Berufsausübungsregelung: Kontrollfall 2

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Heilpraktikerin H ist ein großer Beauty-Fan und nimmt an ihren Patienten Botox-Injektionen vor. Das Ärztegesetz des Landes L erlaubt dies zum Gesundheitsschutz der Bevölkerung alleinig Ärzten. Darüber hinaus normiert das Gesetz, dass Injektion nicht ohne vorherige ausführliche medizinische Aufklärung erfolgen dürfen.

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Einordnung des Falls

Berufsausübungsregelung: Kontrollfall 2

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Mit zunehmender Eingriffsintensität einer Regelung, die mit Hilfe der Drei-Stufen-Theorie bestimmt wird, nimmt der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ab.

Genau, so ist das!

Nach der Drei-Stufen-Theorie werden Regelungen, die in den Schutzbereich der Berufsfreiheit eingreifen nach zunehmender Eingriffsintensität in drei Stufen unterteilt: (1) Berufsausübungsregelungen (2) subjektive Zulassungsvoraussetzungen und (3) objektive Zulassungsschranken. Mit höherer Eingriffsstufe steigen die Anforderungen an an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs und damit sinkt der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, der die Regeln macht. Denn je schwerer der Eingriff in den Schutzbereich der Berufsfreiheit wiegt, desto stärker werden die Anforderungen an eine Rechtfertigung durch das Grundrecht selbst determiniert, damit dessen Schutzgehalt nicht leer läuft. Merke also: Je schwerer der Eingriff, desto schwieriger ist spiegelbildlich auch die Rechtfertigung zu begründen. Dies kennst Du bereits aus der klassischen Verhältnismäßigkeit.
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2. Auch bei Anwendung der Drei-Stufen-Theorie als besondere Ausprägung der Verhältnismäßigkeit muss die einschränkende Regelung einen legitimen Zweck verfolgen.

Ja, in der Tat!

Die Drei-Stufen-Theorie wird als besondere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen der Berufsfreiheit angewendet (Art. 12 Abs. 1 GG). Daher muss die Drei-Stufen-Lehre in die bekannte Verhältnismäßigkeitsprüfung „eingebaut“ werden. Eine die Berufsfreiheit einschränkende Regelung muss daher ganz klassisch zunächst einen legitimen Zweck verfolgen. Ein legitimer Zweck ist ein solcher, der auf das Allgemeinwohl gerichtet und erlaubt ist.

3. Im Rahmen der klassischen Verhältnismäßigkeit muss die Regelung zur Verfolgung des legitimen Zwecks geeignet sein. Die Drei-Stufen-Theorie verzichtet auf diesen Punkt.

Nein!

Die Drei-Stufen-Theorie ist lediglich eine besondere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Daher muss die Drei-Stufen-Lehre in die bekannte Verhältnismäßigkeitsprüfung „eingebaut“ werden und folgt – bis auf die neu entwickelte Stufen-Kategorisierung – der klassischen Prüfung. Eine die Berufsfreiheit einschränkende Regelung muss daher zur Verfolgung des legitimen Zwecks geeignet sein. Eine Geeignetheit liegt vor, wenn die gewählte Maßnahme den verfolgten Zweck zumindest fördert.

4. Bei der Prüfung von Erforderlichkeit und Angemessenheit wird die Drei-Stufen-Lehre in der Prüfung angesprochen.

Genau, so ist das!

Die Drei-Stufen-Theorie ist eine besondere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und wird in dessen bekannte Prüfung „eingebaut“. Eine die Berufsfreiheit einschränkende Regelung muss daher zur Verfolgung des legitimen Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sein. Die Erforderlichkeit ist erfüllt, wenn das angestrebte Ziel nicht genauso effektiv durch eine mildere Regelung derselben oder einer niedrigeren Stufe der Drei-Stufen-Theorie hätte erreicht werden können. Angemessen ist die Regelung, wenn sie die jeweiligen spezifischen Rechtfertigungsgründe der einschlägigen Eingriffsstufe erfüllt. Teilweise ist die Abgrenzung im Rahmen der Erforderlichkeit nicht ganz trennscharf. Hier ist vor allem ausschlaggebend, dass Du sauber argumentierst und begründest, warum Du eine Regelung einer bestimmten Stufe zuordnest und wie diese im Verhältnis zu anderen infrage kommenden Regelungen einzuordnen ist.

5. Das Ärztegesetz in L, welches das Injizieren von Botox und Fillern alleinig Ärzten vorbehält, ist eine Berufsausübungsregelung.

Nein, das trifft nicht zu!

Stufe 1 der Drei-Stufen-Theorie beinhaltet Regelungen, die eine eher geringe Beeinträchtigung der Berufsfreiheit mit sich ziehen und das „Wie“ der Ausübung der beruflichen Tätigkeit betreffen. Das Ärztegesetz in L behält die Durchführung jedweder medizinischer Eingriffe, wie das Verabreichen von Botox, alleinig Ärzten vor und regelt damit nicht ausschließlich das „Wie“ des Berufs. Vielmehr handelt es sich um eine Zugangsbeschränkung zur Ausübung der medizinischen Praxis, die an das Vorliegen der subjektiven Zulassungsvoraussetzung einer Ärztezulassung knüpft. Es handelt sich nicht um eine Berufsausübungsregelung, sondern um eine subjektive Zulassungsvoraussetzung.

6. Die Regelung im Ärztegesetz kann als subjektive Zulassungsvoraussetzung mit vernünftigen Erwägungen des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden.

Nein!

Stufe 1 der Drei-Stufen-Theorie beinhaltet Regelungen, die eine eher geringe Beeinträchtigung der Berufsfreiheit mit sich ziehen und durch vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden können. Auf Stufe 2 stehen subjektive Zulassungsvoraussetzungen als etwas schwerer wiegende Eingriffe. Diese können durch den Schutz eines überragenden Gemeinschaftsguts gerechtfertigt werden, das Vorrang vor der Freiheit des Einzelnen hat. Die Regelung im Ärztegesetz stellt eine subjektive Zulassungsvoraussetzung dar. Anders als Berufsausübungsregelungen, die bereits durch vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden können, ist auf Stufe 2 der Schutz eines überragenden Gemeinschaftsguts notwendig, welches der Freiheit des Einzelnen vorgeht. Der Gesundheitsschutz der Bevölkerung ist ein solch überragendes Gemeinschaftsgut, daher muss die subjektive Freiheit der H, als Heipraktikerin Injektionen vorzunehmen, zurücktreten. Die Regelung im Ärztegesetz ist gerechtfertigt.

7. Die Bestimmung, Injektionen nicht ohne medizinische Aufklärung durchzuführen, ist als Berufsausübungsregelung mit Allgemeinwohlerwägungen zu rechtfertigen.

Genau, so ist das!

Stufe 1 der Drei-Stufen-Theorie beinhaltet Regelungen, die das „Wie“ der Berufsausübung regeln und eine eher geringe Beeinträchtigung der Berufsfreiheit mit sich ziehen. Sie können durch vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden. Die Regelung im Ärztegesetz, Injektionen nicht ohne vorherige medizinische Aufklärung durchzuführen, regelt das „Wie“ der Ausübung von Injektions-Behandlungen und kann bereits durch vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden. Das im Gesetz genannte Ziel des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung ist ein überragendes Gemeinschaftsgut und übertrifft damit die Voraussetzung der Gemeinwohlerwägung als Mindestvoraussetzung der Rechtfertigung für Eingriffe der Stufe 1 (sogenannter Erst-Recht-Schluss). Die Regelung ist somit gerechtfertigt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Kathi

Kathi

22.8.2024, 12:49:01

Die eine Antwort scheint falsch zu sein. Die subjektive Zulassungsvoraussetzung (Injektionen nur durch Ärzte) ist mit dem Allgemeinwohl zu rechtfertigen -> Diese Aussage muss stimmen (wird als falsch markiert).

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

27.8.2024, 10:05:48

Hallo @[Kathi](189118), danke für den Hinweis. Tatsächlich ist die Aufgabe richtig. Die Frage zielt darauf ab, die Unterscheidung zwischen „vernünftigen“ und „zwingenden“ Gründen des Allgemeinwohls zu treffen. Die angesprochene Regelung ist eine subjektive Zulassungsvoraussetzung. Anders als

Berufsausübungsregelung

en, die bereits durch vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden können, ist auf Stufe 2 der Schutz eines überragenden Gemeinschaftsguts notwendig, welches der Freiheit des Einzelnen vorgeht. Die Frage, ob die Regelung aus vernünftigen Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt ist, ist daher zu verneinen. Ich hoffe, ich konnte Dir damit weiterhelfen. Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team


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