1. Die Verfügung erledigte sich durch Ablauf der zum Aufhängen von Wahlplakaten berechtigten Sondernutzungserlaubnis, nachdem K Klage erhoben hat. Ist die Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft?
Ja, in der Tat!
Die Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO) ist statthaft, wenn der Kläger die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts begehrt, der sich nach Klageerhebung erledigt hat. In diesem Fall kann der Kläger, sofern ein besonderes Feststellungsinteresse besteht, feststellen lassen, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig war und ihn in seinen Rechten verletzte.
Die Verfügung stellt ein Verwaltungsakt (§ 35 S. 1 VwVfG) dar. Sie hat sich durch Zeitablauf nach Klageerhebung erledigt. Deswegen ist nunmehr nicht mehr die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO), sondern die (echte) Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO) statthaft.
§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO wird analog in den Fällen angewandt, in denen eine Verpflichtungssituation vorliegt, d.h. der begehrte Erlass eines Verwaltungsakts sich erledigt, sowie in der Anfechtungssituation im Falle der Erledigung vor Klageerhebung.
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2. K möchte das Wahlplakat auch in zukünftigen Wahlkämpfen verwenden. Begründet dies eine Wiederholungsgefahr und damit ein besonderes Fortsetzungsfeststellungsinteresse?
Ja!
Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist nur zulässig, wenn der Kläger ein besonders Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts hat (sog. besonderes Fortsetzungsfeststellungsinteresse). Dazu haben sich verschiedene Fallgruppen herausgebildet: (1) Schwerwiegender Grundrechtseingriff, (2) Rehabilitationsinteresse, (3) Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses und (4) Wiederholungsgefahr.
Die Wiederholungsgefahr setzt die konkrete oder hinreichend bestimmte Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird (RdNr. 20).
K möchte die Plakate erneut verwenden, sodass eine solche konkrete und hinreichend bestimmte Gefahr besteht. Damit begründet die Wiederholungsgefahr ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse.
Im Übrigen bestanden keine Zulässigkeitsprobleme. Insbesondere war K aufgrund einer möglichen Verletzung seiner Meinungs- (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) und allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 S. 1 GG) klagebefugt.
3. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist begründet, wenn der Verwaltungsakt vor seiner Erledigung rechtswidrig war und den Kläger in seinen subjektiven Rechten verletzte.
Genau, so ist das!
So könnte der Obersatz in deiner Klausur lauten. Der Prüfungsmaßstab folgt direkt aus § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO. Die Prüfung erfolgt dann, wie bei der Anfechtungsklage: (1) Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, (2) Verletzung des Klägers in eigenen Rechten.
Zudem ist zu prüfen, ob der Verwaltungsakt, wenn er sich nicht erledigt hätte, vom Gericht hätte aufgehoben werden müssen. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO gibt nämlich nicht mehr Rechtsschutz, als der Kläger bei mangelnder Erledigung des angegriffenen Verwaltungsakts hätte beanspruchen können (RdNr. 22). Das Gericht spielt hiermit insbesondere auf § 46 VwVfG an (lesen!).
4. Als Rechtsgrundlage für die durch die Ordnungsbehörde erlassene Verfügung kommt die polizei- und ordnungsrechtliche Generalklausel (im Originalfall § 14 Abs. 1 OBG NRW) in Betracht.
Ja, in der Tat!
Nach § 14 Abs. 1 OBG NRW können die Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (sog. ordnungsbehördliche Generalklausel).
Es kommt somit entscheidend darauf an, ob die Plakate eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit begründeten.
Da der Originalfall in NRW spielte, haben wir den Fall nach den Vorschriften des einschlägigen Landesrechts gelöst. Er lässt sich aber entsprechend nach den landesrechtlichen Normen Deines Bundeslandes lösen. Die im Zentrum stehenden Rechtsfragen sind unabhängig vom Landesrecht.
5. Die Ordnungsbehörde hat K vor Erlass der Verfügung nicht angehört und die Anhörung auch später nicht nachgeholt. Ist der Verwaltungsakt deswegen zwingend formell rechtswidrig?
Nein!
Der Verwaltungsakt ist formell rechtmäßig, wenn die (1) zuständige Behörde den Verwaltungsakt ordnungsgemäß, d.h. ohne Verletzung von (2) Verfahrens- und (3) Formvorschriften erlassen hat. Gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG ist der Betroffene vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in seine Rechte eingreift, anzuhören. Von der Anhörung kann nur in den in § 28 Abs. 2 VwVfG genannten Fällen abgesehen werden.
Hier hat die Behörde K entgegen § 28 Abs. 1 VwVfG nicht angehört. Die Anhörung war auch nicht entbehrlich gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG. Da der Verfahrensfehler mangels Nachholung der Anhörung vor Erledigung des Verwaltungsakts auch nicht geheilt wurde gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG, ist die Verfügung grundsätzlich formell rechtswidrig.
6. Hätte das Gericht aufgrund der formellen Rechtswidrigkeit der Verfügung den Verwaltungsakt zwingend aufheben müssen?
Nein, das ist nicht der Fall!
Gemäß § 46 VwVfG kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 44 nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt.
Somit ist für die Maßgeblichkeit der formellen Rechtswidrigkeit entscheidend, ob ein Fall der Ermessensreduzierung auf Null vorlag, die Behörde also den Verwaltungsakt mit diesem Inhalt erlassen musste. Dies könnte hier aufgrund einer möglichen Verletzung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) der Fall sein.
7. Der Tatbestand der polizei- und ordnungsrechtlichen Generalklausel (hier § 14 Abs. 1 OBG NRW) setzt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit voraus. Liegt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit u.a. dann vor, wenn das Schutzgut der Unversehrtheit der Rechtsordnung gefährdet ist?
Ja, in der Tat!
Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz (1) der Unversehrtheit der Rechtsordnung, (2) der Individualrechtsgüter und (3) der Einrichtungen des Staates. Die Unversehrtheit der Rechtsordnung umfasst dabei alle formell und materiell rechtmäßigen Gesetze, sodass jeder (drohende) Gesetzesverstoß eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit begründet.
Hier könnte das Aufhängen der Wahlplakate den Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB) erfüllen und damit die Unversehrtheit der Rechtsordnung verletzten und eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit i.S.d. polizei- und ordnungsrechtlichen Generalklausel darstellen.
8. Ist der Slogan von Ks Wahlplakat vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) erfasst?
Ja!
Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Auf dieses Recht können sich auch Parteien (s. Art. 21 GG) berufen. Dabei stellen Aussagen auf Wahlplakaten – ungeachtet ihres möglichen ehrverletzenden Gehalts – ein vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG erfasstes Werturteil dar (RdNr. 27).
Somit sind auch polemische und verletzende Äußerungen, wie der Slogan des Wahlplakats, vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) umfasst.
9. Stellt der Straftatbestand der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB) ein allgemeines Gesetz dar, das Eingriffe in die Meinungsfreiheit rechtfertigen kann?
Genau, so ist das!
Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet die Meinungsfreiheit ihre Grenzen in den allgemeinen Gesetzen (qualifizierter Gesetzesvorbehalt). Allgemeine Gesetze sind solche Gesetze, die nicht eine Meinung als solche verbieten oder sich gegen die Äußerung der Meinung als solche richten, sondern vielmehr dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsgutes dienen, das gegenüber der Betätigung der Meinungsfreiheit den Vorrang hat.
Bei § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB handelt es sich um ein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG, das dem Schutz der Menschlichkeit dient. Es findet seinen verfassungsrechtlichen Rückhalt in Art. 1 Abs. 1 GG (RdNr. 28).
Die Behörden und Gerichte haben aber bei der Auslegung und Anwendung des § 130 StGB die aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beachten, damit die wertsetzende Bedeutung des Grundrechts auch auf der Ebene der Normanwendung im konkreten Fall zur Geltung kommt (RdNr. 28).
10. Vor einer rechtlichen Würdigung einer in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) fallenden Äußerung müssen Behörden und Gerichte ihren Sinn zutreffend erfassen.
Ja, in der Tat!
Aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ergeben sich nicht nur spezifische Anforderungen an die Auslegung und Anwendung grundrechtsbeschränkender Gesetze, sondern bereits an die ihr vorgelagerte Interpretation umstrittener Äußerungen. Das Ziel ist die Ermittlung des objektiven Sinns einer Äußerung.
Es muss somit zunächst der objektive Sinn des Wahlslogans zutreffend erfasst werden.
11. Bei der Interpretation der Äußerungen kommt es stets auf das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen an.
Nein!
Bei der Interpretation ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen maßgeblich, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums objektiv hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen, wobei dieser aber ihren Sinn nicht abschließend festlegt, da der objektive Sinn auch vom Kontext und den Begleitumständen einer Äußerung bestimmt wird, soweit diese für den Rezipienten erkennbar sind (RdNr. 29).
BVerwG: „Bei mehrdeutigen Äußerungen haben Behörden und Gerichte sanktionsrechtlich irrelevante Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen auszuschließen, bevor sie ihrer Entscheidung eine zur Anwendung sanktionierender Normen führende Deutung zugrunde legen“ (RdNr. 30).
12. Der Wahlkampf ist ein Begleitumstand, der bei der Interpretation des Slogans zu berücksichtigen ist.
Genau, so ist das!
Der Wahlkampf ist ein maßgeblicher, bei der Interpretation zu berücksichtigender Begleitumstand. Dies ist insbesondere dann wichtig, wenn die Äußerung – wie hier – auf einem Wahlplakat – ersichtlich ein Anliegen nur in Schlagworten zusammenfasst (RdNr. 32).
Bei der Interpretation des Slogans ist somit zu berücksichtigen, dass im Wahlkampf konkurrierende Politikentwürfe typischerweise nur verkürzt und zugespitzt einander gegenübergestellt werden (RdNr. 32).
13. Der Slogan lässt sich einerseits so deuten, als würde behauptet, dass die in Deutschland lebenden Migranten töten, andererseits als würde die Migrationspolitik der Bundesregierung kritisiert.
Ja, in der Tat!
BVerwG: Nach dem objektiven Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums sei es weder ausgeschlossen noch fernliegend, den Slogan zu deuten als Kritik an der deutschen Migrationspolitik und nicht lediglich als Aussage, Migranten seien per se gefährlich (RdNr. 33 ff.).
Das Berufungsgericht (OVG) durfte somit seiner rechtlichen Beurteilung der Äußerung nicht die Interpretationsvariante zugrunde legen, die den Straftatbestand der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB) erfüllt, sondern musste dieser strafrechtlich irrelevanten Interpretationsvariante den Vorzug geben. Auch durfte es zur Bestimmung des Bedeutungsgehalts des Slogans nicht das Parteiprogramm der K hinzuziehen, weil dieses Wissen dem Rezipienten nicht als präsent unterstellt werden kann.
Hier liegt der Schwerpunkt Deiner Klausur! Beachte, dass die meinungsfreundliche Auslegung verschiedener Deutungen von Aussagen und Meinungen eine zentrale Errungenschaft des verfassungsrechtlichen Rechtsstaats ist. Diese schützt gleichermaßen alle Grundrechtsträger, ob man ihre Meinungen mag und teilt oder nicht!
14. Die Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO) der K ist begründet und hat damit Aussicht auf Erfolg.
Ja!
Der Wahlslogan verstößt nicht gegen das Verbot der Volksverhetzung und ist von der Meinungsfreiheit erfasst. Somit liegt kein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit vor, sodass die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage (§ 14 Abs. 1 OBG NRW) nicht erfüllt waren. Die erledigte Verfügung war rechtswidrig und verletzte K in seinen Rechten. Ks Klage ist begründet.
Ob der Anhörungsmangel nun nach § 46 VwVfG unerheblich ist, ließ das BVerwG wegen der materiellen Rechtswidrigkeit der Verfügung offen (RdNr. 37). Allerdings wird man aufgrund des fehlenden Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit eine Ermessensreduzierung auf Null und damit das Vorliegen der Voraussetzungen des § 46 VwVfG verneinen müssen.