Verstoß gegen Richtervorbehalt bei der Durchsuchung (§ 105 Abs. 1 StPO)

25. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird aufgrund von Beweisen aus einer Wohnungsdurchsuchung (§ 102 StPO) verurteilt. Staatsanwältin S ordnete diese selbst an, ohne eine richterliche Anordnung überhaupt in Erwägung zu ziehen. S dokumentierte keine Gefahr für den Verlust von Beweismitteln.

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Einordnung des Falls

Verstoß gegen Richtervorbehalt bei der Durchsuchung (§ 105 Abs. 1 StPO)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wenn die Beweise, die S aus der Wohnungsdurchsuchung gewonnen hat, einem Beweisverwertungsverbot unterliegen, so verstößt die Verwertung der Beweise im Urteil gegen § 261 StPO.

Ja, in der Tat!

Gegenstand der freien Beweiswürdigung nach § 261 StPO können nur solche Beweismittel sein, deren Verwertung zulässig ist. Besteht hinsichtlich eines Beweismittels ein Verwertungsverbot, so verstößt das Gericht gegen § 261 StPO, wenn es sein Urteil dennoch auf dieses Beweismittel stützt. Sofern die Beweise aus der Wohnungsdurchsuchung unverwertbar sind, hat das Gericht bei As Verurteilung gegen § 261 StPO verstoßen. Der Einstieg in die Prüfung eines Verfahrensfehlers sollte immer die Norm sein, die den Verfahrensfehler begründet. Erst im zweiten Schritt prüfst du – quasi inzident – die Grundlage für den Vefahrensfehler (hier: Bestehen eines Beweisverwertungsverbots). Damit zeigst Du von Anfang an, dass Du weißt, was Gegenstand der Revision ist (nämlich der Verstoß gegen § 261 StPO).
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2. Ein Beweisverwertungsverbot könnte sich aus einer rechtswidrigen Durchsuchung ergeben. Darf immer nur ein Richter eine Durchsuchung anordnen (§ 105 Abs. 1 S. 1 StPO, Art. 13 Abs. 2 GG)?

Nein!

Die Anordnung der Durchsuchung ist zunächst grundsätzlich dem Richter vorbehalten (§ 105 Abs. 1 S. 1 StPO, Art. 13 Abs. 2 GG). Bei Gefahr im Verzug kann die Anordnung aber ausnahmsweise durch die Ermittlungsbehörden, namentlich die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen, getroffen werden. Der Richtervorbehalt bezweckt eine vorbeugende Kontrolle der Durchsuchungsanordnungen durch eine unabhängige neutrale Instanz. Durch Art. 13 Abs. 2 GG erhält der Richtervorbehalt sogar Verfassungsrang. Als „Kontrollorgan der Strafverfolgungsbehörden“ prüft das Gericht eigenverantwortlich die Voraussetzungen für den Erlass einer Durchsuchungsanordnung.

3. S könnte hier wegen Gefahr im Verzug zuständig gewesen sein (§ 105 Abs. 1 S. 1 StPO). Liegt Gefahr im Verzug dann vor, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme gefährdet wird?

Genau, so ist das!

Der Begriff der Gefahr im Verzug ist eng auszulegen, denn die Inanspruchnahme der Eilkompetenz bewirkt eine erhebliche Minderung des Schutzes aus Art. 13 Abs. 1 GG. Gefahr im Verzug ist nur anzunehmen, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme (regelmäßig die Sicherstellung von Beweismitteln) gefährdet wird. Die Strafverfolgungsbehörden sollen dadurch in die Lage versetzt werden, einen Beweismittelverlust zu verhindern. Es liegt keine richterliche Anordnung der Durchsuchung vor. Diese ist daher nur rechtmäßig, wenn S eine Eilkompetenz zustand.

4. Bevor eine Eilkompetenz angenommen werden kann, muss i.d.R. zunächst versucht werden, einen Richter mit der Sache zu befassen. Hat S Vorgehen gegen § 105 Abs. 1 S. 1 StPO, Art. 13 Abs. 2 GG verstoßen?

Ja, in der Tat!

Gefahr im Verzug ist nur anzunehmen, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme (regelmäßig die Sicherstellung von Beweismitteln) gefährdet wird.Vorliegend hat S eine Anrufung des Ermittlungsrichters nicht einmal erwogen. Zumindest der Versuch, den Richter mit der Sache zu befassen, wird regelmäßig von den Ermittlungsbehörden zu fordern sein. Dass eine Gefahr des Beweismittelverlustes vorläge, die ein solches Handeln entbehrlich machen würde, ist aus den Unterlagen nicht ersichtlich. Es liegt ein Verstoß gegen den Richtervorbehalt (§ 105 Abs. 1 S. 1 StPO, Art. 13 Abs. 2 GG) vor.

5. Die Missachtung des Richtervorbehalts führt immer dazu, dass die in der Durchsuchung gewonnenen Beweismittel nicht verwertet werden dürfen.

Nein!

Nach der h.M. ist das Interesse des Staates an einer funktionierenden Strafrechtspflege ist gegen das Interesse des Angeklagten an der Wahrung seiner Rechte abzuwägen (Abwägungslehre). Ein Beweisverwertungsverbot kommt nur bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen in Betracht, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen werden. So kann ein Verwertungsverbot angenommen werden, wenn die von der Verfassung vorgesehene Regelzuständigkeit des Richters dadurch unterlaufen wird, dass mit dem Antrag an den Richter so lange zugewartet wird, bis eine Gefahr des Beweismittelverlustes droht.

6. Weil S nicht einmal in Erwägung zog, die Ermittlungsrichterin zu kontaktieren, handelte S willkürlich. Liegt damit ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der Beweismittel, die aus der Durchsuchung stammen, vor?

Genau, so ist das!

Das Interesse des Staates an einer funktionierenden Strafrechtspflege ist gegen das Interesse des Angeklagten an der Wahrung seiner Rechte abzuwägen. Ein Beweisverwertungsverbot kommt nur bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen in Betracht, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen werden.Da S von vorneherein nicht erwog, die Ermittlungsrichterin anzurufen und nicht einmal die grundlegende Voraussetzung des Beweismittelverlustes dokumentierte, missachtet S hier in willkürlicher Weise die grundlegende Bedeutung des Richtervorbehalts. Ein Beweisverwertungsverbot ist aufgrund des schwerwiegenden Verstoßes anzunehmen. In der Verwertung des Beweises durch das Gericht liegt ein Verstoß gegen § 261 StPO.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Andeutungstheorie

Andeutungstheorie

14.9.2024, 10:00:04

Ist hier nicht auch ein Widerspruch in der HV notwendig?

DRCS

DrCS

5.10.2024, 13:24:46

@[

Andeutungstheorie

](164712) Zwischen den Senaten besteht da (meines Wissens nach immer noch) Uneinigkeit. Nach dem 2. Senat des BGH ist ein Widerspruch nicht erforderlich; auch wird keine Beanstandung der Beweiserhebung durch den Vorsitzenden nach §

238 II StPO

gefordert werden. Arg. Die Verwertung sei, anders als bei Verstößen gegen §§ 136,

163a StPO

, nicht

disponibel

. Nach dem 5. Senat BGH ist für die Rüge unzulässiger Verwertung jedenfalls ein Widerspruch in der HV erforderlich. Zur Sicherheit sollte daher jedenfalls immer ein Widerspruch eingelegt werden und in der Klausur lässt sich dann wohl beides vertreten (hoffe ich.... :D)


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