Fortwirkung von Beweisverwertungsverboten

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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A wird bei der Polizei ohne Belehrung (§§ 163a Abs. 3, 136 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 StPO) vernommen. Im Prozess vernimmt das Gericht A nochmals und weist ihn nach Belehrung zutreffend darauf hin, dass seine erste Aussage nicht verwertet werden kann. A gesteht die Tat erneut.

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Einordnung des Falls

Fortwirkung von Beweisverwertungsverboten

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ob die fehlende Belehrung nach § 136 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 StPO zu einem Verwertungsverbot führt, ist durch eine Interessenabwägung zu ermitteln.

Genau, so ist das!

Anders als bei § 136a Abs. 3 S. 2 StPO besteht kein absolutes, sondern nur ein relatives Verwertungsverbot. Es ist zwischen dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse und dem Interesse des Angeklagten an der Wahrung seiner Rechte abzuwägen. Bei § 136 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 StPO ist hier zu berücksichtigen, dass die Norm die Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren sichert. Der Grundsatz, dass niemand im Strafverfahren gegen sich selbst aussagen muss (nemo tenetur) gehört zu den grundlegenden Prinzipien des Strafprozesses, ist Ausfluss der Menschenwürde und maßgeblich für die Prozessstrategie des Angeklagten.
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2. Fällt die gebotene Interessenabwägung stets zugunsten des Angeklagten aus?

Nein, das trifft nicht zu!

Der Verstoß gegen die Belehrungspflicht des § 136 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 StPO führt nach ständiger Rechtsprechung des BGH im Fall des rechtzeitigen Widerspruchs nicht stets, aber in aller Regel zu einem Verwertungsverbot. Die Norm sichert die Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren. Deshalb fällt die Abwägung regelmäßig zugunsten des Angeklagten aus. Der Grundsatz, dass niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht, also ein Schweigerecht hat, gehört zu den anerkannten Prinzipien des Strafprozesses, entspricht der Achtung der Menschenwürde und ist zeitgleich maßgeblich für die gesamte Prozessstrategie des Angeklagten.Eine Ausnahme gilt etwa, wenn der Angeklagte seine Rechte trotz unterlassener Belehrung kannte.

3. Ein Verstoß gegen § 136 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 StPO kann immer dadurch „geheilt“ werden, dass die Vernehmung einfach wiederholt wird.

Nein!

Hat der Beschuldigte zunächst bei einer Zeugenvernehmung ohne ordnungsgemäße Belehrung ausgesagt oder ein Geständnis abgelegt und sagt er nach Belehrung erneut aus, so stellt sich die Frage, ob die zweite Aussage verwertet werden kann oder der Fehler aus der ersten Vernehmung „fortwirkt“. Eine Verwertung der späteren Vernehmung kommt nur dann in Betracht, wenn der Beschuldigte die frühere Aussage bestätigt und nicht nur ergänzt und er vor der zweiten Aussage qualifiziert belehrt wurde. Eine qualifizierte Belehrung bedeutet, dass der Beschuldigte zusätzlich zur Belehrung nach § 136 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 StPO darauf hingewiesen wird, dass wegen der bisher unterbliebenen Belehrung die frühere Aussage unverwertbar ist. Wird der Beschuldigte bei der zweiten Vernehmung zwar nach § 136 Abs. 1 S. 2, nicht aber qualifiziert belehrt, ist über die Frage der Verwertbarkeit der neuen Aussage durch Abwägung im Einzelfall zu entscheiden.

4. A wurde vor seinem zweiten Geständnis qualifiziert belehrt.

Genau, so ist das!

Bestand zunächst ein Beweisverwertungsverbot wegen einer unterbliebenen Belehrung nach § 136 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 StPO, so muss der Beschuldigte qualifiziert belehrt werden, sofern die Vernehmung wiederholt wird. Eine qualifizierte Belehrung bedeutet, dass der Beschuldigte zusätzlich zur Belehrung nach § 136 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 StPO darauf hingewiesen wird, dass wegen der bisher unterbliebenen Belehrung die frühere Aussage unverwertbar ist. Das Gericht hat A belehrt und darauf hingewiesen, dass As frühere Aussage unverwertbar ist.

5. Die Verwertung des Inhalts von As Vernehmung im Prozess verstößt gegen § 261 StPO.

Nein, das trifft nicht zu!

Besteht ein Beweisverwertungsverbot und wird das betroffene Beweismittel dennoch im Urteil verwertet, liegt darin ein Verstoß gegen § 261 StPO. Ist das Ergebnis einer Vernehmung wegen einer fehlenden Belehrung unverwertbar, so wirkt sich dies auf eine nachfolgende Aussage aus (= Fortwirkung des Beweisverwertungsverbots), wenn keine qualifizierte Belehrung des Beschuldigten erfolgte.A wurde durch das Gericht qualifiziert über die Unverwertbarkeit seiner Aussage belehrt. Somit durfte die erneute Aussage im Urteil verwertet werden, das vorherige Beweisverwertungsverbot wird gerade nicht fort. Ein Verfahrensfehler liegt nicht vor.
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