Öffentliches Recht

Grundrechte

Freiheit des Eigentums (Art. 14 GG)

Verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung - ausnahmsweise Ausgleichspflicht?

Verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung - ausnahmsweise Ausgleichspflicht?

24. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

B ist Eigentümerin einer verfallenen Burg, die wirtschaftlich nicht nutzbar ist. B will sie abreißen. Nach einem neuen Denkmalschutzgesetz wird der Abriss von Kulturdenkmälern generell verboten und Eigentümer verpflichtet, diese zu erhalten. Für den Fall, dass das Gesetz „in sonstiger Weise enteignend“ wirke, sieht es eine angemessene Entschädigung vor.

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Einordnung des Falls

Verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung - ausnahmsweise Ausgleichspflicht?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Liegt ein Eingriff in die Eigentumsfreiheit der B vor (Art. 14 Abs. 1 GG)?

Genau, so ist das!

Ein Eingriff ist jeder staatliche Akt, der die Ausübung eines grundrechtlich geschützten Verhaltens beeinträchtigt oder unmöglich macht. Bezogen auf die Eigentumsfreiheit liegt also ein Eingriff vor, wenn eine geschützte Rechtsposition durch eine staatliche Maßnahme gar nicht mehr geschützt wird oder die Nutzungsbefugnisse im Vergleich zur alten Rechtslage eingeschränkt werden. Durch das neue Denkmalschutzgesetz wird die Art, wie B mit ihrem Eigentum umgehen kann, eingeschränkt. Sie darf nunmehr ihre Burg nicht weiter verwahrlosen lassen. Es liegt also eine Beschränkung der Nutzung ihres Eigentums und damit ein Eingriff vor.
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2. Inhalts- und Schrankenbestimmungen unterliegen einem qualifizierten Gesetzesvorbehalt.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Eigentumsfreiheit unterliegt einem einfachen Gesetzesvorbehalt. Das eingreifende Gesetz (die Inhalts- und Schrankenbestimmung) ist die „Schranke“ des Grundrechts der Eigentumsfreiheit. Das Gesetz muss auch formell und materiell verfassungsgemäß sein („Schranken-Schranke“). Die wichtigste Schranken-Schranke ist wohl die Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der materiellen Verfassungsmäßigkeit. Der Eingriff muss einem legitimen Ziel dienen, geeignet und erforderlich sein, dieses zu erreichen und einen angemessenen Ausgleich zwischen Privatnützigkeit und Sozialbindung des Eigentums finden. Das Denkmalschutzgesetz verfolgt das legitime Ziel der Erhaltung von Kulturgütern. Das Gesetz ist geeignet, dieses zu erreichen. Mildere, gleich geeignete Mittel sind nicht ersichtlich.

3. Inhalts- und Schrankenbestimmungen sind grundsätzlich ausgleichspflichtig.

Nein!

Grundsätzlich sind Inhalts- und Schrankenbestimmungen entschädigungslos hinzunehmen. Etwas anderes gilt in besonders gelagerten Härtefällen, wenn die Anwendung der Inhalts- und Schrankenbestimmung hier mit Blick auf ihre Schwere, Intensität und Dauer zu einer unzumutbaren Belastung des Eigentümers führt und ihm ein Sonderopfer auferlegt. Dabei müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein: (1) Die Entschädigung bedarf einer gesetzlichen Grundlage, (2) sie ist subsidiär zu anderen Instrumenten, wie Übergangsregelungen, Ausnahme- und Befreiungsvorschriften oder sonstigen Vorkehrungen, (3) bei der Vornahme des Eingriffs muss zugleich über einen gegebenenfalls erforderlichen Ausgleich zumindest dem Grunde nach entschieden werden. Merke: Eine Entschädigung bei Inhalts- und Schrankenbestimmungen ist die absolute Ausnahme und subsidiär zu anderen Mitteln, um die Regelung verhältnismäßig auszugestalten.

4. Ist es B ohne Weiteres zumutbar, die wirtschaftlich nicht nutzbare Burg weiterzuunterhalten?

Nein, das ist nicht der Fall!

BVerfG: Wenn selbst ein dem Denkmalschutz aufgeschlossener Eigentümer von einem Baudenkmal keinen vernünftigen Gebrauch machen und es praktisch auch nicht veräußern kann, wird dessen Privatnützigkeit nahezu vollständig beseitigt. Nimmt man die gesetzliche Erhaltungspflicht hinzu, so wird aus dem Recht eine Last, die der Eigentümer allein im öffentlichen Interesse zu tragen hat, ohne dafür die Vorteile einer privaten Nutzung genießen zu können. Die Rechtsposition des Betroffenen nähert sich damit einer Lage, in der sie den Namen „Eigentum“ nicht mehr verdient.

5. Aufgrund des Hinweises auf eine mögliche Entschädigung wurde ein angemessener Ausgleich zwischen Privatnützigkeit und Sozialbindung des Eigentums gefunden.

Nein, das trifft nicht zu!

Ist ein Interessenausgleich in besonderen Einzelfällen nicht möglich, kann die Angemessenheit ausnahmsweise durch einen finanziellen Ausgleich gewahrt werden. Dies bedarf einer gesetzlichen Grundlage, die beim Eingriff zumindest dem Grunde nach schon angelegt sein muss. Vor allem aber müssen sämtliche anderen Instrumente ausgeschöpft sein, um die Belastung zu verringern (Subsidiarität)! Die Regelung im Denkmalschutzgesetz sieht zwar dem Grunde nach einen finanziellen Ausgleich vor. Allerdings fehlen Vorkehrungen, die eine solche Belastung erst vermeiden, wie Ausgleichs- und Befreiungsmöglichkeiten oder staatliche Zuschüsse. Der Subsiaritätsgrundsatz wurde somit nicht gewahrt. Das Gesetz ist daher unverhältnismäßig.Merke: Eine Entschädigungspflicht bei Inhalts- und Schrankenbestimmungen zur Wahrung der Angemessenheit muss die Ausnahme bleiben. Sie ist auf Härtefälle zu beschränken, bei denen ein Ausgleich durch andere Maßnahmen nicht erreicht werden kann.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

TO

TomBombadil

20.5.2024, 10:04:14

Weshalb stellt das BVerfG denn so hohe Anforderungen an die Subsidiarität? Auf den ersten Blick ist es dem:der Betroffenen doch einerlei, ob er:sie bspw. Zuschüsse oder eben eine Entschädigung erhält.

Maximilian Puschmann

Maximilian Puschmann

20.5.2024, 10:47:32

Hallo TomBombadil, dies folgt aus der Bestandsgarantie des Art. 14 I GG, dass Eigentum muss vor unverhältnismäßiger Belastung geschützt werden und die Privatnützigkeit des Eigentums soll möglichst erhalten werden. Grundrechte sind in erster Linie "Abwehrrechte", deren Verletzung unabhängig von einer möglichen Kompensation geschützt werden muss. Nur wenn es eben nicht anders geht wie im vorliegenden Fall, soll man über eine Kompensation zu einem gerechten Ausgleich kommen. Ausführlicher dazu: BeckOK GG/Axer, 57. Ed. 15.1.2024, GG Art. 14 Rn. 105-106. Beste Grüße Max - Für das Jurafuchsteam

TO

TomBombadil

20.5.2024, 10:49:04

Supi, vielen Dank für die Antwort! :)

G0D0FM

G0d0fMischief

27.8.2024, 18:50:19

Am Anfang der Aufgabe nennt ihr eine Definition für den Eingriff. Diese entspricht aber nicht der Definition des klassischen Eingriffs, sondern eher der des modernen Eingriffs. Ist es nicht sinnvoll erst den klassischen Eingriff zu benennen? Das Gesetz stellt doch auch einen klassischen Eingriff dar oder sehe ich da etwas falsch? Gibt es für manche Grundrechte eine zwingend andere Eingriffsdefinition? Bei der Berufsfreiheit muss eine

berufsregelnde Tendenz

vorliegen, aber an sich reicht ja auch da der klassische Eingriff oder nicht? Die

berufsregelnde Tendenz

ist ja einfach die Grundrechtsverkürzung.


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