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§ 917 BGB – Begründet eine öffentlich-rechtliche Überfahrtbaulast ein zivilrechtliches Wegerecht?

§ 917 BGB – Begründet eine öffentlich-rechtliche Überfahrtbaulast ein zivilrechtliches Wegerecht?

15. Juni 2025

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K und B sind Eigentümer benachbarter Grundstücke, die durch Grundstücksteilung entstanden sind. Auf dem Wohngrundstück von K befinden sich im Hof zwei Garagen. Das Grundstück grenzt an eine öffentliche Straße. Die Zufahrt zu den Garagen erfolgt über einen gepflasterten Weg, der über das Grundstück von B verläuft.

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Einordnung des Falls

§ 917 BGB – Begründet eine öffentlich-rechtliche Überfahrtbaulast ein zivilrechtliches Wegerecht?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K verklagt B darauf, dass sie die Benutzung ihres Nachbargrundstücks als Notweg zu Ks Grundstücks duldet. Könnte sich der Anspruch aus § 917 Abs. 1 BGB ergeben?

Ja, in der Tat!

Der Anspruch auf Duldung der Benutzung aus § 917 Abs. 1 BGB setzt voraus: (1) Verlangen der Benutzungsduldung (= empfangsbedürftige Willenserklärung) (2) Anspruchsteller ist Eigentümer des Grundstücks (3) Dem Grundstück fehlt eine für seine ordnungsgemäße Benutzung notwendige Verbindung zu einem öffentlichen Weg (4) Die Benutzung des Nachbargrundstücks (Verbindungsgrundstück) ist für die ordnungsmäßige Nutzung des Grundstücks notwendig (5) Kein Ausschluss nach § 918 BGB Die Prüfungsreihenfolge ist nicht zwingend. Wenn eine tatbestandliche Willenserklärung fehlen sollte (z.B. auch Anfechtungs- oder Rücktrittserklärung) kannst du im 1. Examen leicht Schwerpunkte setzen: Du kannst (1) den Anspruch oder die Einwendung/Einrede direkt daran scheitern lassen oder (2) erst die übrigen Voraussetzungen prüfen, wenn hier erkennbar ein Schwerpunkt der Klausur liegen sollte. Denke dabei auch immer an den Bearbeitervermerk. Gegebenenfalls reicht der Hinweis, dass die Rechtsausübung noch (fristgerecht) erklärt werden kann und muss. Im 2. Examen solltest Du die Erklärung als Erstes prüfen. Es wäre verfehlte Schwerpunktsetzung, wenn Du z.B. im Urteil alle Voraussetzungen detailliert prüfst, obwohl eine zwingende Erklärung unterblieben ist.
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2. K hat die Benutzungsduldung verlangt und ist Eigentümerin des Grundstücks. Müsste dem Grundstück die für seine ordnungsmäßige Benutzung erforderliche Verbindung zu einem öffentlichen Weg fehlen (§ 917 BGB)?

Ja!

Welche Art der Benutzung eines Grundstücks ordnungsmäßig i.S.v. § 917 Abs. 1 S. 1 BGB ist, wird nicht nach den persönlichen Bedürfnissen des Eigentümers bestimmt. Maßgeblich ist, was nach objektiven Gesichtspunkten für dieses Grundstück angemessen ist und den wirtschaftlichen Verhältnissen entspricht. Zu berücksichtigen sind im Einzelfall die Benutzungsart und Größe des Grundstücks, seine Umgebung und die sonstigen Umstände des Einzelfalls.

3. Das Grundstück von K ist ein Wohngrundstück. Muss man dies berücksichtigen, wenn man feststellen will, was für die ordnungsgemäße Benutzung des Grundstücks erforderlich ist?

Genau, so ist das!

Die ordnungsgemäße Benutzung (§ 917 Abs. 1 S. 1 BGB) eines Wohngrundstücks setzt nach st.Rspr. des BGH in der Regel nur die Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen voraus. Von der Erreichbarkeit abzugrenzen ist das Interesse eines Eigentümers, auf sein Grundstück zu fahren und dort Kraftfahrzeuge abzustellen. Objektiv ist das Abstellen von Kraftfahrzeugen auf dem Grundstück für den Wohnzweck nicht notwendig. In derart gelagerten Fällen zeugt es von guter Schwerpunktsetzung, wenn Du direkt zum Zweck der Benutzung (hier: wohnen) kommst. In Deiner Klausur (oder Hausarbeit) kann es aber erforderlich sein, noch kleinschrittiger vorzugehen. Dann solltest Du Stück für Stück herausarbeiten, (1) worin die ordnungsgemäße Benutzung liegt, (2) was sie grundsätzlich voraussetzt und (3) ob eine für diese Benutzung notwendige Verbindung besteht. Hier wird von Dir aber regelmäßig kein Detailwissen verlangt. Vielmehr wird man Dir im Sachverhalt einige Argumente an die Hand geben, damit Du herausstellen kannst, was konkret notwendig i.S.v. § 917 Abs. 1 S. 1 BGB ist.

4. Das Grundstück von K kann mit Kraftfahrzeugen angefahren werden. Fehlt dem Grundstück eine Verbindung zu einem öffentlichen Weg, die für die ordnungsgemäße Benutzung zum Wohnen notwendig ist?

Nein, das trifft nicht zu!

Die ordnungsgemäße Benutzung eines Wohngrundstücks setzt in der Regel nur die Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen voraus. Objektiv ist das Abstellen von Kraftfahrzeugen auf dem Grundstück für den Wohnzweck nicht notwendig. Das Wohngrundstück von K grenzt an einen öffentlichen Weg an. Es kann also mit einem Kraftfahrzeug erreicht werden. Dass K sein Kraftfahrzeug auf dem Grundstück abstellen will, begründet für sich genommen keine Notwendigkeit für die ordnungsmäßige Benutzung des Wohngrundstücks. Folglich hat das Grundstück eine für seine Benutzung ausreichende Verbindung zu einem öffentlichen Weg und es liegt keine Notsituation nach § 917 Abs. 1 S. 1 BGB vor.

5. K trägt vor, sie habe für die Garagen eine Baugenehmigung. Muss eine öffentlich-rechtliche Baugenehmigung ohne Weiteres bewirken, dass die Zufahrt zu den Garagen zivilrechtlich ordnungsmäßig i.S.v. § 917 Abs. 1 S. 1 BGB ist?

Nein!

Wir prüfen hier, ob das Abstellen von Kraftfahrzeugen in den Garagen aus anderen Gründen eine ordnungsmäßige Benutzung i.S.v. § 917 Abs. 1 S. 1 BGB ist und dem Grundstück deshalb eine notwendige Verbindung fehlt. In Deiner Klausur könntest Du im Anschluss an die vorherige Subsumtion ggf. in einem weiteren Gliederungspunkt derselben Ebene darauf eingehen. BGH: Nach der Rechtsprechung des BGH ist die Benutzung von Garagen zum Abstellen von Kraftfahrzeugen nicht ordnungsmäßig i.S.v. § 917 Abs. 1 S. 1 BGB, wenn für die Garagen keine baurechtliche Genehmigung vorliegt und sie auch nicht genehmigungsfähig sind. Daraus ergibt sich aber nicht im Umkehrschluss, dass die Benutzung einer Garage bei Vorliegen einer Baugenehmigung auch ohne Weiteres ordnungsmäßig i.S.v. § 917 Abs. 1 S. 1 BGB ist. Die öffentlich-rechtliche Baugenehmigung ist „eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung“ für ein Notwegrecht. (RdNr. 12) Ks Notwegerecht ergibt sich nicht allein aus dem Umstand, dass K eine Baugenehmigung für den Bau einer Garage hat, die sie ohne Zufahrt nicht (sinnvoll) nutzen kann.

6. K trägt zudem vor, dass die auf dem Grundstück von B ruhende Überfahrtbaulast eine Duldungspflicht von B i.S.v. § 917 Abs. 1 S. 1 BGB begründe. Ist die Überfahrtbaulast öffentlich-rechtlicher Natur?

Genau, so ist das!

Wir befinden uns weiterhin in der Prüfung, ob das Abstellen von Kraftfahrzeugen in den Garagen von K doch noch ordnungsmäßig i.S.v. § 917 Abs. 1 S. 1 BGB ist. Öffentlich-rechtliche Baulasten verpflichten den Eigentümer des belasteten Grundstücks gegenüber der Behörde zu einem grundstücksbezogenen Tun, Dulden oder Unterlassen. Sie sind in den Landesbauordnungen geregelt (z.B. § 71 LBO BW, § 85 BauO NRW, § 79 HBauO). Die Überfahrtbaulast verpflichtet i.d.R. dazu, eine Zufahrt einzurichten.

7. Wirkt die öffentlich-rechtliche Baulast unmittelbar zwischen den Privaten K und B?

Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Auch die Überfahrtbaulast bewirkt nicht, dass das Abstellen von Fahrzeugen in Garagen ordnungsmäßig i.S.v. § 917 Abs. 1 S. 1 BGB wäre. Die Baulast gewährt als öffentlich-rechtliche Baubeschränkung keinen privatrechtlichen Nutzungsanspruch des Begünstigten. Eine öffentlich-rechtliche Überfahrtbaulast begründet kein zivilrechtliches Wegerecht. Die öffentlich-rechtliche Überbaulast verpflichtet B gegenüber der zuständigen Behörde. Sie begründet aber keinen unmittelbaren Nutzungsanspruch von K gegen B. B ist als Eigentümer des belasteten Grundstücks auch nicht zur privatrechtlichen Duldung i.S.v. § 917 Abs. 1 S. 1 BGB verpflichtet. Auch durch die Überfahrtbaulast ergibt sich kein Anspruch von K gegen B aus § 917 Abs. 1 S. 1 BGB.

8. Hat K nach alledem einen Anspruch gegen B auf Duldung der Benutzung des Nachbargrundstücks aus § 917 Abs. 1 S. 1 BGB?

Nein!

Zur Erinnerung – § 917 Abs. 1 S. 1 BGB prüfst Du wie folgt: (1) Verlangen der Benutzungsduldung (= empfangsbedürftige Willenserklärung) (2) Anspruchsteller ist Eigentümer des Grundstücks (3) Dem Grundstück fehlt eine für seine ordnungsgemäße Benutzung notwendige Verbindung zu einem öffentlichen Weg (4) Die Benutzung des Nachbargrundstücks (Verbindungsgrundstück) ist für die ordnungsmäßige Nutzung des Grundstücks notwendig (5) Kein Ausschluss nach § 918 BGB Das Abstellen von Kraftfahrzeugen in den Garagen ist schon keine i.S.v. § 917 Abs. 1 S. 1 BGB ordnungsmäßige Benutzung des Wohngrundstücks von K. Somit genügt es, dass Ks Grundstück ohne direkte Zufahrt zu den Garagen an einen öffentlichen Weg angrenzt. Die Tatbestandsvoraussetzungen von § 917 Abs. 1 S. 1 BGB sind nicht erfüllt und K hat daraus keinen Anspruch gegen B. Das OLG Hamm hat in einem Fall entschieden, dass öffentlich-rechtliche Baulasten ein Anknüpfungspunkt für eine Duldungspflicht i.S.v. § 1004 Abs. 2 BGB sein können (OLG Hamm, Urt. v. 6.7.2017 – 5 U 152/16, NJOZ 2018, 697 (Rn. 45 ff.). Der BGH hat diese Entscheidung im Originalfall zitiert und dahinstehen lassen, ob die Überfahrtbaulast sich im Rahmen eines Unterlassungsanspruch auswirkt, weil ein solcher nicht Gegenstand der Klage war.

9. Angenommen, K wäre mit seinem Anspruch erfolgreich, hätte B dann einen Anspruch auf Zahlung einer Geldrente gemäß § 917 Abs. 2 BGB?

Genau, so ist das!

Der Anspruch auf Zahlung einer Geldrente (sog. „Notwegrente“) aus § 917 Abs. 2 BGB entsteht mit dem Notwegrecht nach § 917 Abs. 1 BGB. Die Höhe richtet sich nach dem Nutzungsverlust für das Verbindungsgrundstück. Es handelt sich aber nicht um einen Schadensersatzanspruch! Schuldner des Anspruchs ist der Eigentümer des verbindungslosen Grundstücks. Dies ist ein klassischer Fall, in dem eine Widerklage bzw. Hilfswiderklage erhoben werden kann. Daran solltest Du insbesondere im Rahmen einer Anwaltsklausur aus Beklagtensicht bzw. aus Sicht des Eigentümers des Verbindungsgrundstücks denken. Die Rentenhöhe kann im Wege der Schätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO bestimmt werden. Der Fall bietet Dir einen guten Einblick in den eher selten vorkommenden Anspruch aus § 917 Abs. 1 S. 1 BGB. Behalte im Hinterkopf, dass öffentlich-rechtliche Pflichten nicht ohne Weiteres auch zivilrechtliche Rechte und Pflichten begründen. Und vor allem: Lass Dich von „exotischen“ Ansprüchen nicht aus der Fassung bringen. Solange Du nah am Sachverhalt und den dortigen Argumenten arbeitest, sinnvolle Schwerpunkte setzt und dein Handwerkszeug einsetzt, lassen sich auch solche Klausuren erfolgreich lösen!
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