Gutgläubiger Pfandrechtserwerb nach § 366 Abs. 3 HGB

19. Februar 2025

5 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

D lagert den Gabelstapler des E gegen dessen Willen im Lager des L ein. Als E die Maschine von L herausverlangt, macht L wegen der Lagerkosten ein Pfandrecht an der Maschine geltend. L hat D für befugt gehalten, den Lagervertrag über den Gabelstapler abzuschließen. ‌

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Einordnung des Falls

Gutgläubiger Pfandrechtserwerb nach § 366 Abs. 3 HGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. L könnte an dem Gabelstapler ein Pfandrecht nach § 475b Abs. 1 HGB erworben haben.

Ja, in der Tat!

Das Pfandrecht des Lagerhalters entsteht kraft Gesetz. Der Lagerhalter erwirbt für alle Forderungen aus dem Lagervertrag ein Pfandrecht, wenn (1) ein wirksamer Vertrag besteht und (2) er Besitz am Lagergut hat. Objekt des Pfandrechts ist das gesamte Lagergut, also alle Sachen, die der Lagerhalter einlagern soll.
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2. Hatte D die Ermächtigung mit L einen Lagervertrag abzuschließen?

Nein!

Voraussetzung für einen wirksamen Lagervertrag und damit auch das Entstehen des Pfandrechts nach § 475b HGB ist, dass der Eigentümer bzw. ein von ihm ermächtigter Vertreter mit dem Lagerhalter einen Einlagerungsvertrag schließt. L wusste, dass D nicht Eigentümer des Gabelstaplers war. Zudem fehlte D die Berechtigung einen entsprechenden Lagervertrag abzuschließen. Ein Erwerb des Pfandrechts direkt nach § 475b HGB scheidet damit aus.

3. Können gesetzliche Pfandrechte im allgemeinen Zivilrecht gutgläubig erworben werden?

Nein, das ist nicht der Fall!

Gesetzliche Pfandrechte können nach h.M. grundsätzlich nicht gutgläubig erworben werden. § 1207 BGB ist nicht direkt anwendbar, da die Regelung sich nur auf vertraglich bestellte Pfandrechte bezieht. Die Norm findet auch nicht über § 1257 BGB Anwendung, da diese sich nur auf bereits bestehende Pfandrechte bezieht. Hier geht es aber um den Ersterwerb und eben nicht um ein bestehendes gesetzliches Pfandrecht. Auch eine analoge Anwendung ist nach h.M. ausgeschlossen.Mehr dazu findest Du auch in folgendem Fall: hier

4. Bei speziellen handelsrechtlichen, gesetzlichen Pfandrechten kommt ausnahmsweise auch ein gutgläubiger Erwerb in Betracht (§ 366 Abs. 3 HGB).

Ja, in der Tat!

Über § 366 Abs. 3 S. 1 HGB kommt ausnahmsweise auch der gutgläubige Erwerb von speziellen handelsrechtlichen, gesetzlichen Pfandrechten in Betracht. Wichtig: Geschützt wird hier der gute Glaube daran, dass der Schuldner gegenüber dem Eigentümer befugt ist, den Tatbestand herzustellen, aus dem das gesetzliche Pfandrecht folgt. Anders als bei § 366 Abs. 1 HGB geht es dabei also nicht um die Verfügungsbefugnis, da das Pfandrecht gesetzlich und nicht rechtsgeschäftlich entsteht. Vielmehr geht es um die Berechtigung die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für die Entstehung des gesetzlichen Pfandrechts zu schaffen (Verfügungsmacht), also insbesondere den entsprechenden schuldrechtlichen Vertrag schließen zu können. Anders als bei § 366 Abs. 1 HGB ist es zudem nicht notwendig, dass der Schuldner Kaufmann ist.

5. Hat L hier wirksam ein Pfandrecht an dem eingelagerten Gabelstapler erworben (§ 475b Abs. 1 iVm § 366 Abs. 3 HGB)?

Ja!

Der Lagerhalter erwirbt für alle Forderungen aus dem Lagervertrag ein Pfandrecht, wenn (1) ein wirksamer Vertrag besteht und (2) er Besitz am Lagergut hat. Nach § 366 Abs. 3 HGB wird auch der gute Glaube an die Berechtigung des Vertragspartners zum Abschluss des Vertrages geschützt. Für E schloss D den Vertrag mit L. L ging dabei davon aus, dass D zum Vertragsschluss und zur Übergabe des Gabelstaplers berechtigt war. Der Gabelstapler wurde übergeben. L hat somit ein Pfandrecht an dem Gabelstapler erworben. Dieses kann er dem Herausgabeanspruch des E entgegenhalten.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

LENA

Lena

8.11.2024, 17:19:06

mir ist hier nicht klar, wieso der Lagervertrag unwirksam ist? kann ein Lagervertrag nur jeweils für eine ganz bestimmte Sache geschlossen werden? (wie beim Bestimmtheitsgrundsatz im Sachenrecht) und ist somit ein Lagervertrag über Sachgesamtheiten oder noch nicht festgelegte Gegenstände nicht möglich? woraus ergibt sich, dass derjenige der den Lagervertrag schließt, Eigentümer bzw. ein von ihm ermächtigter Vertreter sein muss? Der Lagervertrag dürfte doch nur ein

Verpflichtungsgeschäft

sein oder?

MenschlicherBriefkasten

MenschlicherBriefkasten

20.11.2024, 12:07:54

Der Vertrag ist unwirksam, weil D mangels Vertretungsmacht keinen Vertrag im Namen des E mit L abschließen konnte. Zur dritten Frage: dies ergibt sich aus den Grundsätzen der Stellvertretung, §§ 164 ff. BGB. Zur vierten Frage: ja, das ist der Fall.

FalkTG

FalkTG

12.12.2024, 09:19:25

Wer muss den Kaufmann sein? Der Einlagernde oder der Lagerhalter?

ŠEK

Šeki26

6.2.2025, 11:23:40

Besondere Eigenschaften an den Vertragspartner sind hier nicht erforderlich. Es muss nur ein von Abs.3 erfasster Vertrag abgeschlossen worden sein. Vgl. u.a. MüKoHGB/Martens HGB § 366 Rn. 49

RYD

Ryd

21.12.2024, 22:22:22

Habe ich das also richtig verstanden, dass sich gemäß §

366 III HGB

nach eurer Lösung insofern auswirkt, als dass das

Verpflichtungsgeschäft

des Lagervertrags wirksam ist? (mal angenommen es handelt sich hier um Kaufleute, was aus dem Sachverhalt schon nicht hervorgeht) Also praktisch dann ein Rechtsschein hinsichtlich der Vertretungsmacht durch guten Glauben begründet wird? Es wirkt fast so, als ob bei der Lösung das

Trennungsprinzip

überhaupt gar nicht beachtet wurde.


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