Öffentliches Recht

Verwaltungsrecht AT

Verwaltungsvollstreckung

Abwandlung 1: Rechtswidriger sofortiger Vollzug und Kostenbescheid

Abwandlung 1: Rechtswidriger sofortiger Vollzug und Kostenbescheid

2. Juli 2025

10 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

As Auto steht auf einem Parkplatz für Menschen mit Behinderung, ohne dass A die dafür notwendige Berechtigung besitzt. Polizistin P lässt das Auto daher durch ein Abschleppunternehmen auf einen anderen Parkplatz setzen. A erhält einen Kostenbescheid für die Maßnahme.

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Einordnung des Falls

Abwandlung 1: Rechtswidriger sofortiger Vollzug und Kostenbescheid

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Welche die richtige Rechtsgrundlage für den Erlass des Kostenbescheids ist, richtet sich danach, ob das Umsetzen eine Vollstreckungsmaßnahme ist oder nicht.

Ja, in der Tat!

Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung müssen oft von den polizeirechtlichen Standardmaßnahmen abgegrenzt werden. Denn die Standardmaßnahmen enthalten häufig bereits die Ermächtigung, tatsächlich tätig zu werden (= Ausführungsbefugnis. Hier könnte das Umsetzen zum einen eine Sicherstellung (vgl. z.B. § 26 NPOG, § 43 PolG NRW, § 40 HSOG) oder aber eine Ersatzvornahme (vgl. z.B. § 10 VwVG auf Bundesebene oder landesrechtliche Vorschriften wie § 66 NPOG, § 74 HessVwVG) sein. In der weiteren Aufgabe verwenden wir die bundesrechtlichen Vorschriften der Vollstreckung. In der Klausur musst Du darauf achten, welches Recht Anwendung findet. Dies ergibt sich meistens aus dem Bearbeitervermerk.
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2. Es ist umstritten, wie die Ersatzvornahme von der Sicherstellung abzugrenzen ist.

Ja!

Nach einer Ansicht reicht die bloße (vorübergehende) Inbesitznahme des Gegenstandes, um von einer Sicherstellung auszugehen. Nach der Gegenansicht richtet sich die Abgrenzung der Sicherstellung von der Ersatzvornahme danach, ob es der Behörde darauf ankommt, den Gegenstand in Verwahrung zu nehmen. Dies ist z.B. in der Regel dann der Fall, wenn ein Fahrzeug auf einen Platz des Abschleppunternehmens verbracht wird. Bei einer reinen Umsetzung liegt demnach nur eine Ersatzvornahme vor. Für die zweite Ansicht spricht insbesondere, dass wenn der Fahrer anwesend wäre, ihm aufgegeben werden könnte, sein Fahrzeug umzustellen. Nach der zweiten, vorzugswürdigen Ansicht, war das Umstellen eine Ersatzvornahme.

3. A muss die Kosten der Ersatzvornahme auch dann tragen, wenn diese rechtswidrig war.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Kostentragungspflicht (= Sekundärebene) der Ersatzvornahme beruht auf § 19 Abs. 1 VwVG. Tatbestandlich setzt diese Ermächtigungsgrundlage voraus, dass die Vollstreckungsmaßnahme auf der Primärebene (= „Amtshandlung“) rechtmäßig war. A müsste die Kosten nicht tragen, wenn das Umsetzen des Autos rechtswidrig war. An dieser Stelle prüfst Du in der Klausur inzident die Voraussetzungen der Verwaltungsvollstreckung nach §§ 6 ff. VwVG.

4. Weil P die Ersatzvornahme im sofortigen Vollzug durchgeführt hat, kann A auch die Rechtswidrigkeit des fiktiven Grundverwaltungsakts gegen den Kostenbescheid einwenden.

Ja, in der Tat!

Grundsätzlich hat die Rechtswidrigkeit des Grundverwaltungsakts keine Auswirkungen auf den Kostenbescheid. Eine Ausnahme besteht für den sofortigen Vollzug (§ 6 Abs. 2 VwVG) der Maßnahme. Denn ein Rechtsmittel gegen die sofortige, vollzogene Maßnahme kann diese nicht mehr verhindern. Anders ist es im gestreckten Verfahren (§ 6 Abs. 1 VwVG), in dem zunächst ein Verwaltungsakt ergeht, gegen den der Adressat Rechtsmittel einlegen kann. Hier handelt es sich um eine Maßnahme im Sinne von § 6 Abs. 2 VwVG, da P keinen Grundverwaltungsakt erlassen hat. Ist der fiktive Verwaltungsakt, den P im gestreckten Verfahren hätte erlassen müssen, rechtswidrig, ist auch der Kostenbescheid nach § 19 Abs. 1 VwVG rechtswidrig. Hier prüfst Du inzident die Rechtmäßigkeit des fiktiven Verwaltungsakts. Der fiktive Verwaltungsakt beruht in diesem Fall auf der polizeirechtlichen Generalklausel.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

WAY

WayneEnterprise

1.8.2024, 14:02:30

Liebes Team, Im Text findet sich zwar keine nähere Angabe, wie das Schild in Bezug auf den Behindertenparkplatz ausgestaltet ist, doch wird dieses regelmäßig bereits selbst eine eigene Wegfahranordnung enthalten. So auch in dem Fall, der am Ende verlinkt ist: „Mit dem Abstellen des Reisebusses am Taxenstand hat der Kläger gegen das mit dem Zeichen 229 angeordnete absolute Haltverbot für nichtberechtigte Fahrzeuge und das sich daraus zugleich ergebende Wegfahrgebot verstoßen, das in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO sofort vollziehbar ist“

JAS

Jasmin

20.8.2024, 10:32:50

Du kannst mMn nur auf das Schild abstellen, wenn die für das Schild zuständige

Behörde

auch abgeschleppt hat. Hat aber die Polizei abgeschleppt (von der das Schild nicht stammt) dann liegt kein Grund-VA der Polizei vor und deshalb ist es der

Sofortvollzug

.

BEN

benjaminmeister

26.10.2024, 14:51:40

Müsste es nicht eigentlich nicht die Abgrenzung von

Sicherstellung

und

Generalklausel

sein? Für die

Ersatzvornahme

muss ja erstmal ein Verwaltungsakt ergehen oder zumindest ein fiktiver Verwaltungsakt vorliegen. Beides bedarf einer Rechtsgrundlage, was entweder dann die

Generalklausel

oder die Standardermächtigung

Sicherstellung

ist. Oder liege ich falsch?

Jakob G.

Jakob G.

5.1.2025, 13:25:55

Hat mich zum Nachdenken gebracht :) Die Frage, was Rechtsgrundlage des Grund-VA ist, ist für den

Kostenbescheid

aufgrund des vollstreckungsrechtlichen Trennungsgebots begrenzt relevant. Wichtiger ist, zu unterscheiden, ob es sich mit der

Sicherstellung

um einen Grund-VA im sofortigen Vollzug (verkürztes Verfahren) handelt oder um eine Vollstreckungsmaßnahme im Vollzug zur Gefahrenabwehr handelt. Denn die Normen die zu prüfen sind, unterscheiden sich. Mit anderen Worten ist die Frage nicht, ob das polizeiliche Verhalten von der Standardbefugnis gedeckt ist oder ob daneben ausnahmsweise deren Sperrwirkung gegenüber der

Generalklausel

nicht greift.

Major Tom(as)

Major Tom(as)

8.11.2024, 09:53:03

Liebes Jurafuchs-Team, Ihr schreibt, § 19 I 1 VwVG setze "tatbestandlich" die Rechtmäßigkeit der Maßnahme voraus. Vielleicht wäre es hilfreich, hier im Vertiefungshinweis § 346 I AbgO anzuführen, schließlich verweist § 19 I 1 VwVG auf diesen und dort kann man tatsächlich herauslesen, dass eine Rechtmäßigkeit verlangt wird. Ich denke, das würde einigen helfen. Danke!

Jakob G.

Jakob G.

5.1.2025, 13:04:53

Moin Major Tom(as), nach meiner Auffassung ist die "richtige Behandlung der Sache" nicht deckungsgleich ist mit der Frage der Rechtmäßigkeit der Vollstreckungsmaßnahm. Sie ist vielmehr eine Auffangvorschrift für evident materiell oder formell

rechtswidrig

e Vollstreckungsmaßnahmen. Das ergibt sich schon daraus, dass die für Jurist*innen ungebräuchliche Wortwahl "richtig" anstatt schlicht "rechtmäßig" gewählt wurde. Als Beispiele werden genannt - Vollstreckung zur Nachtzeit ohne Anordnung (§ 289 AO) - Vollstreckung ohne richterlichen Beschluss (etwa im Falle von § 16 VwVG, Ersatz

zwangshaft

) - grobe Verstöße gegen Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850 ff. ZPO Koenig/Zöllner, 5. Aufl. 2024, AO § 346 Rn. 3, 4 Jakob PS. schöner Handle und Wahlspruch^^

Major Tom(as)

Major Tom(as)

6.1.2025, 11:16:16

Hey Jakob, Danke dir für die Anmerkung :) Du hast natürlich Recht, dass die Wortwahl "richtig" nicht deckungsgleich mit "rechtmäßig" ist. Det Grund für meine Lesart: In Bayern gibt es Art. 16 V KG, der bzgl der Kosten quasi wortgleich §346 I AbgO abbildet. Diesen versteht man allg als Argument für die nötige Rechtmäßigkeit des Grund-VA. Aber vielleicht sind wir hier einer typisch bayrischen Besonderheit auf die Schliche gekommen - es braucht ja für so ein wichtiges Bundesland dringend immer mal wieder eine Abweichung ;) ( in diesem Fall aber mE sogar sinnvoll). Auf jeden Fall interessant! Weißt du, wie das in deinem Bundesland ist? LG, Anna PS: Dankeschön :)

yusdix

yusdix

9.4.2025, 20:51:00

Würde man als fiktiven Grund-VA dann die

Sicherstellung

oder die polizeiliche

Generalklausel

prüfen? Es wird in den Hinweisen erwähnt, dass der fiktive Grund-VA rechtmäßig sein muss, jedoch erschließt sich nicht daraus, welcher einschlägig ist.

TI

Timurso

10.4.2025, 12:40:07

Vorliegend wäre es keine

Sicherstellung

, da kein dauerhafter Gewahrsam der Polizei an dem Auto begründet werden soll. Daher

Generalklausel

.

OKA

okalinkk

3.6.2025, 23:55:27

ich dache, die

Sicherstellung

benötige nach hM eine Vollstreckung nach 6 ff VwVG, da sie gerade keine Ausführungsbefugnis enthält. Dann würde es sich doch aber bei der

Sicherstellung

ebenfalls um eine

Ersatzvornahme

/ Vollstreckungsmassnahme handeln, sodass 19 VwVG einschlägig wäre?


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