger Würdigung ein Grund zur Annahme, dass er bereits - vor dem Schluss der Beweisaufnahme - eine bestimmte innere Haltung eingenommen hat, und zwar zum Nachteil des Angeklagten. Natürlich ist der Sachverhalt hier recht kurz, aber auch ein längerer Sachverhalt würde letztlich nicht rechtfertigen, vor dem Schluss der Beweisaufnahme bereits in der Form Position zu beziehen.

Nocebo

Nocebo

8.11.2024, 17:56:22

Vielleicht ist hier am Großstadt-Amtsgericht anders, aber viele Äußerungen der Angeklagten, die ich während der StA gehört habe, wären mit Quatsch noch extrem wohlwollend beschrieben worden und das haben auch nicht alle Richter mit sich machen lassen, wenn sie offensichtlich angelogen werden. Ich glaube hier prallen einfach Wirklichkeit und Anspruch aneinander.

DRCS

DrCS

8.11.2024, 18:20:45

Das kann natürlich gut sein, da wird’s auch extrem auf den Einzelfall ankommen. Ich kann das nur für die

Schwurgericht

skammer beurteilen, bei der ich meine Strafstation gemacht habe und da muss ich sagen, dass jedenfalls jede einzelne Verhandlung komplett revisionsfest war und ich nur sehr emphatische, unvoreingenommene und extrem kompetente Richter:innen erlebt. Hab da tbh das Vertrauen in den Rechtsstaat wiedergewonnen 😄

EN

Entenpulli

9.11.2024, 10:48:17

@[Nocebo](222699) Mit Großstadt hat das mMn nix zu tun, war bei mir im ländlichen Raum auch nicht anders. Viel entscheidender ist wohl, ob der Angeklagte mit oder ohne Verteidiger auftritt. Offensichtliche Lügen unterbinden die Verteidiger nach meiner Erfahrung recht effektiv.


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen