Öffentliches Recht

Grundrechte

Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit (Art. 4 GG)

Religiöse Erziehung II (Drittwirkung / Kollision von Grundrechten)

Religiöse Erziehung II (Drittwirkung / Kollision von Grundrechten)

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Mutter M erzieht ihre 15-Jährige Tochter T im Sinne des Islams. Seitdem T mit dem coolen Klassenkameraden K ausgeht, der seinerseits glühender Hinduist ist, wendet sich T vom Islam ab. Stattdessen besucht sie den lokalen Hindu-Tempel mit K. M ist außer sich vor Wut und meint, darüber habe immer noch sie zu entscheiden.

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Einordnung des Falls

Religiöse Erziehung II (Drittwirkung / Kollision von Grundrechten)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Entscheidung der T, sich dem Hinduismus zuzuwenden und den Hindu-Tempel mit K zu besuchen, ist von ihrer Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) gedeckt.

Genau, so ist das!

Das Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) schützt die Freiheit, religiöse Überzeugungen zu bilden oder sich diesen anzuschließen (forum internum) sowie seinen Glauben nach außen zu tragen und dementsprechend zu handeln (forum externum). Indem T sich dem Hinduismus zuwendet und den Hindu-Tempel besucht, bildet sie eine religiöse Überzeugung (forum internum) und trägt diese nach außen (forum externum). Ihr Verhalten fällt somit in den Schutzbereich der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG).
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2. M obliegt ein elterliches Erziehungsrecht, welches ihr gestattet, ihre Tochter T grundsätzlich im Sinne ihrer eigenen Religion aufzuziehen.

Ja, in der Tat!

Art. 6 Abs. 2 GG regelt das sogenannte elterliche Erziehungsrecht. Erfasst von Art. 6 Abs. 2 GG ist neben dem Recht der Eltern, über allgemeine Fragen der Kindererziehung zu entscheiden, auch die religiöse Erziehung der eigenen Kinder, etwa Kinder taufen zu lassen oder mit zur Messe zu nehmen. Indem M ihre Tochter T im Sinne des Islams erzog, machte sie von ihrem elterlichen Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) Gebrauch. Dieses umfasst das elterliche Recht, die Kinder religiös zu erziehen.

3. Die 15-Jährige T hat der religiösen Erziehung ihrer Mutter M Folge zu leisten und darf sich nicht gegen den Willen der M dem Hinduismus zuwenden.

Nein!

Die Glaubensfreiheit des Kindes (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) steht im Konfliktfall dem elterlichen Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) gegenüber, welches auch die religiöse Erziehung des Kindes einschließt. Das KErzG normiert als verfassungskonforme einfachgesetzliche Regelung das Verhältnis der beiden Grundrechte. Nach § 5 KErzG ist ein Kind nach Vollendung des 14. Lebensjahrs religionsmündig. Entscheidungen bezüglich des eigenen Glaubens trifft es ab dann selbst. Die 15-Jährige T ist religionsmündig im Sinne des § 5 KErzG. Ihr steht die Entscheidung zu, nach welchem Bekenntnis sie leben möchte. Das elterliche Erziehungsrecht der M (Art. 6 Abs. 2 GG) steht der autonomen Entscheidungsfähigkeit der T nicht entgegen. Achtung! Da es hier an einer klassischen Eingriffskonstellation fehlt, handelt es sich um einen Fall der mittelbaren Drittwirkung. In der Regel begegnen dir diese Fälle in der Klausur in Form eines Urteils, das der beschwerte Grundrechtsträger meist mithilfe einer Verfassungsbeschwerde angreifen möchte.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Burumar🐸

Burumar🐸

4.7.2024, 15:14:36

Aufbereitung der Fälle zur religösen Bescheidung von Jungen und Mädchen, wäre hier vielleicht sinnvoll.

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

23.10.2024, 17:07:02

Hallo Burumar🐸, vielen Dank für Deinen Vorschlag! Wir haben ihn notiert und werden in einer der nächsten Redaktionssitzungen prüfen, inwiefern wir hierzu unsere Lerninhalte entsprechend anpassen bzw. noch weitere Aufgaben mit aufnehmen können. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team

ROBE

Robert

5.10.2024, 16:13:21

In einer der Frage-Antwort-Kombinationen wird behauptet, dass die Eltern ein religiöses Erziehungsrecht für das Kind haben. Laut Sachverhalt ist das Kind aber schon 15. Die „richtige“ Antwort ist wohl falsch. 

LELEE

Leo Lee

6.10.2024, 10:45:04

Hallo Robert, vielen Dank für diesen sehr wichtigen Hinweis! In der Tat hast du Recht, dass aufgrund des Alters der T eine Entscheidungsfreiheit des Kindes angenommen werden muss; deshalb ist die Antwort auf die dritte Frage, die explizit Bezug auf Ts Alter nimmt, mit "falsch" hinterlegt. Die zweite Frage - worauf du dich beziehst - meint allerdings die grundsätzliche Befugnis der Eltern, ihre Kinder - bis eben zum Mündigkeitsalter - in ihrem Sinne religiös zu erziehen. Allerdings war der Fragetext insofern missverständlich, weshalb wir ihn um das Wort "grundsätzlich" ergänzt haben. I.Ü. kann ich hierzu die Lektüre vom Jarass/Pieroth GG 18. Auflage, Jarass Art. 6 Rn. 42 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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