Ablehnung des Vertreters der Staatsanwaltschaft, Art. 6 EMRK

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird wegen Mordes verurteilt. Die Sitzungsvertreterin S wurde im Prozess selbst als Zeugin über den Inhalt von Vernehmungen, die sie im Ermittlungsverfahren führte, vernommen und solange von einem Kollegen vertreten. Im Plädoyer würdigt sie die Beweisaufnahme umfassend.

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Einordnung des Falls

Ablehnung des Vertreters der Staatsanwaltschaft, Art. 6 EMRK

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Da B in derselben Sache als Zeugin vernommen wurde, ist sie kraft Gesetzes von der Mitwirkung als Staatsanwältin ausgeschlossen (§ 22 Nr. 5 StPO).

Nein, das ist nicht der Fall!

Die §§ 22ff. StPO gelten nicht für Staatsanwälte. Gegen eine analoge Anwendung spricht, dass der Gesetzgeber sich mehrfach dagegen entschieden hat, die Regelungen zur Befangenheit von Gerichtspersonen auf die Staatsanwaltschaft zu erstrecken. Damit fehlt es schon an einer planwidrigen Regelungslücke. Auch die Interessenlage ist nicht vergleichbar, da der Staatsanwaltschaft zumindest eine anklagefreundliche Tendenz zugebilligt wird und sie anders als das Gericht kaum endgültige Entscheidungen trifft.Wenn du in der Klausur mit einer Analogie argumentierst, arbeite dich immer sauber an den Voraussetzungen der Analogie - planwidrige Regelungslücke und vergleichbare Interessenlage - heran. So verhinderst du, dass deine Ausführungen im luftleeren Raum stehen und gibst deiner Klausur Substanz.
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2. Hat an der Hauptverhandlung ein Staatsanwalt mitgewirkt, der als Gerichtsperson nach den §§ 22, 23 StPO ausgeschlossen wäre, kann trotzdem ein relativer Revisionsgrund vorliegen (§ 337 StPO).

Ja, in der Tat!

Liegen bei einem Staatsanwalt Gründe vor, die bei einer Gerichtsperson zu deren Ausschluss führen würden (§§ 22, 23 StPO), können die Verfahrensbeteiligten darauf hinwirken, dass der Dienstvorgesetzte des Staatsanwalts diesen vom Verfahren abzieht (§ 145 Abs. 1 GVG). Dies gebietet insbesondere die Fürsorgepflicht des Gerichts. Es gibt zwar anders als bei Gerichtspersonen kein Recht auf die Ablehnung eines befangenen Staatsanwalts. Wird der Staatsanwalt nicht abgezogen, liegt darin aber ein Verstoß gegen das fair-trial-Prinzip (Art. 6 EMRK). Bei der Anwendung der Ausschlussgründe auf den Staatsanwalt ist aber der unterschiedlichen prozessualen Stellung Rechnung zu tragen. Ein Staatsanwalt ist etwa nicht nach dem Gedanken des § 22 Nr. 4 Var. 1, 2 StPO in zweiter Instanz ausgeschlossen, nur weil er in erster Instanz tätig war.

3. Ein Verstoß gegen das fair-trial-Prinzip liegt vor, da S nach der Zeugenvernehmung weiter als Staatsanwältin auftrat (Art. 6 EMRK).

Ja!

Die Mitwirkung eines Staatsanwalts verstößt regelmäßig gegen das fair-trial-Prinzip (Art. 6 EMRK), wenn er als Gerichtsperson nach den §§ 22, 23 StPO ausgeschlossen wäre. S wurde in derselben Sache als Zeugin vernommen. Damit läge bei ihr als Gerichtsperson der Ausschlussgrund des § 22 Nr. 5 StPO vor. Sie kann im Plädoyer die Beweisaufnahme nicht würdigen, ohne gleichzeitig ihre eigene Aussage über den Inhalt der Zeugenvernehmungen zumindest konkludent zu bewerten. Diese ist als Teil des Gesamteindrucks der Hauptverhandlung untrennbar mit den restlichen Beweisergebnissen verbunden ist und kann nicht gesondert gewürdigt werden. Sie kann ihre eigene Aussage aber auch nicht unvoreingenommen bewerten. Damit liegt ein Verstoß gegen das fair-trial-Prinzip Art. 6 EMRK vor.

4. Es wird gemäß § 338 Nr. 2 StPO vermutet, dass das Urteil auf der unzulässigen Mitwirkung der S beruht.

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 338 Nr. 2 StPO greift nur, wenn eine Gerichtsperson ausgeschlossen ist. Wird ein „ausgeschlossener” Staatsanwalt nicht abgelöst, liegt nur ein relativer Revisionsgrund (§ 337 Abs. 1 StPO) vor. Es ist hier nicht auszuschließen, dass S Aussage von einem anderen Staatsanwalt anders gewürdigt worden wäre, was wiederum anders auf das Gericht gewirkt hätte, weshalb das Urteil auch auf dem Verfahrensverstoß beruht.Auch wenn hier also das Beruhen nicht unwiderleglich vermutet wird (=absoluter Revisionsgrund), ist der Verfahrensverstoß im Ergebnis revisibel.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Nocebo

Nocebo

16.7.2024, 11:56:12

Ich finde die Frage "3. Ein Verstoß gegen das fair-trial-Prinzip liegt vor, da S nach der Zeugenvernehmung weiter als Staatsanwältin auftrat (Art. 6 EMRK)." irreführend. Der Verstoß liegt doch nicht im Auftreten als Staatsanwältin, bspw. bei späteren Zeugenvernehmung anderer Zeugen, sondern allein und ausschließlich in der Würdigung ihrer eigenen Zeugenaussage im Plädoyer. Die Frage ist damit mMn zu pauschal.

EN

Entenpulli

12.8.2024, 14:38:34

Guter Einwand! Das wirft aber die Frage auf, ob kein Verstoß vorläge, wenn die eigene Aussage vom anderen StA im Plädoyer gewürdigt würde (können überhaupt 2 StAs das Plädoyer abhalten?).


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